Konzert: Take That in London:Happy End - trotz Robbie

Männer im Häschenkostüm und ein Mittelfinger für die Fans: Die vier Netten und der Wilde von "Take That", soeben wiedervereint, rocken das ausverkaufte Wembley-Stadion und stillen damit die Sehnsucht vieler Fans. Doch vereinzelt ertönen sogar Buh-Rufe. Auf ihr Comeback stoßen die Jungs schließlich auch an - mit Milch.

Alexander Menden, London

Als oben auf der Traverse, vor der Nase der 20 Meter hohen Roboterfigur, die den Bühnenüberbau beherrscht, ein Mann im schwarzen Frack auftaucht, explodiert das Stadion in orgiastischem Lärm. Das hier ist, wohlgemerkt, Wembley Stadium, und das Geschrei aus 80.000 vornehmlich weiblichen Kehlen klingt, als sei da oben nicht ein etwas untersetzter Sänger aus Stoke-on-Trent erschienen, sondern der Messias höchstselbst.

Heroes Concert - Show

Gary Barlow und Robbie Williams feiern das Comeback von "Take That".

(Foto: Getty Images)

Und Robbie Williams will verdammt sein, wenn er diesen Moment nicht auskostet. An Seilen auf die Bühne herabgelassen, wirft er sich mit manischer Energie in seinen Hit "Let Me Entertain You", stolziert, starrt, grimassiert. Williams krönt seinen Auftritt, indem er den Massen seinen zwischen den Beinen hindurchgeschobenen Mittelfinger entgegenstreckt.

Dabei ist dieser gigantische Take-That-Reunion-Gig bis dahin so wunderbar planvoll vonstattengegangen.

Dass die in die Jahre gekommene archetypische Boy Band Wembley achtmal hintereinander ausverkauft hat - die Rolling Stones und Coldplay schaffen das nur zweimal -, erzählt viel über die Happy-End-Sehnsucht ihrer Fans, die zumeist vor zwei Jahrzehnten Mädchen waren. Dieses Happy End wird allerdings auch während des Konzerts noch ein wenig hinausgezögert. Das passt in die Dramaturgie einer Wiedervereinigung, die vor einem Jahr damit begann, dass Williams zur Band zurückkehrte, die ihn 1995 auf der Höhe des Erfolgs wegen seiner Drogenexzesse gefeuert hatte.

Als Solo-Act lange erfolgreicher als seine vier - bereits seit 2006 wieder als Take That tourenden - Kollegen, sah Williams in den letzten Jahren den Stern von Gary Barlow, Howard Donald, Jason Orange und Mark Owen wieder steigen, während er selbst sich mit exzentrischen Alben verzettelte. Das erste Album der neuen Take-That-Ära in Originalbesetzung trägt den programmatischen Titel "Progress". Jetzt zeigen sich die fünf erstmals wieder gemeinsam live.

Die netten vier und der wilde Robbie

Das heißt, zunächst treten nur Barlow, Donald, Orange und Owen auf, mit einem Set von Songs wie "Rule the World" und "Patience", aus den Jahren ohne Williams. Da gleicht die Stimmung der eines Kindergeburtstags mit Gästen, die zu viel Süßkram genascht haben. Mark Owen nutzt die Bereitschaft des Publikums, jede Infantilität mitzumachen, indem er das ganze Stadion das Kindergartenlied "If you 're happy and you know it" singen lässt. Jeder der vier sagt ein artiges Sprüchlein darüber auf, wie schön es sei, wieder da zu sein. Der erste Teil des Abends gipfelt darin, dass ein Mann im Häschenkostüm Kapriolen schlägt und Barlow auf einer rosa Raupe von der Bühne reitet. Dann kommt Robbie Williams.

Williams ist ein Meister der Selbstsabotage. Nach jedem rasend gefeierten Song aus seinem Solo-Katalog kühlt er die Fans mit erratischen Aktionen und dämlichen Sprüchen wieder herunter. Nach "Rock DJ" schreit er "Ich habe gerade gekokst und mit einer Hure geschlafen!". Nach "Come Undone" fragt er: "Darf ich runterkommen und euch anfassen? Ich habe seit über 24 Stunden keine Bräunungscreme mehr an den Händen gehabt!" Williams macht das so lange, bis tatsächlich vereinzelte Buh-Rufe ertönen. Das ist auf eine ungemütliche Art unterhaltsam. Aber man könnte meinen, dass die von ihm zwischendurch beteuerte Liebe zu seinen immer perplexer wirkenden Fans eher so etwas wie Verachtung ist.

Nostalgische Raserei

Doch als endlich alle fünf Take-That-Originale gemeinsam auf der Bühne stehen, sind die Williams-Allüren vergessen. Wie vor 16 Jahren macht er brav alle Tanzbewegungen mit, er gerät nur etwas mehr ins Schwitzen als die anderen. Nach ein paar Songs von "Progress" posieren sie für Erinnerungsfotos der Fans und stoßen auf die Wiedervereinigung an: Barlow, Orange und Donald mit Wein, Owen und Williams, die beide Entziehungskuren hinter sich haben, mit Milch. All die Witzchen und verbalen Rippenstöße wirken dabei genauso choreographiert wie das Nicken und Hopsen, das sie zu ihren Songs vollführen. Schließlich liefern sie, was alle hören wollen: "Never Forget", "No Regrets" und "Relight My Fire", und versetzen ganz Wembley in nostalgische Raserei.

Stimmlich haben sie sich gut gehalten. Sind sie ja auch im perfekten Alter - in Schuss gehaltene Singstimmen erblühen bekanntlich um die Vierzig erst richtig. Gary Barlow, zu Recht schon immer als bester Sänger der Gruppe angesehen, singt manches eine Oktave tiefer als vor 20 Jahren. Aber sonst gibt es klanglich wenige Experimente: Der Album-Sound wird treu repliziert, sodass man sich etwa bei "Relight My Fire" exakt in das Jahr 1993 zurückversetzt fühlt: die gleichen schraddeligen Synthesizer-Streicher, das gleiche hyperaktive Schlagzeug. Am überraschendsten ist noch, dass Take That bei "Underground" selbst zu Instrumenten greifen, unter anderem mit Owen am Bass und Williams an der Trommel. Man kann jedoch schwer ausmachen, ob sie auch eingestöpselt sind, oder doch die reichlich bestückte Backing-Band die Musik macht.

Im Verlauf der zwei Stunden wird deutlich, dass bei diesem Konzert eine strikte dramaturgische Dialektik herrscht: Erst die netten vier zum Wohlfühlen. Dann der wilde Robbie mit seinen Vulgärspäßen. Und schließlich die befriedigende Synthese: Take That nimmt den verlorenen Sohn wieder in ihrer Mitte auf. Er gibt der Gruppe im Gegenzug ihr lange vermisstes, unberechenbares Element zurück. Da sind sie wieder. Als Manband.

Weitere Konzerte: 22.7. Hamburg, 25.7. Düsseldorf, 29.7. München

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