Süddeutsche Zeitung

Konzert und Musikwissenschaft:Zu den Wurzeln des Erfolgs

Raphaela Gromes und Julian Riem spielen erstmals vor Publikum eine bis jetzt fast nur der Fachwelt bekannte Urfassung von Richard Strauss' Cellosonate

Von Egbert Tholl

Strauss ist schuld. Im Jahre 2012 lernten sich Raphaela Gromes und Julian Riem kennen. Sie spielte Cello beim Richard-Strauss-Wettbewerb, er war dort der offizielle Klavierbegleiter. Am Ende hatte sie gewonnen, und ein Klavier-Cello-Duo war entstanden, das gleich danach noch beim Strauss-Festival in Garmisch spielte. Beim Preisträgerkonzert. Und das Stück, um das es ging, ist die Cellosonate von Richard Strauss, op. 6, von 1983, ein berühmtes Stück, auch weil es von Strauss nicht viel Kammermusik gibt. Das meiste davon schrieb dieser, als er noch jung war.

Lange Zeit glaubte die Klassikwelt, die Cellosonate ist die Cellosonate und damit Schluss. Das glaubten auch Gromes und Riem, nachdem sie die Sonate schon mehr als 100 Mal gespielt hatten. Doch dann verabschiedete sich Brigitte Fassbaender von der Leitung des Richard-Strauss-Festival und lud alle Künstler, die sie über die Jahre lieben gelernt hatte, zu einem letzten großen Konzert ein.

Bei diesem waren nun auch alle namhaften Strauss-Wissenschaftler anwesend, und die hatten eine interessante Frage an Gromes und Riem. Ob die denn wüssten, dass es von dieser Sonate eine frühere Fassung gebe? Nein, wussten sie nicht, woher auch. Denn diese Fassung war noch nie gedruckt worden, existierte lediglich in zwei Manuskripten, wovon die wissenschaftliche Fachwelt wusste, es aber niemandem gesagt hatte, weil, solange das Urheberrecht galt, man die Noten ohnehin nicht einfach so edieren durfte. Doch Strauss starb 1949, das heißt, nun sind die Rechte frei. Und da gerade Hartmut Schick, der Leiter des musikwissenschaftlichen Instituts der LMU München, die neue kritische Gesamtausgabe der Werke Strauss' betreut und man dort über die Chance einer Erstveröffentlichung eines echten Strauss-Werks aus dem wissenschaftlichen Häuschen war, machten sich Florence Eller, Stefan Schenk und Andreas Pernpeintner daran, die Urfassung zu edieren. Diesen Freitag kann man das Stück nun zum ersten Mal hören, in der Großen Aula der LMU, gespielt natürlich von Gromes und Riem (20 Uhr, Eintritt frei). Bei dem Konzert nutzt Julian Riem auch gleich den Wegfall des Urheberrechts - 70 Jahre nach dem Tod eines Autors -, um eine von ihm selbst arrangierte Walzerfolge zu präsentieren, zusammen mit Gromes und der Geigerin Lena Neudauer.

Strauss hat wenige seiner Werke nach deren Vollendung überarbeitet, das macht ein Genie nicht. Doch in der Jugend sah er das noch anders. Ende 1880 schrieb die Neue Zeitschrift für Musik einen Kompositionswettbewerb aus, an dem sich der junge Strauss beteiligte, aber leer ausging. Prämiert wurden Komponisten, die heute keiner mehr kennt. Nicht nur der Misserfolg, auch die zu vermutende Kritik vom Papa und von dem mit der Familie befreundeten Cellisten Hans Wihan spornten Strauss an. Er baute die Sonate um und ließ dabei kaum eine Note neben der andern. Die Sätze zwei und drei komponierte er vollständig neu, in ihnen findet man nur noch Spurenelemente der Erstfassung. Im ersten behielt er die Struktur bei, aber auch nicht viel mehr.

So wurde die Sonate gedruckt, erschien 1983 und wurde ein enormer Erfolg, ist es bis heute. Aber war die Urfassung schlecht? Das verneinen Raphaela Gromes und Julian Riem beherzt. Während zum Beispiel in der Zweitfassung der zweite Satz zutiefst traurig, fast depressiv sei - Strauss hatte sich zwischenzeitlich mit der Macht jugendlicher Verzweiflung in die Gattin des Cellisten Wihan verliebt -, ist er in der Urfassung licht und leicht. "Das zu spielen ist toll", so Gromes. Der dritte Satz der Urfassung hat eine fulminante Schlusswirkung, das probierten Riem und Gromes schon im privaten Rahmen aus. Tatsächlich nimmt er die virtuosen Grundgedanken des Kopfsatzes auf, lässt deutlich Mendelssohn als Inspirationsquelle erahnen, mündet in eine rasante Coda. In der Zweitfassung von 1883 hat man immer den Eindruck, da sollte noch ein Satz kommen, den es aber nicht gibt.

Eine kritische Neuedition braucht Musiker, um Fehler zu vermeiden. Riem beispielsweise spielt seit vier Jahren die Lieder-Notentexte durch, bevor sie gedruckt werden. Die Praxis wandert in die Wissenschaft. Nun widmeten sich beide der Ur-Sonate, nahmen sie auch gleich für Sony auf CD auf - diese erscheint in den nächsten Tagen. Beim Konzert kann man sie schon kaufen, die Noten liegen zur Ansicht aus.

Inzwischen sind zahlreiche Cellisten hinter der Urfassung her, die vermutlich ohne das fabelhafte Duo Gromes-Riem immer noch vor sich hinschlummern würde. Warum zum Beispiel im nächsten Sommer beim Richard-Strauss-Festival ein anderer den Cellopart spielen wird, nicht Gromes, ist ein Rätsel tieferen Unsinns. Nun, vielleicht kann es ihr wurscht sein, sie spielt die Weltpremiere, live und auf CD. Und am 8. März mit dem Münchener Kammerorchester im Prinzregententheater.

Raphaela Gromes und Julian Riem, Fr., 24.1., 20 Uhr, LMU, Große Aula; Raphaela Gromes und das Münchener Kammerorchester, So., 8.3., 15.30 Uhr, Prinzregententheater

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Quelle:
SZ vom 24.01.2020
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