Konzert:Himmlische Stimmen

Konzert: Primadonna mit Gefolge: die Sopranistin Cecilia Bartoli und das Orchester Les Musiciens du Prince unter der Leitung von Andrés Gabetta.

Primadonna mit Gefolge: die Sopranistin Cecilia Bartoli und das Orchester Les Musiciens du Prince unter der Leitung von Andrés Gabetta.

(Foto: Alain Hanel/PR)

Im Prinzregententheater gibt Cecilia Bartoli einen kleinen Vorgeschmack auf die diesjährigen Salzburger Pfingstfestspiele mit der Musik der Kastraten als Schwerpunkt

Von Egbert Tholl

Viele Musikliebhaber hatten schon einmal ihr Bartoli-Erlebnis, dieses bedeutet Glück in fast verstörender Fülle. Bartoli ist seit vielen Jahren ein nicht zu bändigendes Gesangsereignis, reine, mitreißende Freude an der Musik. Doch wer glaubte, mit Bartoli schon alles erlebt zu haben, der hätte am 8. März dieses Jahres im Teatro di San Carlo in Neapel sein müssen. Dort sang die gebürtige Römerin verwunderlicherweise zum ersten Mal, was sie selbst am nächsten Tag mit dem Satz vom Propheten im eigenen Land kommentierte. Allerdings wurde die Prophetin an dem Abend in den Himmel gehoben, begleitet von Worterfindungen und Neuschöpfungen, die alle "Brava" oder "Brav" oder "Bravissivissimi" (sic!) in allen möglichen oder semantisch unmöglichen Varianten ausloteten. Dazu kamen gutturale Jubelschreie, bei denen man um die Gesundheit ihrer Verursacher fürchten musste.

Bartoli sang ungefähr drei Stunden, wenn man die Pause und die Instrumentalstücke abzieht. Sie gab sieben Zugaben, vielleicht waren es auch noch mehr, sie umgarnte das neapolitanische Publikum mit Liedern aus der Stadt, lieferte sich ein Duell mit der Trompete, landete bei "Summertime" und hätte vermutlich nie aufgehört, wenn sie nicht nach dem Konzert noch ein ausgedehnteres, gesellschaftliches Programm hätte absolvieren müssen. An diesem Freitag, 10. Mai, singt Bartoli im Prinzregententheater, mit demselben Orchester, Les Musiciens du Prince, und dem Dirigenten Andrés Gabetta. Mit nur ein klein bisschen Glück könnte sich dann der Vivaldi-Rossini-Händel-Mozart-Wahnsinn wiederholen. In Neapel sang Cecilia Bartoli auch eine Arie von Nicola Porpora. In den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts lieferte der sich in London einen erbitterten Wettstreit mit dem heute ungleich berühmteren Händel. Oper war damals den Gesetzen des Kapitalismus unterworfen, die Kompanien buhlten um die Gunst der Zuschauer. Entscheidender Faktor neben den betörenden Arien und der schönen Musik: die Kastraten und ihre "voci celesti", die himmlischen Stimmen.

1733 kam es zum Streit zwischen Händel und dem Starkastraten Senesino, für den daraufhin eine neue Opernkompanie gegründet wurde, die "Opera of the Nobility". Zu der gehörten auch Porpora als Komponist und Carlo Broschi, der unter dem Namen Farinelli der Superstar seiner Zeit wurde. Händel hatte nun arg zu kämpfen, komponierte unverdrossen Meisterwerke, zog ins Covent Garden Theatre um und wandte sich bald dem Oratorium zu. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen kann man nun die Konkurrenzsituation unmittelbar nachempfinden: Zur Eröffnung am 7. Juni im Haus für Mozart wird dort Händels "Alcina" aufgeführt, am Tag darauf "Polifemo" von Porpora. Beide Opern stammen aus dem Jahr 1735, "Polifemo" war damals zweieinhalb Monate früher dran.

Cecilia Bartoli ist auch eine begeisterte Musikhistorikerin. Vor zehn Jahren bereits feierte sie mit ihrem Album "Sacrificium" die Musik, die im Barock für die Kastraten geschrieben worden war. Nun, als Intendantin der Pfingstfestspiele, kann sie eine ganze Ausgabe des Festivals der Kunst der Kastraten widmen. Heutzutage vermitteln Counter-Tenöre und Altisten einen Eindruck davon, wie der damals geklungen haben muss, dieser schwebende Engelsklang. Neben den beiden Opern kann man das in Salzburg konzentriert auch in fünf Konzerten erleben. Gut, Counter sind heute kaum mehr exotisch, die Zusammenstellung des Pfingstfestivals ist in ihrer musikwissenschaftlichen Gewandtheit dennoch herausragend. Die Sängerbesetzungen sind ohnehin fabelhaft.

Der Weg ins "Museo delle arti sanitarie" in Neapel ist abenteuerlich. Nachts sollte man das Viertel tunlichst meiden, tagsüber muss man nur fürchten, dass einem im Innenhof ein Teil des bröckelnden Gebäudes auf den Kopf fällt - das Krankenhaus, in dessen riesigem Komplex das Museum der Medizingeschichte untergebracht ist, stammt aus dem 16. Jahrhundert und könnte ein wenig neue Farbe ganz gut vertragen. Im Inneren trifft man Professor Gennaro Rispoli, Museumsdirektor und (ehemaliger) Chirurg, der mit höchster Akribie erklärt, wie das Kastrieren vor sich ging. Im Museum stehen auch Gläser, die mit "Belladonna" oder "Kokain" beschriftet sind, andere verheißen noch viel abenteuerlichere Inhalte, sie allesamt könnte man nach Professore Rispolis Vortrag gut gebrauchen, denn da zerrt ein profundes Unwohlsein im Unterleib. Auch wegen der zeitgenössischen Darstellungen und den kleinen krummen Messerchen, die der Professor in ihrer Handhabung vorzuführen weiß. Zumindest in der Theorie.

Zwischen 1720 und 1755 wurden in Neapel etwa 4000 Kinder pro Jahr kastriert, die Hälfte überlebte den Eingriff nicht. Im Kern ein monströses Verbrechen. Die Oper, Neapels 500 Kirchen, private Musikaufführungen, sie alle brauchten unermüdlich Nachschub an Himmelsstimmen, zumal die Kastration noch keine Garantie auf deren Schönheit lieferte. "Mulier taceat in ecclesia" - also singen Knaben und Kastraten. Erst 1878 hat die Kirche die Kastration verboten. Die Kinder waren oft Waisen oder wurden von ihren armen Eltern weggeben; das machte einen Esser weniger zu Hause und brachte dazu Geld. Manche ließen sich angeblich freiwillig kastrieren, aus Hunger und wegen der Aussicht, in einem warmen Zimmer wohnen zu können. Übrigens: Auch die Musikkonservatorien entstanden aus den Waisenhäusern und befanden sich ursprünglich im Sumpf am Rande der Stadt.

Neapel ist voller Spuren der Kastraten. Hier sang Farinelli jede Nacht den schwermütigen König in den Schlaf, hier baute sich Gaetano Majorano, genannt Caffarelli, einen Palazzo, über dessen Portal er schrieb, dass Amphion, mythischer Sohn des Zeus, Theben erbaut habe, er, Caffarelli, aber diesen Palast. Wenig später fügte ein aufgeweckter Bewohner der Stadt hinzu: "Ille cum, tu sine" - jener mit, du ohne. Caffarellis himmlische Stimme war damals in Neapel sehr berühmt.

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