Er trifft sie am Rande von Tagen. Die E-Gitarre klingelt. Aus den späten Achtzigerjahren hat es einen Schlagzeugbeat ans Ufer gespült. Entweder es wird hell oder gerade schon wieder dunkel. Auf jeden Fall trennt man sich - immer wieder. Einmal will sie eine Zigarette, weil sie beim Rauchen romantischer denken kann. Und ein andermal stellt sie die entscheidende Frage: "Kannst du mir das Codewort nennen?" Und er sagt: "Robert Forster / Grant McLennan".
Eric Pfeil wurde in einer Zeit musikalisch sozialisiert, in der Namen von Popmusikern Zauberformeln sein konnten, die alles Wichtige über den offenbarten, der sie aussprach. Und so ist es auch gut möglich, dass es diesen Song nur gibt, um die zwei Namen in die Welt singen zu können. Robert Forster hat ihn schon gehört, sich von seiner Frau übersetzen lassen und lobt den Text. Eric Pfeil kennt die Feinheiten der Pop-Zauberei von zwei Seiten, hat Ende der Neunziger mit seiner damaligen Lebensgefährtin Charlotte Roche die Show "Fast Forward" produziert, schreibt eine Kolumne für den deutschen Rolling Stone und machte so dies und das, unter anderem drei Alben für das Münchner Trikont-Label.
Jetzt will er nicht mehr solo sein. Mit dem Bassisten Alfred Jansen und Felix Hedderich, der Instrumente mit Tasten und Gitarren spielt, hat er Die Realität gegründet. Das Erscheinen des Albums "Bubblegum Noir" bei Trikont wurde von rhythmischen Posts auf sozialen Medien vorbereitet. Reifere Herren wollen Pop-Stars werden und wissen eigentlich schon viel zu gut Bescheid. Zu Bildern, die Männer mit bedenklichem Modegeschmack zeigen, kombinierte man leicht übersteuerte Texte, die, grob zusammengefasst, die neue Band als "drei psychedelische Knallerbsen des Rave-Pop" vorstellten. Das erinnerte an die Neunzigern, als nahezu alle außer den Heulsusen Bono und Eddie Vedder in bekloppter Dauerironisierung Distanz zu jedem Verdacht von Bedeutsamkeit schufen. Ein Sicherheitsnetz gegen die Unsicherheit. Aber Pop-Musik ist oft im innersten Wesen ironisch, weil das Uneigentliche immer eine Möglichkeit ist. Da braucht es keine sozialmediale Dauermoderation. Auch bei der Realität haben Depression und Liebesschmerz eine Aura aus Discolicht. Die würdige Art, diesen Witz zu erzählen, wäre, ihn todernst zu nehmen.
"Hab keine Angst, es ist nur die Realität", sprechsingt Pfeil im ersten Song, der sich in dem Moment, wo das Soundgift wirkt, aufbläht wie der Kopf der Grinsekatze im Wunderland. In dieser fiesen Soundlandschaft bewegt sich der Boden, Wolken von Klängen ausanalogen Synthie-Zeiten wehen vorbei, und es hallt, dass man fürchtet, den Ausgang nie mehr zu finden. Mal angenommen, alles wäre ganz unironisch auch so gemeint, es wäre gespenstisch: All die, die in Eric Pfeils Texten irgendwo herumsitzen, stehen, gehen. Die Städte, ihre Straßen und Häuser, die die Unheimlichkeit einer Kulisse haben. Seltsam leer und sinnvergessen handeln die Figuren in ihr, wenn sie rauchen, sich küssen.
Ist das nicht eine Stadt, wie sie Georg Klein im "Roman unserer Kindheit beschreibt", oder Stephen King in "Es"? Ein Ort, der heute nur noch die leicht durchscheinende Erinnerung an gestern ist. Die Zeit löst sich auf im Sound, der das eigentlich konventionelle Songwriting auf eine andere Ebene hebt. Da orgelt so etwas wie Krautrock. Ein heftiges Noise-Gewitter aus dem Underground der Neunziger. Etwas Chanson, nein, Italo-Pop, nein, ein Gefühl von Element of Crime. Und dann dreht die Drum-Maschine einen so lange um und um und um die eigene Achse, während die Schwingkreise der Synthesizer oszillieren, bis einem schwindlig wird. Sie haben sich viel dabei gedacht und es mit ihrem Produzenten Olaf Opal über die gesamte Albumlänge in Form gebracht. Die ist zwar amorph, aber trotzdem Form. Jetzt muss ihnen nur noch jemand Instagram und Facebook wegnehmen. Die Unheimlichkeit dieses Sängers ist stärker als Bildchen - diese fahle Stimme, die Text tönt, manchmal einfach nur um in der Leere der Existenz noch einmal die Luft scheppern zu lassen.
Die Realität , Sonntag, 27. Oktober, 20 Uhr, Heppel & Ettlich, Feilitzschstraße 12