Konzert:Musikalische Schnappschüsse
Lesezeit: 2 Min.
Die Münchner "Express Brass Band" stellt im Ampere ihr neues Album "Pluto kein Planet" vor
Von Christian Jooß-Bernau, München
Die ersten Takte auf dem neuen Album der Express Brass Band , sie gehören der Gimbri. Der Marokkaner Mohcine Ramdan spielt die afrikanische Basslaute mit den drei Saiten. Ihre Decke ist aus Kamelhaut, beim Zupfen schlagen die Finger der rechten Hand auf dieses Saitentrommelinstrument. "Iabania" heißt die Nummer, die klingt wie ein traditionelles Gnawa-Stück, in rhythmische Trance versetzt auch durch die Qarqaba, metallene Kastagnetten, deren Scheppern jenseits der westlichen Klangästhetik von Perkussionsinstrumenten liegt. Die Bläser der Express Brass Band greifen stützend der Gimbri unter die Arme. Wie in der traditionellen Gnawa-Musik antwortet ein Chor im Call-and-response-Austausch auf den Vorsänger.
Gimbri-Spieler Ramdan ist auch Teil des Trios Jisr, das in letzter Zeit in München Aufmerksamkeit erregte. Die Syrer Abathar Kmash, der die Oud spielt, und den Bratscher Ehab Abou Fakhir hört man im letzten Stück "Lama Bada Yatathanna", einem Liebeslied, tief aus der arabischen Vergangenheit heraufklingend. Anrührend ist das, wenn die vereinigte Bläsermacht einsetzt und das Lied erhaben am Horizont verschwindet. Der Sound der Express Brass Band, die auf diesem Album 26 Musiker umfasst, ist, wenn alle Luft holen, gewaltig. Die Gruppe um Wolfi Schlick hat Musik wieder auf die Straße gebracht. An die Marching Bands New Orleans darf man sich da erinnern. Und, wenn man sich weiter aus dem Fenster lehnt, an das den Kosmos umarmende Sun Ra Arkestra.
Jazz ist hier immer das Reiseticket durch die Geschichte: Mit dem Banjo fährt man in "Nuclear War" zu einer Art Riverboat-Sound auf dem Mississippi. "Pluto kein Planet" ist das Titelstück, ein magisch von Afrika ins All groovendes Stück, das abhebt, als der Bordun des Dudelsacks einsetzt. "Oriental Journey" hieß 2004 das erste beim Münchner Trikont Label erschienene Album. "We Have Come" war 2013 die Werkschau der Bandgeschichte. Die Express Brass Band ist eine unruhige Gruppe geblieben, die erst in Bewegung zur Ruhe findet. Ihre Aufnahmen vermittelten immer auch ein Gefühl von Schnappschüssen, durch die konzentrierte Aufnahmesituation des neuen Albums 2016 in München und Südtirol hat das Endergebnis diesmal aber eine runde Form ohne klangästhetische Brüche.
Nicht nur eine Verbindung gibt es zwischen der Brass Band und Embryo, dem fluiden Münchner Banderfahrungsraum für außerwestliche Kulturen. Multiinstrumentalistin Marja Burchardt, Tochter des Embryo-Gründers Christian Burchardt und selbst Teil von Embryo, ist festes Mitglied der Brass Band, für die sie auch Stücke schreibt. Ihren Vater hört man auf diesem Album auch - nach seinem Schlaganfall im Sommer 2016. Einhändig spielt er den Synthesizer in seinem eigenen Stück "Straße nach Asien". Musik ist Teil eines Heilungsprozesses, in dem sich der Einzelne der Gruppe anvertrauen kann.
Die Express Brass Band ist ein sensibles Wesen. Sie nimmt Teil an den Welten der anderen und schafft es, für die Dauer des Klanges ein Teil davon werden. Das ist wichtig. Denn die Gimbri beispielsweise ist kein Instrument, wie wir es aus unserem Kulturkreis kennen, auch wenn man Gnawa-Musiker in marokkanischen Städten sitzen und für Touristen spielen sieht. In den Ritualen der Gnawa macht die Gimbri ihren Spieler zum Sklaven. Sie hat die Kraft, die Dämonen zu rufen und leitet in die Ekstase einer komplexen schwarzafrikanisch-vorislamischen Zeremonie, von der man als Außenstehender allenfalls einen Zipfel erhaschen kann. Die Kollektiverfahrung, die man bei der Express Brass Band spürt, hat in vielen Momenten den gemeinsamen Atem eines Rituals, wie man es sich für eine Weltgemeinschaft wünschte.
Express Brass Band, Freitag, 24. März, 20.30 Uhr, Ampere, Zellstraße 4