Süddeutsche Zeitung

Korea:Lügen über Lügen

Lesezeit: 3 min

Hochstapelei ist immer hocherotisch im Kino. Besonders verführerisch ist es in "Die Taschendiebin" von Park Chan-wook, der mit schön blutigen Filmen bekannt wurde.

Von Doris Kuhn

Abgeschnittene Finger, Korsett-Fetisch, sexuelles Erwachen, ein Riesenkrake - in diesem Film ist alles drin, was ein Groschenroman so braucht. Was man in "Die Taschendiebin" aber sieht, ist eine Liebesgeschichte, visuell so hinreißend, dass die Trash-Elemente wirken wie klassisches Ballett. Der koreanische Regisseur Park Chan-wook schichtet in seinem Film Lügen über Lügen, inhaltlich wie formal, er erweist sich als Meister des Betrugs - ganz wie seine Protagonisten. Sein Thriller über Hochstapler versteckt sich hinter einem lesbischen Erotikfilm, der dann auch nur die Fassade ist für den Kampf zweier Frauen um persönliche Freiheit, und all das wird eingekleidet in den Luxus eines japanischen Historienfilms, in seidene Kimonos und Hochsteckfrisuren und die Larmoyanz junger Adliger. Je mehr man dem blendenden Ornament verfällt, um so unerwarteter kommen die Wendungen, die sich die Geschichte dann erlaubt.

Wir sind in den Dreißigerjahren, im japanisch besetzten Korea, und der Film beginnt mit der Anstellung des Mädchens Sookee als Kammerzofe für die sehr reiche, sehr schöne Japanerin Hideko, die dort bei ihrem Onkel lebt. Sookee ist Koreanerin, sie wird an Hideko vermittelt vom Grafen Fujiwara. Das ist der erste Schwindel: Sokee ist nicht Zofe, sondern Taschendiebin, Fälscherin, Spionin für Fujiwara, der kein Graf ist, sondern sich nur das Vermögen Hidekos aneignen will. Er wird sie heiraten, sie nach Japan bringen, ihren Besitz flüssig machen, und sie dann in ein Irrenhaus stecken, damit das Geld auch bei ihm bleibt. So ist der Plan, so weit wird man auch eingeweiht.

Der falsche Graf und Sookee kennen sich aus dem kriminellen Untergrund. Der Graf lanciert sie an der Seite Hidekos, damit sie die Heirat beschleunigt - über seine Liebe soll sie mit Hideko flüstern, seine Unbescholtenheit bestätigen, und nebenher den Grafen auf dem Laufenden halten. Das führt zu einer amüsanten Splitterung der Realität. Während Sookee devot ihre Herrin betreut, gibt es Rückblenden in ihre Lehrjahre als Betrügerin, zusätzlich kommentiert sie den Alltag Hidekos eher derb im Selbstgespräch oder vor dem Grafen.

Womit Sookee jedoch nicht rechnet, ist die Zuneigung, die sie der Japanerin schnell entgegenbringt - der Zuschauer wiederum rechnet nicht mit dem Sex, in den der Film daraufhin abschweift.

Die beiden Frauen teilen das Bett nicht nur wie Komplizinnen. Sie probieren gegenseitig ihre Korsetts an, weiße Schultern werden ausgepackt wie Geheimnisse, das ist mehr Kitsch, als Pornografie dulden würde. Es ist aber auch explizit genug, dass man sich fragt, ob hier eine Männerfantasie ins Bild gesetzt wird. Park Chan-wook gibt eine überraschende Antwort darauf, später in der Geschichte. Denn Sex ist ein Thema, das den Film stetig durchzieht, etwa wenn Hideko japanische Erotikliteratur für ein Publikum aus Männern im Smoking vorliest, denen der Schweiß dann in die weißen Fliegen tropft - je mehr sie geifern, umso mehr Geld geben sie bei der anschließenden Versteigerung der entsprechenden Bücher aus. Sex hängt hier mit Geschäft und Macht zusammen, mit Berechnung, Unterwerfung oder Rache. Das will die romanische Komödie immer gern geheim halten, aber Park Chan-wook will genau auf solche Erkenntnisse hinaus. "Naivität kostet Leben" heißt es einmal im Film.

"Die Taschendiebin" besteht aus drei Teilen, die jeweils die Perspektive eines der Protagonisten wiedergeben. Auch das verläuft anders, als man vermutet, denn der Regisseur blättert dafür allerlei B-Pictures auf, die sich in den Film hineindrängen: britische Gruseleien, japanische Monster, amerikanische Comics, der dritte Teil kulminiert irgendwo bei Jules Verne. Park Chan-wook war der Regisseur von "Oldboy" oder "Stoker", er bestückt seine Filme mit Gewalt und Perfidie, das bleibt auch nicht aus, wenn er sich, wie hier, Literatur zur Vorlage nimmt - "Die Taschendiebin" geht vage zurück auf Sarah Waters' Roman "Solange du lügst".

Die Bilder allerdings lassen nie in ihrer Schönheit nach. Anfangs weit und opulent, werden sie höchstens verliebter ins Detail. Park Chan-wook nutzt sie für die Illusion, er spielt mit der Aufmerksamkeit des Zuschauers, die ganz bei der Oberfläche bleibt. Zarte Risse in der Fassade, durchaus bedrohlich, vergisst man sofort. Aber man kommt damit nicht davon.

Denn dies ist am Ende kein rätselhafter Film. Der Regisseur erklärt jedes Bild, das irritierend erschien, nur lässt er eben viel Zeit verstreichen, bis er seine Antworten gibt. Erst dann erkennt man, wie leichtfertig man Dinge übersieht, die man eigentlich dringend hätte hinterfragen müssen. Da ist der Film dann wieder mitten in der Wirklichkeit.

The Handmaiden / Agassi , Südkorea 2016 - Regie und Buch: Park Chan-wook. Kamera: Chung Chung-hoon. Mit Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo, Cho Jin-woong. Koch Films. 145 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2017
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