Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Gipfeltreffen des Jazz

"4Wheel Drive" begeistert im Prinzregententheater

Von Oliver Hochkeppel

Klaviergenius Michael Wollny sowieso, auch sein Wunderknaben-Pendant am Schlagzeug Wolfgang Haffner, natürlich der singende Posaunist Nils Landgren und selbst noch Bassist Lars Danielsson - jeder aus der deutsch-schwedischen "Supergroup" 4Wheel Drive hätte es vielleicht auch alleine geschafft, das Prinzregententheater zu füllen. Was andererseits eine Erwartungshaltung aufbaut, die nicht alle solche Gipfeltreffen erfüllen können. Musikalische Harmonie ist eben keine mathematische Gleichung, die automatisch Talent multipliziert. Dass es diesmal funktionierte, zeigt vielleicht schon der Umstand, dass man am Ende den Überblick über die Zugaben verlor, die das nur noch stehende Publikum verlangte und bekam.

Nun kennen sich diese vier Musiker aus den verschiedensten Kombinationen seit vielen Jahren. Haffner war lange der Schlagzeuger in Landgrens Funk Unit, Wollny spielt in Landgrens Quintett und manchmal auch im Duo mit ihm; auch Landgren und Danielsson haben in diversen Projekten miteinander gearbeitet. Und es schadet nie, wenn die Genese einer Band einem Glücksgefühl entspringt, wie es Initiator Landgren vom Schleswig-Holstein-Festival beschreibt, wo sie erstmals so zusammenkamen. Trotzdem blieb ein Hauch von Skepsis angesichts des bereits vorgelegten Albums "4WD". Man wird niemandem zu nahe treten, wenn man feststellt, dass alle vier unter ihren Namen schon Besseres und Spannenderes vorgelegt haben. So clever das Konzept war, sich (abgesehen von jeweils einer eigenen Komposition) an beliebte Stücke von Paul McCartney, Billy Joel, Phil Collins und Sting zu halten - nicht nur vier herausragende Gestalten des Pop, sondern auch Repräsentanten der Instrumente in diesem Quartett -, so arg gefällig schlug sich das dann auf der CD nieder.

Live aber sah es anders aus. Da ergaben diese Songs, die meist nur auf einem oder zwei Akkorden fußen, eben genau die weiße Fläche, auf der Jazzmusiker dieses Kalibers die schönsten Gemälde malen. Wer miterlebt, wie sich Wollny bei Stings "If You Love Somebody Set Them Free" vom Blues über harmonische Verschiebungen und rasende avantgardistische Läufe in orchestrale Wucht hangelt, der glaubt selbst als Atheist an den göttlichen Funken. Wer sieht, wie jeder in Sekundenbruchteilen Ideen der anderen aufgreift und neue kreiert, der begreift die Musik als schönste aller Sprachen. Wer müde kommt, wird von den wilden, rasanten und druckvollen Passagen belebt. Und so richtig zeigt sich die besondere Gabe dieser Vier bei den Pausen, den ganz ruhig eingestreuten Gedanken, den filigranen Pianissimo-Tönen, dem Streicheln der Instrumente, wie es schon zum Einstieg in einer geradezu kühn untertourigen und berührenden Version von Billy Joels "She's Always A Woman" zu hören war. Als Tüpfelchen auf dem i kommt noch die Moderation des immer witzigen ("an den Flanken hab' ich zwei Franken") Sympathie-Bolzens Nils Landgren dazu. Zu einem dieser Abende, an denen man als Kritiker den schönsten Beruf der Welt hat.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2019
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