Konzert von Charles Aznavour:Schlurfender Geburtstagstanz

Charles Aznavour Konzert am 90. Geburtstag

Charles Aznavour bei seinem Konzert in Berlin

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

An seinem 90. Geburtstag hat Charles Aznavour in Berlin ein Konzert gegeben, das an seinem Alter zweifeln lässt. Der große kleine Chansonnier singt und tänzelt, als sei er um Jahrzehnte jünger. Am Ende bricht er sogar mit einer alten Gewohnheit.

Von Kathleen Hildebrand, Berlin

Der erste, der singt, ist nicht Charles Aznavour. Als der kleine weißhaarige Mann auf der Bühne erscheint, singt eine Männerstimme aus dem Publikum: "Happy Birthday", und der Rest der 3500 Gäste fällt mit ein. "Happy Birthday, lieber Cha-harles", beim letzten Ton steht der ganze Saal: Standing Ovations noch vor dem ersten Wort des Künstlers, der an diesem Abend seinen 90. Geburtstag feiert.

Ein Ball fliegt auf die Bühne, ein Blumenstrauß, es dauert, bis der Applaus verebbt. Aber Charles Aznavour legt einfach los, mitten ins Klatschen hinein. Sentimental ist hier erstmal nur das Publikum. Aznavour, der routinierte Entertainer, hat für solche Gefühle seine Lieder. Er tritt auf, weil er singen möchte - nicht, um sich feiern zu lassen.

Dass er den Abend mit "Les Emigrants" beginnt, ist sicher kein Zufall. "Was glaubst du, wie sie hergekommen sind? / Mit leeren Taschen, die Hände nackt". Aznavours Eltern waren als armenische Einwanderer nach Paris geflohen. Sicher auch deshalb ist er immer ein politischer Künstler gewesen. Etwa 50 Lieder habe er in seiner Karriere geschrieben, um die Franzosen zu schockieren, sagt er später. Wenn jetzt Einwanderer aus Afrika und Syrien im Mittelmeer ertrinken, dann fängt Charles Aznavour natürlich nicht mit einem Liebeslied an, sondern mit diesem Chanson über Entbehrung, Leid und Gefahr.

Sehnsuchtsfinale mit großen Gesten

Für Liebeslieder ist in den anderthalb Stunden, die folgen, noch Zeit genug. Und die Kraft für seine herausgeschrienen Sehnsuchtsfinale hat Aznavour auch mit 90 Jahren noch, "Paris, au mois d'août" singt er mit großer Verve und ebenso großer Geste: Er ballt die Faust, öffnet die Arme wie ein Gymnast, der nach großer Kür am Reck wieder auf dem Boden landet. Auf dem Lehnenhocker, den er sich manchmal etwas ruppig zum Mikro zerrt, hält es Charles Aznavour nie länger als ein halbes Lied. Beim sanft swingenden "Joue contre joue" tanzt er mit sich selbst und gegen die eigene Hand geneigter Wange über die Bühne, zu "Les Deux Gitares" legt er einen schlurfenden Flamenco hin.

Dass hier ein Neunzigjähriger auf der Bühne steht, hat man schnell vergessen. Siebzig vielleicht, das würde man ihm abnehmen. Erst gegen Ende gibt er sich eine kleine Blöße, verhaspelt sich, als er seinen Liedtext vom Teleprompter abliest. Aber da kommt ihm die Gelassenheit der angesammelten Jahre zu Gute: "Wir tun einfach so, als wären wir im Fernsehen", sagt er fröhlich. "Da ruft jemand 'Cut', die Leute müssen klatschen, und der Künstler fängt nochmal von vorne an."

Alle Nostalgie hilft nichts

Charles Aznavour war immer auch Schauspieler - nicht nur in seinen siebzig Filmrollen, sondern genauso auf der Bühne, wo er ja auch immer mehr Geschichten erzählte, als dass er sang. "Comme ils disent", singt er, seit das Lied 1972 zum Skandal-Erfolg wurde, immer auf dieselbe, leicht szenische Weise. Auch in Berlin schlingt er wieder die Arme um den Oberkörper, macht sparsame, flatternde Gesten mit der Hand und singt diese anrührende Geschichte eines einsamen Homosexuellen, als sei sie seine eigene.

Gerade bei intimen und ergreifenden Chansons wie diesem wird die einzige Schwäche des Abends deutlich. Es ist nicht so sehr der unpersönliche Sitzreihenkessel der O2-World - den könnte die Verve dieses kleinen Mannes problemlos mit Leben füllen. Doch die Musik scheint der Kraft der Lieder nicht ganz zu trauen - und das schwächt ihre Wirkung. Ein lautes Schlagzeug peitscht den immer gleichen Dreivierteltakt durch, das Keyboard überkleistert Aznavours Gesang mit synthetischen Violinenklängen - bei "Ave Maria" drückt der Keyboarder sogar auf den Orgel-Sound-Knopf - und die Background-Sängerinnen schlagersäuseln ihre Echos dazwischen.

Das ist schade und kratzt ein bisschen am Glanz dieses Abends, an dem man sich doch eigentlich in die wilden, kunststrotzenden Sechziger am linken Seine-Ufer zurückträumen möchte. Aber ja, die Zeit vergeht und kommt nicht wieder, da hilft alle Nostalgie nichts. Vom "flüchtigen Schatz der Jugend" redet Aznavour dann im Lauf des Abends auch immer häufiger.

Richtig rührend ist dann aber das große Finale: Zu "Emmenez-moi" strömen plötzlich Dutzende Zuschauer zur Bühne vor und drücken Aznavour Blumensträuße in die Hand. Mit einem besonders großen gelben tänzelt er hinter die Bühne, wirft Kusshände in den Kessel und verschwindet. Eine Zugabe gibt der große kleine Sänger dann gegen alle Gewohnheit, wie er sagt, auch noch: "Ich mache das sonst nie. Ich komme nie zurück." Ein Konzert am 90. Geburtstag ist eben doch eine sentimentale Angelegenheit.

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