Konzertkritik: Justice in Köln:Es ist ein Kreuz

Wo auch immer in einem Club die Menge ausrastet, wird vermutlich gerade Justice aufgelegt. Das Elektro-Duo ist nach Daft Punk der neue Star aus Frankreich. Ein Konzert- und Backstage-Bericht aus Köln.

Ruth Schneeberger

Wir schreiben das Jahr 2003, als die Club-Szene durch einen neuen Sound erschüttert wurde: "Because we are your friends/You'll never be alone again." Damals gab es Justice noch nicht, aber von diesem Moment an gab es ihren Sound. Zwei französische Grafik-Design-Studenten hatten sich für den Remix-Wettbewerb eines Pariser Radiosenders den Song der britischen Band Simian geschnappt und so was von elektronisch aufgepeppt, dass die Elektro-Meute von nun an darauf gierte, mehr von diesem unbekannten Duo zu hören.

Konzertkritik: Justice in Köln: Elektro-Clubhits auf den Spuren von Daft Punk: Das französische Duo Justice.

Elektro-Clubhits auf den Spuren von Daft Punk: Das französische Duo Justice.

(Foto: Foto: Warner Music)

Das bekam der Manager der bis dahin unbestrittenen Elektro-Star-DJs Daft Punk spitz, und weil Pedro Winter gleichzeitig Boss des Elektro-House-Labels Ed Banger ist, nahm der Wahnsinn für die fidelen Pariser von nun an seinen Lauf. Inzwischen sind Justice auf der ganzen Welt zuhause, gelten als legitime Nachfolger von Daft Punk und den Chemical Brothers und machten nun auf ihrer Tour zwischen Tokio und Miami im Kölner E-Werk halt.

Im Zeichen des Kreuzes

Das ehemalige Fabrik-Gelände ist der ideale Ort für eine Justice-Show: Wie von der Kanzel herab schleudern Gaspard Augé und Xavier de Rosnay ihren peitschenden Elektro-Sound der fiebernden Menge entgegen, von der Mitte der Bühne erstrahlt ihr Erkennungsmerkmal, das weithin leuchtende riesige Kreuz.

Darauf werden die beiden ungern angesprochen, sie sind dazu übergegangen, auf die Frage, welche Bedeutung hinter dem überdimensionalen Kreuz steckt, zu antworten: "Only God knows". In Wahrheit aber haben die beiden nicht unreligiösen Pariser fast so viel Arbeit in ihren optischen Auftritt wie in ihre Musik gesteckt, schließlich schlummert in beiden noch der Grafik-Designer, und als sie sich darüber klar wurden, dass Musik und DJs, zumindest für die Jugendkultur, eigentlich inzwischen das sind, was früher die Kirche war, da hatten sie die Idee für ihr ultimatives Erkennungsmerkmal: Es ist ein Kreuz. Völlig schnörkellos, aber stark und leuchtend.

Vor dem Auftritt der beiden neuen französischen Superstars hat einer die Aufgabe, das Volk anzuheizen, der zuvor dafür Pate gestanden hat, dass Justice überhaupt Gehör finden: DJ Mehdi, ebenfalls Teil der französischen Elektro-Szene, war es, der das bis dahin unbekannte Duo auf der B-Seite eines seiner Remixe unterbrachte. Nun ist er die B-Seite und tritt in Justices Vorprogramm auf, doch er macht seine Sache hervorragend: Verglichen mit dem monströsen Bühnenauftritt des Haupt-Gigs wirkt DJ Mehdi auf der Riesen-Bühne als Einzelkämpfer optisch fast verloren, doch er hat selbst so viel Spaß an seinem HipHouse-Sound, dass die Menge gar nicht anders kann als dem wild über die Bühne wirbelnden kleinen Mann zu folgen, und ebenfalls auszurasten.

Ruhe vor dem Sturm

Derweil machen es sich Justice hinter der Bühne bequem: Während der kleinere, jüngere und quirligere der beiden, der unglaublich dünne 26-jährige Xavier, herumwirbelt und die letzten Vorbereitungen trifft, begrüßt Gaspard, 29, Besucher wie alte Freunde, trinkt und offeriert Wodka Red Bull und trägt eine Pudelmütze mit der Aufschrift Amsterdam, die er auf dem Flughafen käuflich erworben hat. Ganz zurückgelehnt wirkt der Mann mit Bart und weißen Schuhen vor dem Auftritt, so als würde er gleich ein gemütliches Sit-In erwarten.

Dabei stehen die Zeichen auf Sturm, denn die Menge grölt bereits, DJ Mehdi hat sie zum Kochen gebracht. Nun sind Justice gefragt, ihren gefeierten Mix aus elektronischem Rock und Funk, barocken Melodien und Kinderchören auf der Bühne zu zelebrieren, und dabei hilft ihnen das Kreuz. Als es aufleuchtet, geht ein Kreischen durch die Menge, als sei sie geblendet worden und dankbar dafür.

Justice haben sich vor Veröffentlichung ihres Albums, das sich Cross nennt und als Titel - wie sollte es anders sein - schlicht ein lateinisches Kreuz trägt, tüchtig in der Musikszene umgetan, unter anderem für Britney Spears, Metallica, Daft Punk und Franz Ferdinand Remixe produziert, so dass sie nun aus dem Vollen schöpfen können, und das tun sie auch.

Never be alone!

Vor der Bühne wird brav ausgerastet, doch insgeheim wollen ihre Fans immer wieder diesen einen Hit hören: "Never be alone". Das merkt man daran, dass er immer wieder gegrölt, schließlich zweimal gespielt wird, und dass die Menge ihn, wo auch immer zwei oder drei in ihrem Namen versammelt sind, auf der Toilette, auf dem Heimweg und auch noch in der überfüllten Bahn, lautstark zum Besten gibt.

Es gibt inzwischen weitaus bessere Lieder von Justice, aber vielleicht liegt es auch am Text dieses eingängigen Songs, dass er immer noch für größte Begeisterung sorgt: "Because we are your friends/You'll never be alone again." Insofern haben Justice ihren religiösen Anstrich durch ihr eigenes Heilsversprechen noch verstärkt: die partywütige Club-Jugend in Gruppentherapie - nie mehr allein.

Eine Stunde lang dauert das Spektakel im ausverkauften E-Werk vor weit angereisten Fans, deren größte Gemeinsamkeit es nicht nur ist, nie wieder allein sein zu wollen, sondern auch, sich völlig zu verausgaben, ähnlich spaßige T-Shirts zu tragen wie Justice in ihren Videos, und dazu Neon-leuchtende abwärts gebogene Piloten-Sonnenbrillen im 70er-Jahre-Stil.

Abgehoben im Starrummel?

Und bevor es am nächsten Morgen für die Franzosen weiter geht nach Hamburg, wo nach Berlin und Köln die Deutschland-Tour auch schon wieder endet, gibt Gaspard hinter der Bühne noch ein paar rudimentäre Deutschkenntnisse zum Besten, die ihm nach neun Jahren Deutschunterricht an der Schule in Erinnerung geblieben sind. Man munkelt, dass Xavier auf der Bühne die ganze DJ-Arbeit macht, während Gaspard sich vornehmlich um die Beleuchtung des Kreuzes kümmert. Man munkelt aber auch, dass Gaspard immer freundlich geblieben ist, während Xavier im Starrummel langsam abzuheben droht.

Auch Manager Pedro Winter schaut noch vorbei, wobei auffällt, dass sich diese französischen Elektro-Jungs zumindest äußerlich doch sehr ähneln: Alle drei tragen schwarze enge Jeans, schwarze Lederjacken und das Haar wild und offen, wirken eher wie Rockstars denn wie DJs. Auch Pedro ist ein DJ, und als solcher legt er unter dem Namen Busy P in dieser Nacht noch in Dortmund auf. Doch da ist Xavier schon längst eingeschlummert und schläft auf der Couch des Garderoben-Raumes den Schlaf des Gerechten.

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