Krach im ORF:"Es ist sicher ein Vorteil, wenn man sich irgendwie im ,Vorzimmer der Macht' aufhalten kann."

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Szenen einer Senderbeschimpfung: In aller Öffentlichkeit streiten Journalisten und Politiker um die Macht im ORF. Mit ungewissem Ausgang.

MICHAEL FRANK

Die Rede "zur Lage der Nation" ist in Österreich keine Sache von übergeordnetem Belang. Das ist eine Parteiveranstaltung, bei der Wolfgang Schüssel - der die pompöse Zeremonie erfunden hat - nicht als Bundeskanzler, sondern als Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) Ovationen Gleichgesinnter entgegennimmt.

Kontrahenten Lindner (li.), Wolf: "Zu viel Macht in einer Person?" Die angegriffene Senderchefin will eine "Selbstinszenierung" erkannt haben - und muss um ihr Amt fürchten. (Foto: Foto: dpa (2))

Im Pulk der Parteiprominenz saß in diesem Mai auch Monika Lindner, Generaldirektorin des Österreichischen Rundfunks (ORF). Gerade die Korrespondenten des eigenen Senders hätten ihre Chefin lieber auf der Pressetribüne gesehen und stellten sie später zur Rede - ohne jedoch auf Verständnis zu stoßen.

Zwei Tage nach dem Vorfall hob Armin Wolf - der populärste aller Moderatoren der kurz ZiB (Zeit im Bild) genannten Informationsmagazine des Österreichischen Fernsehens - öffentlich zur fundamentalen Kritik an der Funktionsweise des eigenen Hauses.

Bei der Entgegennahme des angesehenen Robert-Hochner-Preises geißelte er, im Beisein des Bundespräsidenten, parteipolitische Gleichschaltung und Entkernung des kritischen Potenzials der ORF-Fernsehinformation. Er sah "zu viel Macht in der Hand einer Person" sowie "hemmungslose Einflussnahme politischer Parteien". Die ORF-Journalisten applaudierten. Die angegriffene Generaldirektorin aber kritisierte "mangelnde Solidarität" und "öffentliche Selbstinszenierung". Ratgeber mussten sie von Disziplinarmaßnahmen abhalten.

Das gab es schon lange nicht mehr im öffentlich-rechtlichen ORF, der trotz formaler Liberalisierung weiter nahezu ein Monopol bei Radio und Fernsehen genießt. Der Streit um die oberste Repräsentantin dieser Institution demonstriert einen dramatischen Verlust an Distanz zwischen Macht und Medien - und hat Österreichs Intellektuelle in Aufruhr gebracht. Seit Wochen wird über den ORF debattiert, die Sache ist ein Politikum.

Zwar gehören in allen Ländern, in denen öffentlich-rechtliche Sender einen ganzheitlichen Informations- und Bildungsauftrag haben, solche Klagen zum System. In Österreich aber, wo der politische Durchgriff - ob von rechts oder links - aufs Fernsehen traditionell schamlos praktiziert wird, scheint das Maß des Erträglichen überschritten. Im August steht die Wiederwahl der 2001 gekürten Generaldirektorin Lindner an, die Kritikern als willfährige Vollstreckerin der Regierungsinteressen gilt. Doch selbst Schüssels Volkspartei schätzt Lindner offenbar nur politisch, nicht fachlich.

Die 61-Jährige war 1974 als freie Mitarbeiterin zum ORF gekommen und 1979 Pressesprecherin geworden. Mit der von ihr entworfenen Vorabendserie Willkommen Österreich machte sie Pluspunkte, und arbeitete von 1998 an als Chefin des Landesstudios Niederösterreich zum Wohlgefallen der ÖVP. Sie selbst verkündete einmal: "Es ist sicher ein Vorteil, wenn man sich irgendwie im ,Vorzimmer der Macht' aufhalten kann."

Nun aber steht sie insgeheim politisch zur Disposition, auch wenn ÖVP-Fraktionschef Wilhelm Molterer sie "unumstritten" nennt. Über Alternativkandidaten zu Frau Lindner will niemand sprechen, weil solche Namen im derzeitigen Getümmel sofort verbrannt würden. Schon lange jedenfalls arbeitet sich eine Initiative "Freiraum" durch die Unkultur des ORF - und wird im Juni ihre schaurige Bilanz in Buchform vorlegen.

Ermutigt durch Wolfs Philippika fand sich spontan eine Plattform "SOS ORF" zusammen. Sie fordert: Ein intelligentes Programm, das auch am Hauptabend den Namen öffentlich-rechtlich verdient; eine Struktur der Fernsehinformation, die Vielfalt und Ausgewogenheit ermöglicht; einen unabhängigen und kompetenten Aufsichtsrat; ein Auswahlverfahren, das parteiunabhängige Kandidaten ermuntert und nicht bereits im Voraus abschreckt.

Dieses Manifest ist, obwohl nur über Internet habhaft, binnen zehn Tagen von mehr als 45 000 Menschen unterschrieben worden, darunter bekannte ORF-Mitarbeiter. Die Geistesprominenz des Landes scheint fast geschlossen der Meinung zu sein, dass die Erosion des ORF an die Wurzeln des demokratischen Gemeinwesens geht: von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bis Klaus Maria Brandauer und Luc Bondy, vom künftigen Münchner Opernintendanten Klaus Bachler bis zum Kabarettisten Werner Schneyder.

Solche Dramatik hat Österreich in Mediendingen selten erlebt.

In den Forderungen spiegelt sich das Entsetzen wieder über die Verhältnisse in der modernen Zwingburg des ORF auf dem Wiener Küniglberg. "Noch nie in der Zweiten Republik wurde der medienpolitische Machtanspruch so ungeniert formuliert wie unter der 'Wenderegierung'", sagt Heinrich Neisser, einer der würdevollsten Köpfe der regierenden Volkspartei. Neu sei auch "die Unverfrorenheit, mit der die politischen Parteien ihre Kandidaten" für ORF-Ämter "aufstellen und bewerben", so der langjährige Vize-Vorsitzende des Parlaments. Ein Beispiel: Einem namhaften Auslandskorrespondenten in Wien wurde von der ÖVP-Vizevorsitzenden und Bildungsministerin der Professorentitel honoris causa überreicht. Für eine TV-Debatte kurz danach ließ die Politikerin statt eines ihr unliebsamen Journalisten den Geehrten bitten.

Schlüsselfigur ist Informationschefredakteur Werner Mück - eine Mischung aus Dr. Jekyll und Mr. Hyde, "allerdings mit viel mehr Hyde und wenig Jekyll", wie Peter Huemer scherzt. Huemer hat sich mit dem berühmten Club 2 und anderen Sendungen um die ORF-Gesprächskultur verdient gemacht und wurde mit 60 Jahren in Zwangspension geschickt. Jetzt ist er Sprecher der Plattform "SOS ORF". Huemer sagt, Mück sei einmal ein respektabler Chef des Landesstudios Salzburg gewesen - doch nun hobelt der Gesinnungsfreund der ÖVP im Hintergrund alles glatt.

Den drei großen ZiB-Sendungen am frühen und späten Abend sowie um Mitternacht nahm er ihre eigenständigen Redaktionen. Damit ist der jeweils eigene Charakter jedes Magazins dahin. Selbst groteske Falschmeldungen schleppen sich durchs ganze Abendprogramm, weil sie niemand mehr eigenverantwortlich neu bewertet. Weitere Vorwürfe: Mück mauere Themen ohne aktuelle Modifikationsmöglichkeiten fest. Viel eleganter als einst bei SPÖ-Hagiografen kämen Themen, die ÖVP und die Regierung stören könnten, im Programm nicht mehr vor - und wenn, zu spät und zahnlos.

Ganz ungewöhnlich ist, dass sich ORF-Bedienstete aus der Deckung trauen. Fritz Czoklich, der konservative Ex-Chefredakteur der Kleinen Zeitung und nun bei "SOS ORF", zeigte sich im Wochenmagazin Profil überrascht, dass ein ORF-Angestellter wie Wolf den Mut habe, so unverblümt die Dinge beim Namen zu nennen. In Richtung Mück sagt Czoklich, dass "Leute, die nur mittelmäßig begabt sind für diesen Job, plötzlich eine Machtfülle haben, die fürchterlich ist". Mück hingegen nennt die ORF-Bewegung eine "Suada der links-intellektuellen Outingstars". Mück sieht seinerseits parteipolitische Motive der Kritiker. Der Chefredakteur dürfte auch bei einem Fall Lindners wohl im Amt bleiben - ja, er ist ausersehen, Informationsdirektor zu werden.

Jetzt soll es einen "Runden Tisch" zwischen Kritikern, Mitarbeitern und ORF-Führung geben. Im Streit ums Führungspersonal könnte allerdings der Kern des Übels in Vergessenheit geraten: die unverfrorenen Besitzansprüche der Politiker. Die sehen im ORF wohl eine Art Staatsfernsehen.

© SZ v. 07.06.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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