Koreanische Literatur:Last des Lebens

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Mit "Die Vegetarierin" wurde Han Kang weltberühmt. Jetzt ist ihr Debüt "Deine kalten Hände" erschienen und erlaubt Einblick in das Frühwerk.

Von Insa Wilke

Was ist Kunst? Diese Frage scheint viele junge Autorinnen und Autoren umzutreiben, wenn sie ihren ersten Roman schreiben. Kenah Cusanit zum Beispiel, die gerade mit ihrem Roman "Babel" für den Leipziger Buchpreis nominiert wurde. Oder auch Denis Pfabe, der mit "Der Tag endet mit dem Licht", einen komplexen und komplizierten, sehr beachtlichen Roman über das Verhältnis von Kunst und Leben geschrieben hat. Offenbar ist einige Selbstreflexion nötig, um sich frei zu schreiben von dieser zermürbenden Frage nach den Möglichkeiten von Kunst und der kleinschrittigen Auseinandersetzung mit formalen Fragen. Genau das in frühen Werken zu beobachten, ist aber auch ein großer Genuss. Vermutlich sind manche Schreibende nie wieder so skrupulös wie am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn.

Auch die südkoreanische Autorin Han Kang hat so einen selbstreflexiven Kunst- und Künstlerroman geschrieben. Fünf Jahre vor ihrem internationalen Bestseller "Die Vegetarierin" und sogar zwölf Jahre vor dem großen Roman "Menschenwerk" erschien 2002 in Südkorea der Roman "Deine kalten Hände". Dieses Buch kann man jetzt in der deutschen Übersetzung von Han Kangs neuer Übersetzerin Kyong-Hae Flügel lesen. Bemerkenswert ist, das hier schon das Lebensthema eine Rolle spielt, das auch Kangs spätere Erfolgsromane prägt: Widerstand durch Lebensverweigerung.

Alle Romane Han Kangs handeln vom passiven Widerstand gegen die patriarchale Ideologie

Han Kang wurde 1970 in Gwangju geboren, einer Stadt, die in die südkoreanische Geschichte einging, als dort 1980 die Menschen gegen die Militärdiktatur auf die Straße gingen und zu Tausenden ermordet wurden. "Menschenwerk" erzählt von diesem kollektiven Trauma, während "Die Vegetarierin" sich auf sehr ungewöhnliche Weise, nämlich indem die weibliche Hauptfigur sich in eine Pflanze zu verwandeln wünscht, dem passiven Widerstand gegen die patriarchale Ideologie widmet. Beide Romane bestechen durch ihre Grundidee und die Multiperspektivität der extrem distanzierten Erzählweise. Vor allem aber durch die radikale Einfachheit der Sprache und Bilder, die so ihre Nachdrücklichkeit entfalten.

Die Motive sind schon da, trotzdem ist die Autorin sichtlich noch auf der Suche: Han Kang. (Foto: Roberto Ricciuti/Getty Images)

"Deine kalten Hände" lässt dies alles schon erkennen, aber auch, dass hier eine Autorin noch auf dem Weg ist. Die Anlage des Romans ist klassisch, es handelt sich um einen doppelten Künstlerroman: Die Rahmenerzählung wird von einer Schriftstellerin bestritten, die vom Werk eines Bildhauers fasziniert ist. Als sie ihm zufällig begegnet, verschwindet er auch schon wieder von der Bildfläche. Dafür wird ihr ein Manuskript zugespielt, das er hinterlassen hat: seine Lebensgeschichte.

Diese Lebensgeschichte wird von drei Frauen bestimmt: seiner Mutter, einer für ihre Anmut und Freundlichkeit bekannten Frau, die ihren Sohn aber durch extreme Lieblosigkeit dauerhaft schädigt und von der er lernt, "wie falsch ein Lächeln sein kann". Die Studentin L., die übermäßig dick ist und zum wichtigsten Modell für den Bildhauer wird, und schließlich die sehr schöne, sehr kühle, sehr reinliche E., eine Innenarchitektin, die mit ähnlichen Themen zu kämpfen hat wie er. Alle Figuren dieses Buches tragen ein Geheimnis in sich, und manchmal scheint der Roman schier zusammenzubrechen unter der bedeutsamen Last dieser geheimen Leiden.

Trotzdem gelingt es Han Kang bereits in diesem Roman, Bilder zu entwerfen, die man nicht mehr so leicht vergisst: Die Kunstwerke, die der Bildhauer erschafft, sind Körperhüllen. Er nimmt von seinen Modellen Gipsabgüsse. An L. faszinieren ihn nicht nur ihre schönen Hände, die bei Han Kang Fenster zur Seele ihrer Figuren werden, sondern auch die Gipshülle ihrer weichen Massigkeit: "Endlich hatte ich einen Raum gefunden, in dem ich mich verbergen konnte."

Man darf diesen Roman nicht als realistischen Text lesen, sondern sollte sich eher auf die zeichenhafte Bedeutung konzentrieren, die manchmal an Haruki Murakamis Romane erinnert. Das Thema, das die Figuren verbindet, ist die Frage nach dem Widerspruch von Hülle und Hohlraum, von Oberfläche und Lebensleere. So wie der Bildhauer seinen Modellen ins Innerste schauen möchte, so enthüllt Han Kang nach und nach die Geheimnisse ihrer Figuren, die dann manchmal, man muss das so sagen, gar nicht ungewöhnlich sind, etwa wie der Zusammenhang von sexuellem Missbrauch und Essstörungen. Auch Sentenzen wie die folgende überschreiten die Grenze zum so wahren wie banalen Kunstkitsch: "Das Leben ist eine Hülle, die sich über einem Abgrund wölbt, und wir leben darauf wie maskierte Akrobaten."

Aber es ist andererseits bemerkenswert, mit welcher Konsequenz in diesem frühen Roman schon Han Kangs Themen durchdekliniert werden und wie hartnäckig sie sich dem Versuch widmet, Körper zu beschreiben: in ihrer Materialität, ihrer Empfindsamkeit und ihrer metaphorischen Bedeutung. Insofern ist dies ein Roman, der Leserinnen und Leser von Han Kang interessieren dürfte und alle anderen heranführt an die Auseinandersetzung einer jungen Schriftstellerin mit ihrem Stoff und seinen Formfragen, die immer auch Lebensfragen sind. Im Fall von "Deine kalten Hände" vielleicht diese: Lässt es sich überhaupt leben, mit der Vergangenheit auf den Schultern?

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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