Süddeutsche Zeitung

Virus und Architektur:Was das Krankenhaus der Zukunft mit Lego gemeinsam hat

Die Architektin Christine Nickl-Weller spricht über das Geheimnis guter Krankenhäuser - und warum Deutschland nicht genug davon hat.

Von Gerhard Matzig

Ein längst vergessenes Wort ist wieder da, das bezeichnenderweise aus dem mittelalterlichen Pest-Zeitalter einerseits und andererseits aus der Sprache des modernen Krieges stammt. Es ist das "Lazarett". In Berlin soll die Halle 26 auf dem Messegelände bis Ende April zum "Corona-Behandlungszentrum" mit 500 Betten umgerüstet werden. Aber das "Zentrum" wird kaum etwas anderes sein als ein Notlazarett. So wie in Pirmasens, wo sich das Hugo-Ball-Gymnasium darauf einstellt, wie Die Rheinpfalz berichtet, "notfalls als Lazarett für Corona-Kranke zu dienen" - sollten die drei regulären Krankenhäuser in der Region demnächst überlastet sein. Mit dieser Überlastung kann allerdings jeder rechnen, der rechnen kann.

Der Raum für die Betreuung Kranker ist ein existenzielles Gut, das in den kommenden Wochen knapp wird. Überall in der Welt überlegt man deshalb, Schulen, Messe- oder Sporthallen, dazu Jugendherbergen oder sogar Hotels und Fitnesscenter in temporäre Krankenhäuser zu verwandeln. Dort, wo das öffentliche Leben sich zurückzieht, sollen im schlimmsten Fall Krankheit und Tod, im besten Fall aber Heilung und Gesundheit einziehen. Das Krankenhaus, dessen militärische Übersetzung das Lazarett ist und das einst aus den Tempeln Ägyptens hervorgegangen ist, wird so zu einer bestimmenden Bautypologie der Gegenwart.

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In New York ist soeben das Lazarettschiff Comfort mit 1000 Betten an Pier 90 vor Anker gegangen. Zur Entlastung der hoffnungslos überforderten Krankenhäuser. Zum ersten Mal war das schwimmende Lazarett am 11. September 2001 hier. Schilder mit der Aufschrift "Thank you, heroes" sind beim Einlaufen in den Hafen zu sehen. Ähnliche Reaktionen gibt es aber auch dort, wo mitten in Manhattan derzeit Notlazarette entstehen. Bilder von Soldaten, die Zelte aufstellen und Betten in Reih und Glied ausrichten, gehen jetzt um die Welt. Man kennt solche Bilder aus Katastrophenfilmen. Es sind tatkräftig ermutigende, zugleich aber auch verstörend entmutigende Bilder.

Die Architektin und Professorin Christine Nickl-Weller ist im Reich der "Healing Architecture" als Expertin bekannt. Das international tätige Münchner Büro, das die 69-Jährige zusammen mit ihrem Mann Hans Nickl aufgebaut hat, plant und realisiert schon seit Jahrzehnten Gesundheitsbauten und Krankenhäuser rund um den Globus. In Berlin hatte sie an der Technischen Universität lange Zeit den Lehrstuhl "Architecture for Health" inne. Am Telefon sagt sie etwas, was aufhorchen lässt: "Es ist zwar notwendig und gut, dass jetzt überall Ersatzräume aufgebaut und zum Beispiel Messehallen zu medizinischen Einrichtungen auf Zeit umgebaut werden - aber dieser Vorgang zeigt dennoch ein Defizit auf."

Warum? "Schon deshalb, weil es nun nicht um Wochen geht. Sondern insgesamt eher um Monate oder sogar Jahre. Vor 2021 wird es kaum einen Impfstoff geben. Lazarette sind für einen solchen langen Zeitraum nicht die Bauten, die Deutschland braucht." Sondern? "Wir brauchen zukunftsfähige Krankenhäuser, die auch in pandemischen Zeiten funktionieren - und davon gibt es auch in Deutschland viel zu wenig. Es gibt gerade mal sieben Infektionsstationen hierzulande, die die notwendigen raumstrukturellen Standards erfüllen." Das ist bemerkenswert. Eigentlich hatte man ja gedacht, dass der Umstand, wonach in Deutschland vielen Infektionen im weltweiten Vergleich bisher relativ niedrige Todeszahlen gegenüberstehen, ein Hinweis auf ein besonders gutes Gesundheitssystem mit adäquater Infrastruktur sei.

"Das deutsche Gesundheitssystem ist tatsächlich sehr gut", sagt Christine Nickl, "aber auf eine Pandemie wie diese ist das Land trotzdem nicht gut genug vorbereitet. Richtig ist zwar, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern viele Intensivbetten aufweist - zugleich aber auch ein System der Mehrbettzimmer. Auf die hohe Zahl darf man sich deshalb nicht verlassen. Und die Notlazarette, Zelte meist, oder umgebaute Turnhallen, sind gar nicht in der Lage, räumlich angemessen auf die Herausforderung der Corona-Pandemie zu reagieren. Da darf man sich nichts vormachen."

Christine Nickl entwirft einen "Krankenhausbau der Zukunft" - man müsse aus der Pandemie für die Zukunft "lernen". Ein solches Krankenhaus, nicht zu groß, "aber dafür organisiert auch in der Fläche, nicht nur in den Großstädten", erklärt die Architektin, habe all das, was zur medizinischen Grundversorgung gehört: "Das reicht vom Entbinden über die Operationssäle bis zur Radiologie." In diesen Gesundheitsbauten müsse es aber viel mehr Intensivbetten mit Beatmungstechnologie geben - "und zwar nicht in Mehrbettzimmern, sondern isoliert, wobei die Anzahl zum Stand jetzt mindestens zu verdoppeln ist".

Gute Hospitäler lassen sich von Fall zu Fall erweitern oder reduzieren

Ein Krankenhaus der Zukunft verfügt dann auch über Infektionsabteilungen - auch "zum Schutz des Personals". Schon wegen der Zugänge, sagt die Expertin, "müssen solche Häuser architektonisch ganz anders aufgebaut sein als die bestehenden Krankenhäuser". Wichtig wäre auch, "dass man zukunftstaugliche Häuser in Notlagen wie der aktuellen schnell zu Ambulanzzentren für niedergelassene Ärzte umbauen kann".

Dies aber berührt die medizinische Infrastruktur insgesamt. Christine Nickl sieht hier einen "gewaltigen Reformbedarf". Gute Krankenhäuser, sagt sie, "funktionieren wie Lego, man kann sie modular konzipieren und dann immer von Fall zu Fall erweitern oder reduzieren. Das ist etwas ganz anderes als das, was in Deutschland üblich ist".

Sie verweist auf Skandinavien: "In Dänemark oder Schweden ist man viel weiter." Das deutsche System sei dennoch gut, vor allem im Vergleich mit südlichen Ländern, aber dennoch "ist es nicht effizient genug". Und zwar auch deshalb, weil hierzulande zwar "jeder Quadratzentimeter planerisch penibel genau festgelegt ist von den Krankenhausbaunormen, aber die Baubürokratie verhindert auch notwendige Innovation".

Die Arbeitsbedingungen für das medizinische Personal sind oft eher krankmachend als gesundheitsförderlich

Wenn "erst Telemedizin und Robotik einziehen in die Häuser", wie das auch jetzt wünschenswert wäre in der Krise, "wird man sehen, dass wir die falschen Krankenhäuser haben - die sind schon räumlich gar nicht dafür ausgelegt". Was ebenfalls jetzt schon zu beobachten ist: Auch die Arbeitsbedingungen für das medizinische Personal,für Ärzte und Pfleger, sind teilweise eher krankmachend als gesundheitsförderlich. Zu schweigen vom Mangel an Ausrüstung, an Kleidung und Masken, die echte Masken und keine Basteleien oder Taucherbrillen sind. "Hier muss sich viel ändern."

Christine Nickl-Wellers Sohn Magnus, Vorstand der Nickl & Partner Architekten AG, hat dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder einen Brief geschrieben: "Aufgrund langjähriger Erfahrung mit modularen, vorfabrizierten Krankenhäusern könnten wir Ihnen anbieten, die Planung und Realisierung einer temporären Akuteinrichtung in Bayern, eventuell sogar zum Beispiel auf der Theresienwiese in München, zu realisieren."

Der Vorschlag ist zwar eher ein Symbolzeichen als ein realer Plan. Aber es ist keine Bitte um einen Job, sondern das unentgeltliche Angebot von Expertise. Der Brief endet mit dem Satz "Seien Sie versichert, dass jeder von uns bei Nickl & Partner gewillt ist, einen Beitrag zu leisten." Bis Redaktionsschluss haben die Architekten keine Antwort erhalten. Es wird in nächster Zeit dafür noch mehr Bilder von Lazarett-Feldbetten geben. Die sind aber nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems.

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SZ vom 02.04.2020/luch
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