Zudem ist das Akustikargument nicht zwingend. Warum hat es keines der großen Pariser Orchester in die Weltspitze geschafft? Weil die Akustik der Säle so schlecht ist? Dann dürften auch die drei großen Münchner Orchester keine erstklassigen Truppen sein, da sie alle in mittelmäßigen Sälen spielen müssen. Das Nationaltheater ist klanglich sogar noch schwieriger als der Gasteig. Jeder Musikfreund hört sich ein Konzert lieber in Luzern oder im Amsterdamer Concertgebouw an als im Gasteig. Auch Musiker spielen lieber dort als in München. Aber eine direkte Verbindung zwischen Akustik und Orchesterqualität? Gibt es nicht.
Hinzu kommt, dass Konzertsäle städtebaulich ein Problem sind, da sie nur bei Konzerten besucht werden, ansonsten verödet herumstehen. Dieses Problem umgeht Paris, indem es seine beiden Philharmonien in ein Kunstareal integriert hat, wo dank des Konservatoriums auch tagsüber Menschen zu sehen sind.
Vor allem aber: Der Philharmoniebetrieb wird von einem künstlerisch agierenden Intendanten geleitet, und nicht wie in München von einer Geschäftsführerin, die in erster Linie garantieren soll, dass der geleaste Gasteig Geld einbringt. Intendanten gibt es in den meisten Städten, in Hamburg, Köln, an Frankfurts Alter Oper, dem Châtelet in Paris, am Wiener Konzerthaus. Ein solcher Intendant muss aufs Geld schauen und sich mit den ortsansässigen Ensembles und Veranstaltern arrangieren. Er kann aber auch ein eigenes Programm machen, ungewöhnliche Projekte und junge Musiker holen, die sonst keine Chance hätten. Ergänzt werden solche Aktivitäten durch Festivals wie die Wiener Festwochen oder das Festival d'automne in Paris. Das Zusammenspiel von Intendant und Festival beschert den Städten ein vielseitigeres und interessanteres Angebot, als München es kennt, wo Klassikmainstream und der kalte Musikmarkt dominieren.
Der Pariser Intendant Laurent Bayle hat zudem den Vorteil, neben dem Orchestre de Paris auch noch das Ensemble Intercontemporain und William Christies Les Arts Florissants im Haus zu haben, zwei der weltweit besten Truppen für neue und Barockmusik, die ihren Weltruf trotz schlechter Konzertsäle begründeten. München hat nie solche Ensembles hervorgebracht. Die Gründe sind unklar, aber ein Ruhmesblatt für die Kulturpolitik ist das nicht. Das kleine Freiburg ist da glücklicher, kann es doch mit dem Freiburger Barockorchester und Ensemble Recherche auf Weltniveau konkurrieren.
Während in den letzten Jahren Münchens Glück einzig an einem neuen Konzertsaal zu hängen schien, machte sich niemand Gedanken, ob dessen Fehlen das einzige Defizit einer Klassikmonokultur ist, die sich gern an anderswo reüssierte Musiker hängt. Die kleinkarierte Absage der Politik an den neuen Saal richtet den Blick jetzt auf diese Versäumnisse.
Jetzt also will München Herkulessaal und Gasteigphilharmonie renovieren. Und es besteht zumindest die Chance, dass dies womöglich mit einem akustischen und ästhetischen Zugewinn einhergehen könnte. Auch könnte der Schulterschluss von SPD und CSU irgendwann sogar zu einem gemeinsamen Konzerthausintendanten führen. Sollte CSU-Chef Horst Seehofer dann vielleicht einmal nicht mehr die Geschicke der Bayern lenken, wird sicherlich ein charismatischer und ausdauernder Musikfreund das Projekt wieder angehen. Die Idee eines neuen Konzertsaals ist noch lang nicht aus Welt.