Konzert:Wie in Trance

Jisr Mohcine Ramdan

"Jisr" - hier in erweiterter Besetzung. Mohcine Ramdan (Mitte) spielt die Gimbri, die Langhalslaute der Gnawa.

(Foto: Ali Malak)

Mohcine Ramdan hat mit seiner Band "Jisr" ein beachtliches musikalisches Netzwerk aufgebaut, bereitet ein Doppel-Album vor und promoviert nebenbei

Von Christian Jooß-Bernau

Eigentlich wollte er das mit der Sprache gar nicht. Sie aber ist der Grund, dass er nach Deutschland kam. Das mit der Musik war dann auch Zufall - und nahm in München seinen Anfang, als er plötzlich mitten auf der Bühne saß. Jisr heißt heute, ein paar Jahre später die Gruppe von Mohcine Ramdan. Jisr wie Brücke. 2016 hat der Marokkaner Ramdan zusammen mit zwei geflüchteten Syrern, die an der Musikhochschule in Damaskus studiert hatten, ein Trio für klassische arabische Musik gegründet. Außenminister Steinmeier lud sie 2017 nach Stuttgart ins Institut für Auslandsbeziehungen zu einem Festakt ein. Konstantin Wecker hat sie gebeten, mit ihm zu spielen und die Bayerische Philharmonie. Jisr war das musikgewordene Ensemble einer gesellschaftlichen Entwicklung und Ramdan plötzlich der Mann, der Auskunft geben musste zu allen Fragen der Integration.

Mohcine Ramdan aber spricht nicht gut deutsch - er spricht es perfekt und hat mehr Ahnung von dieser Sprache als die meisten Deutschen. Ramdan arbeitet am Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache und am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik. Die ersten 160 Seiten seiner Dissertation sind fertig. Im April will er sie abgeben. Um kontrastive Semantik geht es, konkret um "kulturspezifische Bedeutungsnuancen" von konkreten und abstrakten Begriffen. Noch konkreter: Was verbinden arabische, deutsche und französische Sprecher beispielsweise mit dem Wort "Freiheit"?

Als Sohn eines Gastarbeiters wurde Ramdan in Libyen geboren, ist aber in Marrakesch ins Gymnasium gegangen. Organisatorisch griff man dort rigoros durch und teilte ihn für die zweite Fremdsprache der Deutschklasse zu, ohne dass Ramdan irgendeinen Wunsch verspürt hätte, diese merkwürdige Sprache zu lernen. Als sein Protest gehört wurde, war das erste Jahr fast schon rum. So blieb er eben dabei - achselzuckend. Bis zum Ende des Gymnasiums war aus dem Achselzucken Begeisterung geworden, und Ramdan studierte Deutsch in Rabat, um danach noch einmal zum Studium nach Deutschland zu gehen.

Die Geschichte seines ersten Auftritts in München beginnt mit einem Zettel an der Uni, auf dem Embryo ein Konzert mit einem Gnawa-Meister ankündigten. Über marokkanische Medien hatte Ramdan aber erfahren, dass der Vater des Meisters gestorben war, weshalb er nur zur Tür der Galerie Kullukcu hineinspitzte, um vom schmalen Studentengeld keinen Eintritt zahlen zu müssen, und Auskunft über des Meisters Verbleib erbat. Dieser, so sagte ihm Embryo-Chef Christian Burchard, sei verhindert, und Ramdan wollte sich schon zum Gehen wenden, als sein Studienfreund an Burchard gewandt tönte, Ramdan spiele ja selber die Gimbri. Dies änderte mit einem Schlag Burchards Plan für den Konzertabend, der kurz darauf mit einem entsetzlich nervösen Ramdan in der Mitte der Bühne begann, gerahmt von über zwanzig erwartungsfrohen Embryo-Musikern.

Der Kontakt zu Burchard hat ihm den Weg in die Szene geöffnet. Ein Netzwerk breitet sich heute hinter Jisr aus, die im Kern immer noch ein Trio sind, mit Roman Bunka, dem Münchner Oud-Virtuosen und Gitarristen, und dem Bratscher Ehab Abou Fakher. In der Milla spielen sie am 31. Januar in erweiterter Besetzung, zu der auch Wolfi Schlick von der Express Brass Band und Severin Rauch, Schlagzeuger von Monobo Son, gehören. Und Marja Burchard, die Tochter von Christian Burchard, die nach dessen Tod die wilde Pflanze Embryo weiterwachsen lässt. Gerade unterschrieben haben sie einen Plattenvertrag bei Enja. Eine Doppel-CD soll es werden, die die zwei aktuellen Jisr-Besetzungen zusammenbringt.

Im Gasteig ist Jisr am 23. Februar in der Black Box mit einem Programm aus klassischen und eigenen Stücken zu hören, das als Reise von Kabul bis Buenos Aires angelegt ist und mit Unterstützung vieler Freunde funktioniert. Hier spielen neben anderen der Nuevo-Tango-Gitarrist Luis Borda, der Kontrabassist Dino Doneff, der Paraguayaner und Harfenist Kiko Pedrozo und der Schlagzeuger Matthias Gmelin mit.

Schon Mohcine Ramdan selber vereint in sich ja zwei ganz unterschiedliche Kulturen Marokkos. In seiner Familie wurde klassische arabische Musik gehört, er selber spielt die Bendir, eine Rahmentrommel. Aber dann ist da eben noch die Gimbri aus der Kultur der Gnawa, deren Musik man in seiner Familie etwas misstrauisch als die einer niedrigen sozialen Schicht betrachtete. Die Gimbri ist eine Langhalsbasslaute. Über ihren Körper ist die ungegerbte Haut eines Kamelnackens gespannt. Gespielt wird sie mit perkussiver Zupftechnik. Ursprünglich kommen die Gnawa aus dem Bereich der Subsahara und wurden als Sklaven nach Nordafrika verschleppt. Ihre Musik ist untrennbar mit Ritualen verbunden, an denen Mohcine oft teilgenommen hat. Die Gimbri ist Werkzeug zur Beschwörung von Geistern und Dämonen. In Trance treten die Teilnehmer des Rituals in Verbindung mit einem ihnen zugeordneten anderen Wesen. Der Trancezustand ist an Farben gebunden, die jeder während des Rituals neu und individuell erfühlt. Rahmdan hat gesehen, wie Menschen kochendes Wasser getrunken haben, sagt er, wie sie sich mit Messern an Armen und Zunge schnitten. Ernsthaft verletzt wurde niemand.

Die Dimension der Rituale reicht tief in die Vergangenheit. Es gibt die Deutung, dass die Qarqaba, Kastagnetten aus Eisen, die mit ihrem Klappern die Musik rhythmisch begleiten, den Klang der Sklavenfesseln zurückbringen, so, wie er bei den Märschen durch die Wüste zu hören war. Die traumatische Geschichte der Gnawa wird über Musik und Rhythmus zugänglich. Um "kollektive Trauerbewältigung" gehe es, um "Heilung", sagt Ramdan. Was man im Gespräch mit ihm erschließt ist nur ein kleiner Ausschnitt eines religiös-ekstatischen Systems, in dem sich Ramdan auch als sensibler Kulturwissenschaftler bewegt.

Wer das versteht, weiß, warum die populäre Variante der Weltmusik bei ihm nicht zu haben ist. Ramdan will nicht der Exot sein, den sich andere für ihre Musik als Farbfleck einkaufen. Er spürte, dass ihn nach den ersten Erfolgen mit Jisr manche benutzten, weil sich so ein Flüchtlingsding gut macht. "Greenwashing" nennt er das. Als Gewährsmann für Integrationsfragen sah er für sich keine Zukunft: "Man bleibt und verhungert in solchen Zirkeln, wird nur zu solchen Veranstaltungen eingeladen."

Und so machen Jisr jetzt einfach Musik, die offensiv mit der Andersartigkeit umgeht und zum Ziel habe, dass die Hörer an das Unbekannte andocken. Mit ihren Kontakten sind Jisr jetzt schon ein Bestandteil der Münchner Musikszene: "Für mich", sagt Ramdan, ist Integration, wenn du mich in deine bestehenden Strukturen einbeziehst."

Jisr, Do., 31. Januar, 20 Uhr, Milla, Samstag, 23. Feb., 20 Uhr, Black Box (Gasteig)

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