Konzertkritik:Die sanfte Macht der Viola

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Nils Mönkemeyer und William Youn mit Sonaten von Brahms in der Münchner Allerheiligenhofkirche.

Von Harald Eggebrecht

Der Klang dieses Streichinstruments kennt alle Grade des Leidenschaftlichen, Schwermütigen, des Klagenden oder Bekennenden, aber nie klingt eine Viola oder Bratsche kalt glänzend, gleisnerisch triumphierend, was durchaus zur Welt der Violine dazu gehört. Die Gefahren unzulänglichen Violaspiels liegen eher in Wehleidigkeit, sentimentaler Nachgiebigkeit, stumpfer, näselnder Undeutlichkeit. Doch, hört man die großen Violaspielerinnen und -spieler unserer Tage, dann kann sich wohl niemand der Wärme, Inständigkeit und sanften Macht dieser Welt aus gleichsam Alt- und Mezzosopranklängen entziehen.

Kaum zu glauben, dass es einmal Zeiten gab, in denen die Viola "nur von Geigern gespielt wurde, die zu schlecht waren, um in Orchestern einen Platz als Geiger zu ergattern". So hat Lionel Tertis die Situation der Bratsche am Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben. Ähnlich wie Pablo Casals für das Violoncello oder Andres Segovia für die klassische Gitarre wurde Tertis zum Vater des modernen Violaspiels. Seit Tertis' Auftreten und Wirken gibt es den Bratschisten als traurigen Verwalter klanglicher, rhythmischer und intonationsmäßiger Armseligkeiten nurmehr im riesigen Konvolut von Witzen über Bratscher. Die pflegen und sammeln übrigens sie selbst inzwischen liebevoll.

Sprechende Melancholie: zwei späte Sonaten von Johannes Brahms wurden hier Ereignis

Längst gibt es Viola-Stars wie etwa Yuri Bashmet, Tabea Zimmermann, Tatjana Masurenko, Kim Kashkashian, Antoine Tamestit oder eben Nils Mönkemeyer. Leider haben dennoch reine Viola-Recitals immer noch Seltenheitswert, obwohl die Komponisten die Viola dank ihres spieltechnischen und musikalischen Aufschwungs schon lange als Inspirationsquelle nutzen, und so eine höchst anspruchsvolle und vielfältige Literatur für die Bratsche entstanden ist und unvermindert weiter wächst.

Nils Mönkemeyer, Jahrgang 1978, seit 2011 auch Professor an der Münchner Musikhochschule, bot zusammen mit dem ausgezeichneten Pianisten William Youn einen Abend in der Münchner Allerheiligenhofkirche, den man fast unter ein Celibidache-Motto stellen möchte: "Das Wesen der Musik ist ihr Verschwinden." Vor allem die beiden späten Sonaten Op. 120, die Johannes Brahms einst für den Klarinettisten Richard Mühlfeld schrieb, aber auch für Bratsche autorisierte, wurden hier zum Ereignis. Die erste in f-moll beginnt dramatisch dunkel, der Dialog zwischen Viola und Klavier steigert sich in heftigen Ausbrüchen, bis jene Perspektive sich öffnet, die ins Schmerzlich-Wehmütige reicht, als ob die Landschaftlichkeit dieser Musik ins immer Fernere gerät. Das verstärkt sich im innig gebotenen Andante, bei dem alle Phrasen aufs Verklingen, Nachsinnen, An-den-Horizont-Rücken und Verschwinden ausgerichtet sind.

Die Es-Dur Sonate, die letzte Kammermusik, die Brahms komponierte, hat hellere Farben, kennt aber auch ein irritierendes Tasten von Klavier und Bratsche ins gleichsam Leere. Mönkemeyer und Youn entfalteten auch in diesem Werk jene Landschaftlichkeit mit ihren Verschattungen und plötzlichen Abbrüchen, ihren weiten Ausblicken und ihrem allmählichen Entschwinden, jene "sprechende" Melancholie, der niemand so beredt Ausdruck zu geben wusste wie Johannes Brahms.

Neben den beiden Sonaten wirkten die Violaversionen zweier Ungarischer Tänze natürlich leichtgewichtig. Dafür zeigte Youn mit zwei frühen Klavier-Balladen von Brahms, wie sehr er sich in diese Welt aus Verinnerlichung und manchmal heroischem Aufbäumen versenken kann. Weniger eindringlich und bei aller Noblesse etwas blass gelangen Robert Schumanns Fantasiestücke, die Schumann zuerst auch für die Klarinette erdacht hatte. Berühmt wurden sie vor allem in der autorisierten Celloversion. Wie dem auch sei, der sonore Zauber der Bratsche wirkte bei Brahms unmittelbar.

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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