Kraftwerk im MoMA:"We arre ze rrobots!"

Mehr als Pop: Die Elektro-Pioniere von "Kraftwerk" feiern ihr Gesamtwerk mit einer achttägigen Retrospektive im Museum of Modern Art. Beginnend mit ihrem bahnbrechenden Album "Autobahn" spielen die Musiker bei acht Auftritten je eine ihrer Platten vor.

Jörg Häntzschel, New York

Die größten Kraftwerk-Fans leben in Amerika. Das ist spätestens bei dem Jubel klar, mit dem im Atrium des Museum of Modern Art Ralf Hütters knarzige Worte "We arre ze rrobots" beantwortet werden, während dessen überlebensgroße - und weit jüngere - Roboterversion ihren starren Arm zum Gruß ins Publikum schwenkt. So zumindest erscheint es durch die 3-D-Brille. Es ist Dienstagabend, der erste von acht Auftritten der deutschen Ur-Techno-Band beginnt.

German electronic music band Kraftwerk perform their song 'The Robots' during the Kraftwerk - Retrospective 1 2 3 4 5 6 7 8 performance at the Museum of Modern Art in New York

Die Techno-Pioniere "Kraftwerk" im Museum of Modern Art in New York.

(Foto: Reuters)

Es ist keine Konzertserie, sondern die "Kraftwerk Retrospective 1 2 3 4 5 6 7 8", die museal gestützte, mit CD-Sondereditionen, Ausstellung und gigantischem Werbeaufwand des Sponsors VW begleitete Gesamtausgabe der Band. Beginnend mit "Autobahn" von 1975 spielen Kraftwerk jeden Abend in chronologischer Reihenfolge je ein Album, gefolgt von den Hits der übrigen.

Und nicht um Musik allein geht es hier, sondern, so MoMA-Kurator Klaus Biesenbach, um das "Gesamtkunstwerk Kraftwerk, würde das nicht so wagnerianisch klingen" - die Kombination aus Sound, 3-D-Projektion, Bühnendesign und der Performance der vier Bandmitglieder.

Denn auch Nicht-Performance ist natürlich Performance: Als der Vorhang fällt, sind Ralf Hütter, der letzte Original-Roboter, und seine drei Mitarbeiter bereits hinter ihren Geräten aufgestellt, und dort bleiben sie dann, nahezu unbeweglich. Mit ihren hautengen Overalls könnten sie Skispringer sein oder Formel-1-Fahrer. Doch vom Sport ist nur die Disziplin geblieben: Da wippt intermittierend ein Bein, da wird ein Oberkörper geneigt, mehr nicht. Kein Blick zum Nebenmann. Kein Lächeln. Sorgfältig sind sie so postiert, dass selbst von der Arbeit ihrer Hände nur die Ausläufer an den Oberarmen abzulesen sind. Rrobots!

Deutsche geben in Amerika einen besonderen Effekt

Im Pop, wo man jede neckische Geste, jeden Ausdruck von Intensität schon bis zum Überdruss erlebt hat, ist die totale Entpersönlichung die letzte Bastion des Authentischen. Deshalb konnten Kraftwerk in New York natürlich auch keine Interviews geben. Und als MoMA-Direktor Glenn Lowry und Biesenbach nach Düsseldorf flogen und Hütter und seine Mitarbeiter zum Essen einladen wollten, hatten diese leider keine Zeit.

Doch der Effekt der Performance geht noch weiter. Vor zwei Jahren schloss eine andere MoMA-Performerin, Marina Abramovic, die Museumsbesucher in die Intimität ihres gegenseitigen Blickkontakts. Kraftwerk gehen den umgekehrten Weg. Zwei Stunden lang stehen sie unbeweglich vor 450 Menschen an einem Pult, als steuerten sie die Produktionsabläufe einer Stahlfabrik. Das Publikum hat keine andere Wahl, als sich dieser Machtausübung durch Missachtung lustvoll zu unterwerfen.

Und wenn es Deutsche sind, die oben stehen, ist der Effekt in Amerika besonders wirksam. "We're programmed to do/anything you want us to", deklamiert Ralf Hütter im ersten Stück, und offenbart mit dieser Verkehrung der Tatsachen klarer das orwellsche Konzept, auf dem das Kraftwerk-Geheimnis beruht.

Es war also nur naheliegend, Kraftwerk vorzuwerfen, sie bedienten sich für ihre Bühnenprojektionen in nicht immer nur ironischer Weise aus dem Bilderfundus der Totalitarismen. In New York ist davon aber nichts zu entdecken. Im Gegenteil. Sie sammeln neutrale Buchstaben, Ziffern und Zeichen und pumpen mit der 3-D-Technik nie für möglich gehaltenes Leben in sie.

Sie lassen Noten wie Asteroiden mitten in die Zuschauer rauschen und verwandeln Zahlen zu Objekten und Landschaften. Sie bauen aus mondrianesken Quadern abstrakte Gebäude, bevor sie die Einzelteile wie Planeten auseinanderdriften lassen. Sie zitieren historische Grafikstile von Bauhaus-Plakaten, Piktogrammen und Comics. Und sie beleihen mit den Farbflächen, die sie zu "Tour de France" über Aufnahmen des Radrennens legen, sogar den Künstler John Baldessari.

Pac-Man und der Kalte Krieg

Video-Projektionen sind heute fester Teil von Popkonzerten. Bei Kraftwerk jedoch geht es um mehr als nur suggestive Dekoration. Alles, was in dem virtuellen Raum zwischen den Augen des Zuschauers und der Bühnenrückwand herumfliegt, ist so präzise mit der Musik abgestimmt, dass es oft scheint, als seien es tatsächlich die abstrakten Zeichen, die das Piepsen, Pluckern und Knallen verursachen. Am reizvollsten ist dieses synästhetische Gefüge bei "Autobahn", wo das bekannte blaue Symbol, der Sound des startenden Wagens und die Fahrt durch die blühenden Landschaften des Wirtschaftswunderdeutschlands untrennbar verbunden sind.

Kraftwerk haben seit Jahrzehnten keine neue Musik mehr aufgenommen. Stattdessen haben sie ihr bestehendes Werk laufend aktualisiert, hier und dort die Akzente verschoben, da eine neue Basslinie eingefügt. Das Ergebnis ist Musik, die über weite Strecken fast schockierend neu klingt. Auch die 3-D-Versionen der teils seit Jahren gezeigten Videos sind Teil dieser laufenden Runderneuerung.

Dieser Offenheit zum Trotz jedoch betreibt Hütter die Musealisierung des eigenen Werks mit einer Entschlossenheit, die irgendwann pedantisch wirken wird. "Harrisburg - Sellafield - Tschernobyl" heißt es in "Radioactivity". Fukushima kommt nicht vor. In "Computerworld" ist von "CIA and KGB" die Rede, als befänden wir uns noch mitten im Kalten Krieg.

Und die Pac-Man-Grafik, die vor 30 Jahren noch zeitgenössisch war, ist jetzt ebenso nostalgisch wie die Modeschauen aus den fünfziger Jahren, die zu "Model" gezeigt werden. Die MoMA-Konzerte, mit denen die Band den Schritt vom Pop- in den Kunstkontext und von der Gegenwart in die Ewigkeit vollzieht, sind da nur der nächste logische Schritt.

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