Kopie des weltberühmten Gemäldes:Die doppelte Lisa

Possible Mona Lisa predecessor by da Vinci

Mit einem Potpourri aus technischen Untersuchungsergebnissen und kühnen Missdeutungen wird versucht, eine Kopie der "Mona Lisa" als Original zu vermarkten.

(Foto: dpa)

Erneut versucht ein Kreis illustrer Personen, eine Kopie von Leonardo da Vincis "Mona Lisa" als Original zu vermarkten. Mit Hilfe von absurden Thesen und ein paar Räuber- und Liebesgeschichten. So wird vom Bild abgelenkt - und die Chance auf Verkauf gesteigert.

Von Frank Zöllner

Es gibt leider keine Hölle für Verfechter unsinniger Zuschreibungen von Altmeistergemälden. Aber gute Aussichten auf einen Platz in dieser Hölle, wenn es sie denn gäbe, hätte ein Kreis illustrer Personen, der nun zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit eine süßliche Kopie der "Mona Lisa" als authentisches Werk Leonardos auszugeben versucht.

Bereits im September 2012 war das seit Jahrzehnten unter dem Namen "Isleworth-Mona Lisa" bekannte Gemälde im Genfer Hotel Beau-Rivage einem ausgewählten Publikum vorgestellt worden, begleitet von professioneller Pressearbeit. Als Garanten der Zuschreibung gewann man zwei angesehene Koofmichs der Leonardoforschung, als prominenten Flankenschutz den mehrfachen Schachweltmeister Anatoli Karpow. Dazu kam ein schweres Buch mit Goldschnitt ("Mona Lisa. Leonardo's Earlier Version"), ein Potpourri aus technischen Untersuchungsergebnissen, kühnen Missdeutungen von Quellen sowie Versatzstücken älterer und neuerer Theorien zur originalen "Mona Lisa" da Vincis.

Der Zuschreibungsversuch wird durch den Umstand begünstigt, dass die Überlieferung von Daten und Fakten für ein mehr als 500 Jahre altes Gemälde naturgemäß unvollständig und in Teilen widersprüchlich ist. So berichtet der Mailänder Kunsttheoretiker Giovanni Paolo Lomazzo 1584 von einer "Gioconda" und einer "Mona Lisa", also von zwei Gemälden. Das war vermutlich schlicht ein Missverständnis, das auf Lomazzos schlechtem Informationsstand beruht.

Lomazzos Irrtum haben die in Genf tätigen Zuschreiber bereits 2012 und nun erneut für bare Münze genommen und zu einer überraschenden These verdichtet: Die im Pariser Louvre verwahrte "Mona Lisa" sei nur Leonardos Zweitfassung, entstanden zwischen 1501 und 1516, die "Isleworth-Mona Lisa" hingegen die erste, ursprüngliche Version, entstanden zwischen 1501 und 1505. Daher erkläre sich auch der Umstand, dass in dieser Version die Dargestellte deutlich jünger erscheine als in der in Paris ausgestellten Fassung.

Vier Erklärungsmuster

Für ihre doppelte Lisa kamen den Genfer Zuschreibern vor allem zwei Umstände entgegen. Erstens war 2011 tatsächlich eine detailgetreue Kopie des Porträts aus der Werkstatt Leonardos bekannt geworden. Die Möglichkeit, dass es dasselbe Porträt zwei Mal geben könne, war damit plausibel zu machen. Zweitens standen für die These passende Erklärungsmuster aus der Forschung zur Verfügung, die oft ebenfalls auf Fehldeutungen der lückenhaften Überlieferungsgeschichte der Mona Lisa beruhen.

Verkürzt gesagt stehen insgesamt vier solcher Muster zur Verfügung: Die in der internationalen Forschung dominante These lautet, dass Leonardo ein Bildnis der Lisa del Giocondo im Frühjahr 1503 zu malen begann und bis etwa 1506 im Wesentlichen fertig stellte. Eine zweite Hypothese geht von der Entstehungszeit des Gemäldes vor dem Jahr 1500 aus, eine dritte von einer Entstehung ab etwa 1512 oder 1513 und eine vierte versucht eine möglichste große Zahl von Erklärungsversuchen miteinander zu versöhnen.

Nach der vierten Variante wäre die "Mona Lisa" schon um 1503 oder wenig früher begonnen und dann etwa zwischen 1513 und 1516 fertig gestellt worden. Dieses Erklärungsmuster haben sich die Genfer Zuschreiber zu Eigen gemacht, da es den größtmöglichen Spielraum für ihre Theorien lässt.

Aura von Unfehlbarkeit

Eine weitere Strategie, die in den vergleichbaren Debatten der letzten Jahre eine tragende Rolle spielte, basiert auf so genannten naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden. Damit sind gemäldetechnologische und strahlendiagnostische Analysen gemeint, die die Aura von Unfehlbarkeit verströmen. Diese Ergebnisse besitzen allein für sich genommen allerdings kaum Aussagewert. Oft dienen sie nur dazu, die Sache zu verunklären, so auch hier.

Die Befunde belegen, dass die Palette verwendeter Pigmente den von Leonardo gebrauchten Materialien entspreche, was natürlich seine Autorschaft nicht zwingend belegt. Die Strahlendiagnostik wiederum machte unter der Malschicht Striche deutlich, die man als originale Unterzeichnungen deuten kann, und die gelten inzwischen generell als Hinweis auf die Authentizität eines Altmeistergemäldes. Auch das ist nicht zwingend. Schließlich sollen die technischen Untersuchungen auch noch Hinweise auf Leonardos spezifische Maltechnik belegen - ein Ding der Unmöglichkeit, denn die "Isleworth-Mona Lisa" wurde auf Leinwand gemalt, Leonardo hingegen hatte diesen Bildträger nie verwendet. Wir haben also schlicht keine hinreichend genau Vorstellung davon, welche Maltechnik Leonardo auf Leinwand verwandte oder verwandt hätte. Und für die Leinwand selbst wird nun eine naturwissenschaftlich belegte Entstehungszeit von 1410 bis 1455 angenommen. Auch daraus lassen sich keine zwingenden Schlüsse ableiten.

Kombinierter Overkill

Nun legen die Genfer Zuschreiber eine Publikation vor: "Das letzte Geheimnis des Leonardo da Vinci" von Josef Nyáry, Autor von Büchern über ALDI und "Weihnachten mit den Heiligen". Die Argumentation von 2012 wird darin episch in die Breite gezogen. Wiederum finden sich seriöse neben vollkommen absurden Thesen, dazu ein wenig Zahlenmystik, Räuber- und Liebesgeschichten und darin eher nebenbei eingebettet die Generalthese vom letzten Jahr.

Die sicherste Methode, um von einem Bild abzulenken, ist ein kombinierter Overkill komplexer Erklärungen und publizistischen Tamtams. So auch hier. Die Vermengung abstruser und rationaler Argumente sowie das Jonglieren mit "naturwissenschaftlichen" Ergebnissen sind darauf angelegt, die Urteilsfähigkeit des Auges auszuschalten. Das Ganze dürfte auf Steigerung der Vermarktungschancen zielen. Je mehr über ein Bild geschrieben und je häufiger es medial inszeniert wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufs (so geschehen vor einigen Jahren mit der "Tavola Doria", einer frühen Kopie nach Leonardos "Anghiarischlacht").

Anscheinend hat dieser Mechanismus auf ewig Bestand. Denn Kunst bietet einfach immer noch passable Möglichkeiten der hemmungslosen Übertreibung bei guten Chancen, ohne Konsequenzen davon zu kommen. Aber Besserung ist in Sicht: Fragwürdige Zuschreibungen werden zunehmend kritisch wahrgenommen, der Reputationsverlust etlicher Protagonisten ist enorm - und möglicherweise dauerhaft. Das kommt der Hölle schon recht nahe.

Der Autor lehrt Kunstgeschichte an der Universität Leipzig.

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