Süddeutsche Zeitung

Konzert:Türkische Pop-Geschichte

Anatolischer Psychedelic-Rock aus Amsterdam in der Milla

Von Jürgen Moises

Wenn man die Musik auf dem Debütalbum "On" von Altin Gün hört, könnte man deren türkischsprachigen Psychedelic-Rock für einen wiedergehobenen Schatz aus dem vergangenen Jahrhundert halten. Tatsächlich ist "On" kein Plattenladenfund, sondern die postmoderne Retrovariante dessen, was türkische Musiker wie Neşet Ertaş, Selda Bağcan, Erkin Koray oder Barış Manço in den 1970ern gemacht haben. So kommt auch die Band selbst nicht aus der Türkei, sondern ist 2016 aus der Leidenschaft des niederländischen Bassisten Jasper Verhulst für anatolischen Rock heraus entstanden. Mit der Hilfe von Mistreitern, die Verhulst von Amsterdam aus per Facebook-Inserat gefunden hat.

Darunter sind mit der Sängerin Merve Dasdemir und dem Saz-Spieler, Keyboarder und Sänger Erdinc Yildiz Ecevit tatsächlich auch zwei türkischstämmige Musiker. Hinzu kommen der britische Gitarrist Ben Rider und die in Amsterdam lebenden Gino Groeneveld und Nick Mauskovic an Percussion und Schlagzeug. Gemeinsam frönen sie nun unter dem Namen "goldener Tag", was Altin Gün auf Türkisch heißt, dem anatolischen Rock und sind damit ziemlich erfolgreich. Ihr Album ist beim Genfer Spezialitäten-Label Bongo Joe erschienen, das sich unter anderem auch spanischem 80er-Jahre-Wave- und afrokubanischen Space-Sounds widmet. Außerdem tourt die Band sehr fleißig durch Europa, war kürzlich in Kanada und ist nach interessanterweise auch in Istanbul gefeierten Konzerten nun an diesem Dienstag in der Milla zu erleben.

Bei den meisten Stücken von Altin Gün handelt es sich um Neubearbeitungen türkischer Lieder. Wie etwa von den genannten Erkin Koray und Selda Bagcan, die in den 70ern türkische Volksmusik mit Rock, Funk und Psychedelia fusioniert haben. Eine noch wichtigere Vorbildfigur ist Neşet Ertaş. Der 1938 geborene und 2012 gestorbene Musiker gilt als eine Art Leonard Cohen der Türkei. Viele seiner Songs gelten heute als Standards und werden nicht nur von Altin Gün nachgesungen und gespielt. Sie sind gewissermaßen zu Volksliedern geworden, die Altin Gün ins 21. Jahrhundert holen und ihnen mit einer Prise Funk, R'n'B oder Anflügen von Hip-Hop ein neues Gewand geben. Was aber nie aufgesetzt, sondern meist sehr schlüssig und vor allem live sehr tanzbar klingt.

Veranstaltet wird das Konzert, bei dem die "Moon Gaze Psych Pop"-Band Holy Motors aus Estland und die Indiepop-Band Teer & Federn aus München im Vorprogramm spielen, von Grotto Terrazza und Tapefruit alias Thomas Schamann und Matthias Schmidt. Die beiden organisieren seit vier Jahren Konzerte und bringen einmal im Jahr das Tapefruit-Magazin heraus, das sich im Wesentlichen um Münchner Untergrundphänomene kümmert. Unter den Künstlernamen Grotto Terrazza und Sigtrygg sind Schamann und Schmidt auch als Elektronikkünstler unterwegs. Außerdem spielt Schamann bei der renommierten Postpunk-Band Bleib Modern Schlagzeug. Was ihre Konzertveranstaltungen angeht, da stehen die nächsten beiden bereits fest: Am 22. November spielt die bayerische Indietronic-Band Rhytm Police im Import Export und am 12. Dezember gibt es in der Milla mit Sonic Jesus und Pigeon Noisepop und No-Wave aus Italien und Berlin.

Altin Gün, Di., 18. Sep., 20 Uhr, Milla, Holzstr. 28

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Quelle:
SZ vom 18.09.2018
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