Konzert:Rückkehr ins Weltall

Karl Hector And The Malcouns

Psychedelische Gemeinschaft: Al Markovic, Jan Weissenfeldt, Marja Burchard und Zdenko Curulija (von links).

(Foto: Maasl Maier)

Die Münchner Band "Karl Hector And The Malcouns" veröffentlicht mit "Non Ex Orbis" ein Krautrock-Album - auf einem amerikanischen Label

Von Christian Jooß-Bernau

Im Londoner UFO Club spielten Pink Floyd, befunzelt von einer selbstgebastelten Light Show. In Los Angeles orgelten sich The Doors durch die Pforten der Wahrnehmung, und in San Francisco halluzinierte Grace Slick, wie es wäre, mit Alice durchs Wonderland zu driften - voll auf Pilzen und Pillen. Leben und Kunst flossen in Farbschlieren ineinander. Und in München, beispielsweise, da gab es eine Kommune, die sich als Amon Düül durch Musik entgrenzen oder die Musik entgrenzen wollte. So genau lässt sich das nicht sagen. In den späten Sechzigerjahren verweben sich Politik, Vision und Sound zu einem die westliche Welt gestaltenden Klima, in dem auch Bands aus Nachkriegsdeutschland endlich ihren ersten, ganz eigenen Beitrag zur Popmusik liefern. Ungreifbar wie Schwaden von Trockeneis ist er, und selbst aus der historischen Distanz nicht so einfach einzusortieren.

"Non Ex Orbis" heißt der Titelsong des neuen, dritten Albums von Karl Hector And The Malcouns. Nicht von dieser Welt - hallen die Stimmen, als hätten die Mönche der gregorianischen Choräle schon ein Geheimwissen über polyfone Strukturen. Vom Himmel fällt eine Snaredrum, wird fortgerissen vom Sog einer Orgel, in deren Sturmausläufern eine Gitarre faucht. Klar schwingt da die großspurige Attitüde der Revoluzzer mit Abitur mit, die schon mit Anfang 20 die Welt vollumfänglich durchdrungen hatten. Nur wer in der Lage ist, sich diesen Gestus für die Dauer eines Stückes zu eigen zu machen, kann diese Soundhybris einer musikalischen Alternative zur Normrealität erschaffen, die mit dem Etikett "Krautrock" immer schon unzureichend bezeichnet war. Unter diesem Schlagwort allerdings ließ sich die Musik bis nach Amerika exportieren, und hier erscheint heute auch das Karl-Hector-Album, auf dem großartigen Musikforscher-Label Now-Again Records in Los Angeles.

Karl Hector And The Malcouns haben sich eine ganze Weile für afrikanische Klangwelten interessiert, aber schon während der Veröffentlichung ihrer letzten Platte begonnen, den deutschen Sound von einst auferstehen zu lassen. Jan Weissenfeldt ist der Mann für musikalisches Reenactment. Einst hat er von München aus, mit den Poets of Rhythm die Retrosoul-Welle um die Dap-Kings angestoßen. Später hat er den Afro-Beat-Star Ebo Taylor wieder nach Europa gebracht. Aktuell ist er auch unterwegs mit einer Gruppe, die Zamrock wiederbelebt, Rockmusik, wie sie in den Siebzigern in Sambia gespielt wurde. 2015 erschien das Album von Rodinia, ein bekifftes Synthesizer-Werk, das klang, als würden Popol Vuh und Ash Ra Tempel im Retroraumschiff zum Neptun abheben. "Rodinia ist ein Nebenprodukt dieser ganzen Studien, die ich die letzten sieben, acht Jahre betrieben habe", sagt Weissenfeldt. Und so gehört, ist "Non Ex Orbis" nun die nächste Station seiner Musikforschungseinrichtung. Organisch wie ihr Sound hat sich auch die Band über die vergangenen Jahre verändert. Von einstmals acht ist sie auf vier Mitglieder und gelegentlich einen Perkussionisten geschrumpft. Seit ein paar Jahren dabei ist Marja Burchard, Tochter von Christian Burchard, die seit dessen Tod Embryo weiterführt. Marja ist Organistin, Vibrafonistin und die gelegentlich singende Orakelstimme, die in der weitläufig instrumentalen Landschaft, in kryptischen Satzgefügen der Weisheit letzter Schluss ist.

Dieses Album klingt, wie der Sound, an den man sich zu erinnern glaubt, weil er auch das Ergebnis der Unmengen an Platten ist, die durch Weissenfeldt geflossen sind. Referenzen sind Embryo, natürlich, Guru Guru, Agitation Free. Und Can, selbstverständlich, Weissenfeldts erste Entdeckung in dieser Region. So schaffen sie mit historischem Überblick einen machtvollen Klang, der in kaum fassbarer Weise detailverliebt ist. In "Crawling Through Your Mind" begegnet man den äthiopischen Skalen - eine der Kernkompetenzen der frühen Karl Hector And The Malcouns. Zdenko Curulijas Drums wissen, wie man im Afrobeat tänzelt wie ein Boxer vor dem Punch. Weissenfeldt selbst hat eine Sammlung von Fuzz-Pedalen, Gitarrenverzerrer, von denen jedes seinen Charakter hat. Und er hat einen Moog Prodigy, erstmals Ende der Siebziger produziert, der dezent und doch für Weltraumerweiterung sorgt. Prägnanter vertreten ist der ARP Odyssey, ebenfalls ein zeitgenössischer Synthesizer, der Anfang der Siebziger schon mit zwei Oszillatoren zu erschwinglichem Preis überzeugte. Als Gast spielt ihn Andy Kainz von der Münchner Band Karaba. Karl Hector, Embryo, Karaba - unüberhörbar, dass sich in München eine neue Psychedelic-Szene formiert hat.

Aufgenommen wurde "Non Ex Orbis" in einer Dreitagessession ohne Vorproduktion im Münchner Studio Krause. Live hatten sich schon Songs als plattentauglich erwiesen. Die andere Hälfte sind Improvisationen, die im Studio entstanden und teilweise mit Overdubs nachbearbeitet wurden - eine konzeptionelle Entscheidung "um was Frisches zu haben", wie Weissenfeldt sagt. Am liebsten würde er ja vollimprovisierte Konzerte spielen, weiß allerdings, dass man immer abschätzen muss, was man seinem Publikum so zumutet. Im Kern aber ist es wohl die Freiheit, die in dieser Musik liegt, die auch Jahrzehnte später noch eine Anziehungskraft hat. Im Wesentlichen ist fast alles möglich, nur eines nicht: "auf Ami machen". Genau diese andere Art Rockmusik aber ist es, die in Amerika bis heute hingebungsvolle Fans hat. "Für mich", sagt Weissenfeldt, "sind Krautrock-Bands die, die weltweite Einflüsse nehmen, versuchen, das Amerikanische ein bisschen auszuklammern und dadurch so eine eigene, deutsche Identität erschaffen." Man darf diesen Satz eine Weile im Kopf rotieren lassen ... Deutsche Identität als Sammelbecken multinationaler Einflüsse - heute wieder eine bestechend schöne Idee.

Karl Hector And The Malcouns, Samstag, 16. März, 20 Uhr, Milla, Holzstraße 28

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