Süddeutsche Zeitung

Konzertsaal-Debatte:Je spektakulärer der Bau, desto höher die Aufmerksamkeit

Allein um die beste Kunst geht es beim Konzertsaalbau nicht. Oft zählen nur Aussehen und Aufmerksamkeit. Dieser Wettlauf wird weitergehen.

Von Reinhard J. Brembeck

Was verbindet das Dorf Blaibach im Bayerischen Wald mit der Millionenmetropole Paris? Bevor der Leser lange herumrätselt, sei die Antwort schnell verraten: In beiden Orten wurde vor etwa drei Jahren ein neuer Konzertsaal eröffnet.

Jetzt pilgern Klassikfreunde aus München regelmäßig nach Blaibach, und die Pariser freuen sich, endlich einen akustisch halbwegs brauchbaren Saal ihr eigen zu nennen, in dem man - das war in der französischen Hauptstadt bisher unmöglich - die U-Bahn darunter nicht rumpeln hört.

Wohin man derzeit blickt, fast überall werden seit Jahren neue Konzertsäle gebaut: Kopenhagen, Tokio, Kattowitz, Sankt Petersburg, Lahti, Dallas, Shanghai. Allein in Deutschland wurden in den letzten zwölf Monaten vier Neubauten eröffnet, in Bochum, Hamburg, Berlin und Dresden. Es ist fast unmöglich, eine Stadt ohne zu finden. Dabei spielt es keine Rolle, ob eine Stadt schon einen oder zwei Konzertsäle hat oder - wie München - sogar überausgestattet ist.

Warum aber wollen alle Städte einen Konzertsaal? Nun, weil man damit fast immer überregional große Aufmerksamkeit erregen kann. Das hat manchmal seinen Preis. Die Elbphilharmonie in Hamburg hat fast 900 Millionen Euro gekostet, der Bau in Paris 381 Millionen. Das sind aber durch Missmanagement erzielte Spitzensummen. Dass es sehr viel billiger geht, hat Bochum mit 38 Millionen gezeigt.

Die Elbphilharmonie verpasst Hamburg das Flair einer innovativen Metropole

Aber selbst ein Rekordpreis wie in Hamburg rechtfertigt sich durch die internationale Aufmerksamkeit. In der Elbphilharmonie wurden seit der Eröffnung im Januar bereits vier Millionen Besucher gezählt. Das von dem Architektenbüro Herzog & De Meuron entworfene spektakuläre Gebäude ist längst das Wahrzeichen der Stadt. Und vor allem: Es verpasst Hamburg das Flair einer experimentierfreudigen, innovativen Metropole. Das hätte früher womöglich nicht jeder sofort mit Hamburg assoziiert.

Um diesen gigantischen Werbeeffekt zu erreichen, braucht es allerdings ein wirklich aufsehenerregendes Gebäude. Konzertsaal-, Opernhaus- und Museumsneubauten sind deshalb zum Spielfeld von Stararchitekten geworden, die hier ihre kühnsten Träume ausleben können. Ihre städtischen Auftraggeber fordern das geradezu. Je spektakulärer der Bau, desto höher die Aufmerksamkeit. Das Opernhaus in Sydney und das Guggenheim-Museum in Bilbao sind die frühesten und erfolgreichsten Beispiele für diese Eyecatcher-Stadtpolitik.

Ein Konzerthaus hat gegenüber einem Museum oder einem Opernhaus den großen Vorteil, dass man für den Betrieb weder eine möglichst hochwertige Kunstsammlung braucht, noch einen teuren Opernbetrieb finanzieren muss. Die Betriebskosten für ein Konzerthaus sind relativ niedrig. Es braucht oft nur einen findigen und gut vernetzten Intendanten, aber nicht unbedingt ein erstklassiges Orchester. Hamburg ist das beste Beispiel dafür. In der Elbphilharmonie treten nur zwei eigene Mittelklasseorchester auf, deren Defizite durch die schwierige Akustik erst recht hörbar werden. Aber allein um die beste Kunst geht es beim Konzertsaalbau eben nicht. Oft zählen nur Aussehen und Aufmerksamkeit. Dieser Wettlauf wird weitergehen.

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Quelle:
SZ vom 30.10.2017
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