Süddeutsche Zeitung

Konzerte: Cohen und Simon in Lörrach:Zen-Mönch mit Sporthut

Der Schlüssel unserer Existenz: "Du-damm-damm". Zwei Sänger-Legenden, Paul Simon und Leonard Cohen, beim Stimmen-Festival - und in der Konzertkritik.

Kurt Kister

Legenden eins. Kris Kristofferson, gerade auf Europa-Tournee, sagte einmal, er wolle drei Zeilen aus einem Cohen-Song als Grabinschrift: "Like a bird on the wire, like a drunk in a midnight choir, I have tried in my way to be free."

Legenden zwei. Paul Simon, gerade auf Europa-Tournee, singt gegen den Lärm seiner Band an. Seine fragile Stimme verliert sich etwas in der Restmusik dieser nassen Nacht über dem Marktplatz von Lörrach. Der Song heißt "Train in the distance": "Der Gedanke, das Leben könnte besser sein, ist unauslöschlich in unseren Herzen und Gehirnen verwurzelt." Ist er das wirklich?

Simon war schon immer ein melancholischer Optimist. An diesem Abend trägt er einen kleinen Sporthut und sieht aus wie einer, der für Corrado Soprano in New Jersey Sportwetten kassiert.

Ausdruckstarke Rabenstimme

Legenden drei. Leonard Cohen, gerade auf Europa-Tournee, mag nicht aufhören. Es geht auf elf zu und er steht seit acht auf der Bühne. Der ganze Marktplatz, 5000 Leute dichtgedrängt, skandiert: ". . . and then WE TAKE BERLIN!". Cohen wiederholt den Refrain mit großem Vergnügen. Seine Stimme, im Reich der Rabenvögel und Krähen längst die ausdrucksstärkste, beherrscht die Szenerie.

Auch er trägt, wie Paul Simon einen Abend später, einen Sporthut. Er aber sieht aus wie Leonard Cohen, alterslos, Zellaktivator-Träger, Zen-Mönch im Ruhestand. Er ist das beste Beispiel, warum man in der Jugend, also so etwa bis 49, traurig und grauironisch sein muss, um im reifen Alter so zu werden wie der 73-jährige Leonard Cohen.

Eine interessante Idee: An zwei Abenden hintereinander treten Cohen und Simon auf. Beide haben Dutzende Songs geschrieben, die seit Jahrzehnten von Hunderten gecovert werden. Ist ein Leben ohne "Suzanne", ohne "The Boxer", ohne "I'm your Man", ohne "Graceland" möglich? Wahrscheinlich schon, aber wenn man überlegt, wen diese Songs alles nicht geprägt haben - Osama bin Laden zum Beispiel, den Generalfeldmarschall Hindenburg oder auch Miro Klose - dann gehört man schon lieber zu den anderen, den So-long-Marianne-Geprägten.

Der Ort: Lörrach, Marktplatz. Die Fußgängerzone ist ein gutes Beispiel dafür, dass entschlossene Stadtplaner auch in einer nicht vom Krieg zerstörten Stadt allerhand anrichten können. Jedes Jahr gibt es hier das Stimmen-Festival, eine ambitionierte Veranstaltung im alemannischen Südwesten mit viel, im weitesten Sinne Ethno-Musik und etlichem, das sich zielgenau richtet auf Freiburger Wohngemeinschaften und manchmal auch nur an die Erinnerung daran.

Der Besucherandrang in Lörrach ist ganz o. k. bis unheftig. Seit Monaten ausverkauft war nur Leonard Cohen, der zuletzt 1993 in Deutschland auftrat. Der Kanadier Cohen, von den Amis nie richtig wahrgenommen, hat eine europäische Fangemeinde, die an ihn glaubt ("Halleluja"), irgendwie mit ihm auf Hydra war, und außerdem weiß, was Janis Joplin mit ihm im Chelsea Hotel gemacht hat, während unten die Limousine wartete.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Paul Simon es in Lörrach schwerer hatte.

An diesem Abend waren die einen da, weil er so lang nicht mehr hier war, und die anderen, weil man nicht wusste, ob er nochmal kommen würde, und die dritten, die jüngeren, weil sie seine Lieder von anderen kannten und weil sogar der Papa manchmal was von Cohen summt.

Er enttäuschte keinen. Es war der großartige Auftritt eines Populärpoeten, der immer noch für das Lächeln des Publikums arbeitet, wie er das nach drei Stunden selbst sagte. Und es war eine eindrucksvolle Reise durch das weite Land von Folk, Rock, Ethno und etwas Blues, so wie es in den vergangenen 40 Jahren geworden ist.

Cohens erste Platte kam 1968 raus, seine bisher letzte CD 2004. Als er in den Siebzigern das erste Mal mit Hintergrund-Sängerinnen ankam, wollte man ihn nie wieder hören. Tja, nie wieder: In Lörrach hatte er drei wunderbare Sängerinnen dabei. Als die mit ihm "The Future" aus dem Jahr 1992 darboten, befahlen sie immer wieder: "Repent! Repent!"("Bereut!").

Das ging durch Mark und Bein und fast meinte man, der buddhistische Jude Cohen sei ein Gehilfe von Savonarola, obwohl da nur einer am Werk war, der für einen Song lang verzweifelte, der angesichts einer noch mörderischeren Zukunft Stalin oder wenigstens die Mauer zurückhaben will.

Cohens Lieder waren immer politisch, gelegentlich abgeklärt lüstern und manchmal so sentimental, wie es der Zuhörer gerade sein wollte oder musste. Alles das gab es auch in Lörrach - 23 Songs, drei Zugaben, ein Konzert wie es sein soll. Ach, lasst uns nicht von Liebe sprechen oder von Ketten oder von anderen Dingen, die man sowieso nicht lösen kann.

Fast mitreißend

Und wer immer noch nach dem Sinn des Daseins sucht, dem sagt der Meister schon, worin der liegt. In Lörrach tat er es zur Melodie von "Tower of Songs", bei der die Frauen das "Du-damm-damm" zwei, drei Minuten durchhielten. Genau das ist der Schlüssel zu unserer Existenz, sagte Cohen: "Du-damm-damm".

Paul Simon, Jahrgang 1941, ist ebenfalls ein großer Protagonist des Du-damm-damm, das er allerdings deutlich routinierter darbietet als Cohen am Abend zuvor. Simons Weg vom Songwriter Duo Simon and Garfunkel bis zum Weltmusik-Rocker und wieder halb zurück, ist gewundener als der von Cohen.

Paul Simon ist vielseitig, und es scheint, als habe er für jeden Lebensabschnitt einen anderen Musikstil. Das Repertoire, und damit auch sein Leben, reicht von "The Sounds of Silence" über "Me and Julio Down by the Schoolyard" . . . bis zu "Diamonds on the Soles of Her Shoes".

In Lörrach hatte es Simon schwerer als Cohen, schon allein weil es an seinem Abend lange und ausgiebig regnete. Das Publikum hatte bekapuzte Plastikponchos bekommen und erinnerte deswegen an den Schwarzwald-Ku-Klux-Klan. Die Funken mochten bei der Feuchtigkeit nicht so recht überspringen.

Am Anfang, eine Stunde später als Cohen abends zuvor, war es ein bisschen zäh. Simon verzog kaum eine Miene, der Dialog mit dem Publikum erschöpfte sich zunächst in einigen Thank-yous. Je länger der Auftritt dann allerdings dauerte, desto mehr hatte man das Gefühl, auch Paul Simon hatte größeren Spaß an dem, was er da macht.

Der Star-Faktor war bei Paul Simon größer als bei Cohen. Simon hatte in den USA immens erfolgreiche Konzerte gegeben, wenn die auch schon etwas länger her sind. Manches in Lörrach klang etwas sonderbar, beispielsweise eine dem Jazzrock benachbarte Version des Klassikers "Mrs. Robinson". Anderes wiederum, gerade etliche Nummern aus der "Graceland"-Zeit, boten die Mannen um Simon präzise, sehr rhythmisch und manchmal sogar fast mitreißend dar.

Wenn Paul Simon zwischendurch ganz allein auf der Bühne stand und den Sechzigern hinterhersang, war das einerseits schön, weil es so war wie früher. Andererseits aber sah man ihm an, dass dieses Früher nun wirklich nicht mehr sein Heute war - trotz des großen gemeinschaftlichen Leilalei-leilalala-leilalei bei der Zugabe. Wenn Paul Simon also mal wieder kommt, kann man schon hingehen. Bei Leonard Cohen dagegen ist das Hingehen nahezu Pflicht.

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Quelle:
SZ vom 29.7.2008/gw
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