Eine Mutter hat doch immer was von einem Detektiv. Überwachung ist ihr Metier, permanente Kontrolle und Protektion. Immer und überall höchste Aufmerksamkeit, sie kennt sie alle, die Tücken des Lebens, und weiß, wo die Fallen besonders gemein sind, die es stellt. Sie wittert Gefahren von weitem, ist immer auf dem Sprung dagegen loszuschlagen und gegenzusteuern.
"Mother" von Bong Joon-ho mixt den Mutter- mit dem Detektivfilm, und er fängt sehr viel lässiger an, als es sich für die beiden Genres gehörte. Ein großes Weizenfeld, durch das Kim Hye-ja streift, die gewissermaßen eine Mutter der südkoreanischen Nation ist, durch entsprechende Rollen, die sie jahrzehntelang im Fernsehen spielte. Sie bleibt stehen und zögert kurz, dann fängt sie an den Körper zu wiegen, findet einen sanften Rhythmus, improvisiert ein Tänzchen. Sie lockert die Kontrolle, scheint bereit zur Meditation.
So beschwingt klingt also eine Dekade aus, die dem koreanischen Kino jede Menge Aufregung, Begeisterung, Enthusiasmus gebracht hat. Hongkong ist im Moment out, so die Parole, nun ist das koreanische Kino dran als internationale Kreativkraft, als Innovationsschleuder. Mit einer selbstbewussten Mischung aus Publikums- und Arthouse-Filmen hat es in diesen Jahren die internationalen Festivals dominiert und Preise gesammelt, und Namen wie Kim Ki-duk oder Park Chan-wook, Hong Sang-soo oder Bong Joon-ho gehen uns inzwischen mühelos über die Lippen.
Und Hollywood hat das natürlich auch gespannt - wenn seine Produzenten kommen mit lukrativen Wiederverfilmungsdeals, weiß man, dass man es geschafft hat. In den letzten Jahren hat es zum Geisterfilm "A Tale of Two Sisters" von Kim Ji-woon und zur Zeitsprungromanze "Das Haus am See" von Lee Hyun-seung in Amerika Remakes gegeben. Und natürlich wird gerade Park Chan-wooks "Oldboy", das Mittelstück seiner wüsten "Vengeance"-Trilogie, für eine Hollywoodversion vorbereitet, eine Zeitlang sind dafür sogar Steven Spielberg und Will Smith im Gespräch gewesen. Gore Verbinski, erfolgreich mit seinem spukhaften Karibik-Seemannsgarn, soll ein Remake von "The Host" planen, Bong Joon-hos Supererfolg, die vertrackte kleine Geschichte vom aus chemischen Militärabfallstoffen erwachsenen Wassermonster, gegen das tapfer eine kleine Pionierfamilie loszieht. Der erfolgreichste Film in Korea überhaupt - 13 Millionen Zuschauer in einem Land mit 48 Millionen Einwohnern. Und dann tauchte "Host" noch bei vielen internationalen Kritikern auf der Liste der besten Filme der Dekade auf.
Familie ist wichtig für Bong, und "Host" und "Mother" sind in dieser Hinsicht komplementär zueinander angelegt. Gleich nach der Anfangssequenz im Feld sieht man Kim Hye-ja beim Schilfschneiden in einem dunklen Schuppen, aber aufmerksam guckt sie, während die Hand das kleiner werdende Büschel auf die Schneide hinschiebt, durch die schmale Tür auf die Straße, wo ihr Sohn sich herumtreibt. Schon braust ein Auto heran, ein Schrei, sie springt hoch und schießt auf die Straße, packt den Jungen ... Ist dir was passiert? ... Da ist doch Blut an deiner Jacke ... Totale Hektik. Der Sohn ist ein netter Bursche, ein wenig zurückgeblieben, aber dennoch wach, launisch, eigenständig. Und er wird wild, wenn man ihn Spasti ruft. Dann wird er unter Mordverdacht verhaftet, und die Mutter ermittelt auf eigene Faust, ihre Methoden sind überhaupt nicht korrekt und sie tappt erst mal peinlich daneben.
Lesen Sie auf der folgenden Seite, warum das amerikanische Kino in Korea keine Marktbeherrschung schaffte.
"Mother" hat Bong Joon-ho unglaublich subtil und elegant inszeniert, man spürt, mit diesem Film - wie auch mit den neuen Filmen von Kim Ki-duk, Park Chan-wook und Hong Sang-soo - ist das wilde, archaische Jahrzehnt abgeschlossen, mit dem das koreanische Kino die Welt auf sich aufmerksam machte. Lange hatte es in den Sechzigern unter politischer Kontrolle der Militärregierung und dem Zwang des monopolistischen Produktionssystem gestanden.
Diktaturen haben, als aufgemotzte Politinszenierungsapparate, eine besondere Affinität zum Kino, zum eigenen nationalen im Besonderen. Südkorea hat schon früh ein Quoten-System gehabt, das den Kinos einen Prozentsatz einheimischer Filme vorschrieb - die Zahl der Tage, an denen koreanische Filme gezeigt werden mussten, war stets heftig umkämpft, sie ging von 106 Tagen im Jahr bis 146 Tagen, erst vor wenigen Jahren wurde sie heruntergesetzt auf 73. Von diesem Schutz vor de4r großen amerikanischen Konkurrenz hat die einheimische Filmproduktion profitiert, in Chungmuro bei Seoul ist ein Studiosystem entstanden mit hohem technischem Standard.
Als in den Achtzigern Südkorea sich wandelte zur Konsumgesellschaft und eine Demokratisierung möglich schien, wurde auch das Kinosystem gelockert. Den amerikanischen Verleihern wurde Zugriff auf die koreanischen Kinos gewährt, aber nationale Produktionen wurden weiter kräftig gefördert. Andere Industrien des Landes fingen an, ins Kinobusiness zu investieren, die Millionen-Kalkulationen wurden so messerscharf durchgezogen wie in Hollywood. Südkorea ist eins der wenigen Länder, in denen das amerikanische Kino keine Marktbeherrschung schaffte.
Jedes Jahr finden sich drei oder vier nationale Produktionen auf der Top-Ten-Einspielliste. 1999 wurde der erstklassige Spionagethriller "Shiri" von Kang Jae-gyu produziert und hat prompt James Camerons "Titanic" beim Einspiel radikal abgehängt. Ein Jahr später - ebenfalls ein enormer Publikumserfolg - kam "Joint Security Area" von Park Chan-wook in die Kinos, ein komplexes Politmelodrama aus der entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea. Die Grenzen waren durchlässig geworden zwischen dem Polit- und dem Genrekino, dem Unterhaltungs- und dem Arthauskino, in einem Maß, dass nicht mal Frankreich, das europäische Vorbild einer funktionierenden hochklassigen nationalen Filmindustrie mitkommt.
"Shiri" gilt als eine Art Start einer Neuen Welle in Korea, die - anders als die in Frankreich Ende der Fünfziger - nicht im Widerstand gegen das etablierte Filmsystem entstand, sondern in ihrem Innern. Die jungen Filmemacher kennen die Regeln des Spiels, sie wissen, wie intensiv sie damit experimentieren dürfen. Und - ähnlich wie zu Beginn der Nouvelle Vague in Frankreich - wurde ein Filmemacher, Lee Chang-dong, Regisseur von "Oasis", Kultusminister. Das Spiel von Reglement und Liberalisierung prägt die koreanische Gesellschaft bis heute, es ist auch in den Filmen spürbar, in der phantastischen, manchmal schockierenden Mischung von Sentiment und Aggressivität, Unschuld und Grausamkeit, Bodenständigkeit und Luxus. Mit Menschen wird hier manchmal gespielt wie Kinder es mit Tieren tun, zwischen Neugier und Quälerei, und manchmal läuft das auch ins Selbstquälerische hinein, in Experimente mit der eigenen Existenz. Legendär der in "Oldboy" verschlungene Tintenfisch, in "Mother" lässt einer der Cops im Verhörraum den Jungen in einen Apfel beißen und haut ihm den dann brutal aus dem Gesicht.
"Mother" ist die Kinomoderne par excellence, der Film ist in einem einfachen Dorf angesiedelt, aber erzählt wird so verschachtelt wie bei Hitchcock oder Resnais. Menschen, die im Leben nie wirklich zusammen kommen können, immer sind sie getrennt, durch die Scheiben eines Autos oder einer Verhörzelle, durch einen Vorhang, hinter dem die Mutter den Freund des Sohns eines Nachts mit einem Mädchen beobachtet. Mutterfilme sind Zeichenfilme. Und "Mother" zeigt uns in Europa die trügerische Inkonsistenz unserer Zeichensysteme auf - die unsere Gesellschaft formieren und unser Kino.
MADEO, Korea 2009 - Regie:Bong Joon-ho. Buch: Park Eun-kyo, Bong Joon-ho. Kamera: Hong Kyung-pyo. Schnitt: Bong Joon-ho, Moon Sae-Kyoung. Mit: Kim Hye-ja, Won Bin, Jin Gu, Yoon Jae-moon, Jun Mi-sun, Lee Young-suck. MFA+, 128 Minuten.