Kooperation:Kunst für die Straße

Tutto Sammlung Goetz

Blick in die Ausstellung "Tutto".

(Foto: Courtesy the artists / Sammlung Goetz, München / Museion Bozen / Die Neue Sammlung - The Design Museum / VG Bild-Kunst Bonn, 2019 / Thomas Dashuber)

Die Sammlung Goetz in Oberföhring zeigt in Zusammenarbeit mit dem Museion in Bozen und der Neuen Sammlung München die fabelhafte Ausstellung "Tutto"

Von Evelyn Vogel

Zum Höhepunkt kommt man im Tiefgeschoß. Dort trifft man auf die Ausstellungsstücke, die den größten Spaß bereiten. Das liegt vor allem an den Objekten, welche Die Neue Sammlung der Ausstellung "Tutto. Perspektiven italienischer Kunst" hinzugefügt hat. Das Münchner Designmuseum ist der dritte Partner in einer Kooperation zwischen der Sammlung Goetz mit dem Museion Bozen und ist - nachdem die Gemeinschaftsausstellung zuvor in Südtirol zu sehen war - erst jetzt bei der Präsentation in den Räumlichkeiten in Oberföhring dazu gestoßen.

Das bedeutet aber nicht, dass die Ausstellung mit Kunst der Nachkriegszeit aus Italien nicht auch in der bisherigen Form große Freude bereitet hätte. Denn Qualität und Quantität der Bilder, Fotos, Videos und Objekte ist beachtlich. Und wie diese Werke aus den beiden Sammlungen sich zueinander verhalten, ist wunderbar. Dabei sind die Arbeiten im ersten Raum des Obergeschosses eine klare Setzung, die zeigt, wie die italienischen Künstler die Flachware des Tafelbildes aufzubrechen suchten und mit der Materialität spielten. Drei Arbeiten von Alighiero Boetti, darunter das gestickte Werk "Tutto", das Namensgeber der Ausstellung war, steht eine Arbeit von Lucio Fontana gegenüber. Keines seiner berühmten monochromen Schlitzbilder, sondern eines, auf dem er farbige Glasstücke aufsetzte, die das Licht reflektieren, was die vorhandene Dreidimensionalität des Werks wie um eine weitere Dimension ergänzt.

Exemplarisch in der seriellen Fortführung der ausgestellten Werke sind die Werke im zweiten Raum des Obergeschosses hervorzuheben. Dort werden beispielsweise zwei Arbeiten auf gewölbter Leinwand mit Strukturmomenten von Enrico Castellani aus der Sammlung Goetz ergänzt durch eine aus dem Museion Bozen. Ähnlich verhalten sich weitere Arbeiten von Agostino Bonalumi zueinander: zwei schon stark in die Dreidimensionalität gehenden Arbeiten in weiß und rot aus der Münchner Sammlung gesellt sich ein geradezu objekthaftes Bildwerk in schwarz aus dem Museion Bozen hinzu. Die Kombi über Eck erweitert durch weitere drei Arbeiten aus hiesigen Beständen. Und so geht es munter weiter.

Auch bei den Locharbeiten von Eduarda Emilia Maino, genannt Dadamaino, übrigens eine der wenigen Künstlerinnen in der Ausstellung, und Paolo Scheggi stellen sich durch die Variationen offensichtliche Zusammenhänge her. Bemerkenswert ist: An kaum einer Stelle hat man das Gefühl, hier wurde noch dazu gehängt, was eben vorhanden war. Immer fügt sich alles zu einer fein austarierten Gesamtkomposition zusammen.

Im Foyer wurde kurzerhand die Bibliothek geräumt, um Platz zu schaffen für luftig gestellte Glas- und Keramikarbeiten, die den Bogen von der Kunst zur Alltagskultur schlagen. In allererster Linie stammen sie aus der Neuen Sammlung, die unter anderem mit einem hübschen Konvolut aus Schalen, Vasen und Teekannen des Designers Ettore Sottsass glänzen kann. Aber siehe da: Auch die Sammlerin Ingvild Goetz besitzt einzelne schöne Objekte von verschiedenen Glaskünstlern aus Murano.

Im Untergeschoss wird es, wie schon erwähnt, nicht nur lustvoll und spaßig, sondern auch gesellschaftskritisch bis politisch. Da sind Arbeiten von Carla Arcadi und Achille Perilli zu sehen, die Ende der 1940er-Jahre mit flammenden Manifesten die Bedeutung der Abstraktion in ästhetischer und gesellschaftlicher Hinsicht verteidigten. Da hängen Werke von Künstlern, die bewusst die Einflüsse anderer Medien wie dem Film aufnahmen, die politische Ausdrucksformen wie das Plakat oder Zeichen der Alltagskultur wie Werbung verarbeiteten.

Michelangelo Pistolettos Spiegelbilder zeigen nicht nur das Bild, sondern fangen auch den Betrachter und den umgebenden Raum ein. Mario Schifanos lackglänzende Markenlogos und Symbole der Alltagskultur wie der Coca-Cola-Schriftzug oder die Chanel-Nummer in der "Propaganda"-Serie oder die "Crash"-Reihe, mit der er Warhols "Car Crashes" zu kommentieren scheint, machten ihn zu einem bedeutenden italienischen Vertreter der Pop Art. Hier waren Konsum und Alltag in der italienischen Kunst der Nachkriegsmoderne angekommen. Auch deshalb ist die Agip-Tankstelle mit dem vielbeinigen, feuerspeienden Tier-Logo so passend - und in der Mitte des Raumes eine echte Schau!

Diese Markenstücke stammen ebenso aus dem Bestand des Münchner Designmuseums wie die bühnenreif inszenierten Objekte im Durchgang zum "Base". Möbel, Radios, Telefone und anderes mehr sind farblich abgestimmt so hübsch im Dunkel illuminiert, dass die Gebrauchsgegenstände gleich doppelt wertig erscheinen. Zugleich zeigt sich aber auch die Lust der italienischen Designer am Experiment mit Form, Farbe und Material. Da wurden Kunststoffe geschäumt und in Formen gegossen, Nylonschnüre gespannt, Holz und Metall mit neuen Kunststoffen laminiert. Wunderbar der Kleiderständer als Kaktus!

Der große fensterlose Raum im "Base" bleibt weitgehend im Dunkel, weil hier auch Videos gezeigt werden. Bilder, vor allem aber Fotos und einige Installationen werden spotartig erleuchtet. In der Mitte thront regelrecht der riesige rote Sessel von Gaetano Pesce. Wenn es etwas an der fabelhaften "Tutto"-Ausstellung zu kritisieren gibt, dann ist es dieser Raum. Seine Größe und die große Zahl der Exponate macht diesen Teil der Schau etwas unübersichtlich. Hier hätte man sich einige Unterteilungen gewünscht, die dann auch einen Rhythmus von helleren und dunkleren Bereichen ermöglicht hätte. Denn nicht nur manche Fotos benötigen weniger Lux, auch einige Möbel. Schaumstoff war ein tolles neues Material, seine Halbwertszeit allerdings deutlich kürzer als gedacht.

Tutto. Perspektiven italienischer Kunst, Sammlung Goetz, Oberföhringer Str. 103, bis 29. Feb., Do-Fr 14-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr, nur nach Anmeldung: www.sammlung-goetz.de oder Tel. 95 93 96 90

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