Süddeutsche Zeitung

Konzert in Berlin:Der U2-Lärm ist selbstgerecht, grundlos und verzweifelt zugleich

Im Berliner Olympiastadion zeigt sich die ganze Tragik von U2: Die Band hat die Pophymne totgeritten. Es ist nichts mehr übrig als ein bombastischer Brei aus Phrasen.

Konzertkritik von Juliane Liebert, Berlin

Offenbar ist die Zeit knapp. Und die Mission groß. Es ist das einzige Konzert, das U2 im Rahmen ihrer "The Joshua Tree"-Tour in Deutschland geben. Sie haben also ganz schön was vor - schließlich gilt es, Tonnen an Bombast zu hinterlassen. Vielleicht laufen sie deshalb bereits spielend auf die Bühne. "Sunday Bloody Sunday" ist Opener. Einer der Über-Hits der Band gleich zur Eröffnung, das gibt ziemlich genau die Flughöhe vor. Musikalisch. Showtechnisch noch nicht.

Denn während der ersten Songs verzichten die Bandmitglieder darauf, ihre Gesichter in dutzendfacher Vergrößerung auf die enormen Videowände zu projizieren. Das heißt, 69 000 der 70 000 im Berliner Olympiastadion sehen erst mal nix, außer dass irgendwo da in der Mitte kleine Männchen mit Gitarren sind. Die Männchen könnten U2 sein oder auch nicht. Die Männchen machen Musik.

Zuerst die schlechten Nachrichten: Auch an diesem Abend zeigt sich die ganze untragische Tragik von U2. U2 haben die Rockhymne ja so lange totgeritten, bis nicht mehr übrig geblieben ist als absolut dramaturgiefreie, hallige Gitarrenfelder. In der Musik von U2 hat nichts Tragisches mehr Raum. Da ist (mittlerweile) nur noch ein bombastischer Brei aus Phrasen, der klingt, als würde jemand unermüdlich randalieren, weil er die Tür zur Transzendenz nicht mehr aufkriegt. Und einfach nicht kapieren will, was Björk schon vor anderthalb Jahrzehnten gesungen hat: "It's not meant to be a strife / it's not meant to be a struggle uphill". Musik sollte gerade kein Kampf sein, keine mühselige Aufgabe.

The Edge - in den klangästhetischen Kitschhöllenschlund abgestürzt

Wer nur kämpft, wird darin schließlich auf Dauer leicht Ich-bezogen und erschöpft. Und das ist ein Teil des Problems: Der ganze U2-Lärm ist selbstgerecht, grundlos und verzweifelt zugleich. Daran könnte man wiederum etwas Tragisches finden, wenn Bono nur nicht so unglaublich Bono und The Edge nicht schon längst von seiner Klippe in den klangästhetischen Kitschhöllenschlund abgestürzt wäre. Bleibt: Die ewige Hymne ohne Grund und Ziel. Und dann die quälende Frage: Was kann echte Iren nur so ruinieren?

Sicher, U2-Bashing ist fast so alt wie U2, also nicht gerade originell. Aber genauso wenig ist es originell, dieser unvermeidlichen Modedialektik im Pop zu folgen, dass man etwas nur deshalb verteidigen muss, weil es zu viele hassen. Es gibt gute ästhetische Argumente, U2 schrecklich zu finden. Befreiend schön ist Pop gerade dort, wo Coolness ein Spiel, das Existentielle eine Lust, das Primitive erhaben und die Show wahrhaftig ist. Intellektueller Dünkel macht das genauso kaputt wie hirntotes Hypen aus schierer Angst, andernfalls als Spießer zu gelten. Oder eben die Verteidigung von Mist aus reiner Originalitätssucht.

Das hier ist also auch ungerecht. Natürlich könnte man viel Positives über U2 sagen, sich von ihrer Hymnen-Neurose in den Himmel des Gitarrenrocks tragen lassen. Natürlich ist man im Grunde verpflichtet, ihre überragende Bedeutung für ... ehm .... Chris Martin anzuerkennen. Aber zugleich will man sie unter die kalte Dusche stellen, um sie vor ihrem eigenen Dasein als U2 und die Welt vor den Sonnenbrillen von Bono zu retten - und für ihr Publikum stattdessen eine Sinfonie aus Kettensägen, Rasenmähern, Hochdruckreinigern, Laubbläsern und Elektrovertikutierern aufführen. Denn U2s musikalischer Garten Eden voller Josuabäume ist in Wirklichkeit doch eher die Welt des millimetergenau rasierten Rollrasens.

Damit zu den guten Nachrichten: Es gibt keine Show. Also keine Show im Sinne von inszeniertem Und-jetzt-die-Tänzer-von-links-Krams. Das größte Ereignis (man sieht ja fast nix) sind im ersten Drittel Bühnenarbeiter, die einen Regenschutz auf die Bühne tragen, damit das Schlagzeug nicht nass wird. Bono lacht ein angenehm dreckiges Lachen und singt "Singin' in the Rain", und, tja, irgendwie kann man ihm dann doch nicht böse sein. Man kann aber auch nicht permanent tief berührt sein.

Denn Song drei, "Bad", ist an diesem Abend schon so gefühlsbeladen angeschwollen wie bei anderen Bands das Finale. Das Konzert hat keinerlei Dramaturgie. Nur Hauptakt, zwei Stunden lang. "AHAAAHAAA YEAAHYEAAAH", singt Bono. Er singt mit Genuss - und immer weiter. Der Himmel weint.

Irgendwann wird dann doch noch die Videowand angeworfen. Endlich kann man die Band auch sehen, daneben gibt's Einblendungen von sehr ernst in die Kamera schauenden Menschen, die sich vor einer US-Flagge Helme aufsetzen. "Oh yeah, oh yeah", schreit Bono der Menschheit ins Ohr. Die ersten Feuerzeuge sind leergeschwenkt. Das Publikum ist glücklich.

Vielleicht war die Zombifizierung unausweichlich

Die Erklärung dazu könnte so gehen: U2 waren immer irgendwie Normalos, und Bono trotzdem der strahlende Held. Sie klangen nach Achtzigerjahre-Schmutzgitarren, aber hatten schon immer einen Hang zur Hymne, diesem ewigen Versprechen des Pop auf vier Minuten Erlösung. Vielleicht war die Zombifizierung also von Anfang an eingeschrieben in die Bandgeschichte: Nicht, weil die Bandmitglieder altern. Sondern weil dieser Stadionhymnenstil einfach nicht weiter auf die Spitze getrieben werden konnte, ohne zu mutieren. Im Grunde war das Außergewöhnliche an U2 schon in den Achtzigern eine ästhetische Gefängniszelle. Zwar mit wildromantischer Gitarrenpatina an den Wänden - aber den Kopf hat man sich daran nur dank Zeitgeist und Jugend nicht eingerannt.

Ihre Texte sind konkret genug, um bis heute überraschend politisch zu wirken, aber auch bis an die Floskelhaftigkeit zugänglich. Die Schizophrenie zwischen den Erlösungsprojektionen auf Amerika und der Realität im Land spiegelt sich nicht nur thematisch im hier wiederaufgeführten Album "The Joshua Tree", sondern auch in der Band. Man glaubt nicht, Millionäre vor sich zu haben, die früher mal Tellerwäscher waren, sondern etwas linkische Tellerwäscher, die zufällig über ihre Sehnsucht nach der ganz großen Geste und dem schmeichelhaftesten Rocksong ins Millionärsdasein gestolpert sind.

Der "Joshua Tree", die Wüstenpflanze, klingt bei U2 wie ein üppiger Rosengarten. Stachelig zwar, aber unersättlich durstig und stets in voller Blüte.

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