Konzert:Geliebter Größenwahn

Der Bombast-Pop von "ELO" in der Olympiahalle

Von Oliver Hochkeppel

Die Hälfte seines Musikerlebens hat Jeff Lynne als Produzent der Stars zugebracht. Was könnte den Blick für Talent und Qualität besser schärfen. Es dürfte also stimmen, was der Singer-Songwriter Billy Lockett in der Olympiahalle erzählte: Dass Lynne persönlich bei ihm angefragt hat, als Vorband bei der Electric Light Orchestra-Tour zu spielen. Bei einem also, der bislang "vor allem in Pubs aufgetreten ist" und "weniger Follower im Internet hat als hier Leute in der Halle sind", wie er nonchalant erwähnte. Lockett punktete auch damit, dass sein verstorbener Vater ein großer ELO-Fan gewesen sei. Vor allem aber mit feinem, modernen Pop, solide komponiert und grandios gesungen. Die meisten in der bestuhlten Arena standen am Ende seines kleinen Sets sogar auf - das können nicht viele Vorbands für sich reklamieren.

Dass sich der Eindruck am Ende trotzdem relativiert hatte, lag daran, dass Jeff Lynne als Vertreter der Gründergeneration des Rock/Pop die talentierten Enkel wie Lockett ziemlich platt machte. Schon "Standing In The Rain" zum Einstieg war die umjubelte Blaupause von Lynnes Song-Konstruktionen: Eine griffige Melodie mit eingängiger Textzeile wird symphonisch in-strumentiert und arrangiert; Gesang und Instrumente antworten einander, dazwischen schieben sich harte Riffs und Akkorde, die das Ganze mit Spannung aufladen. Worauf seine Stücke aufbauen, hat Lynne nie verleugnet: Auf den Beatles, was das Melodische und die Refrains angeht. Vom Rhythmischen her auf dem R&B zum Beispiel eines Chuck Berry, dessen "Roll Over Beethoven" denn auch als Zugabe kam. Lynnes eigene Zutat war die Überhöhung durch Streicher, Synthesizer und Chorgesang. Bombast, wie er in den Siebzigerjahren ja auch beim Fusionjazz und bei Prog- und Artrock im Schwange war.

Einige der musikhistorischen Linien konnte man gut nachverfolgen, manche führten sogar in die Siebzigerjahre-Studio-Hochburg München. Bei "Evil Woman" mit seinem symphonischen Soul sah man die Bee Gees vor dem geistigen Auge, so wie "All Over The World" eine bombastische Zusammenfassung des Disco-Sounds darstellt. Bei den Hits "Turn To Stone" und "Mr. Blue Sky" war die Verwandtschaft zu Queen und deren "Bohemian Rhapsody" unüberhörbar. Selbst an eine Light-Version von Emerson, Lake & Palmer fühlte man sich in manchen Momenten erinnert.

So war dieses ELO-Konzert also zuallererst eine Reprise der musikalischen Versuche, nach den Sternen zu greifen - wofür ja auch das gute alte ELO-Ufo steht, das für den Tour-Auftakt im Wembley-Stadion tatsächlich gebaut wurde und jetzt in der Olympiahalle immerhin als Projektion über der Bühne schwebte. Mehr noch, es war eine Demonstration des Pop-Größenwahns der Siebzigerjahre, der den heutigen Popstars (abseits von Metal und Hip-Hop) meist fehlt. Deshalb wirkt aktuelle Charts-Musik im Vergleich auch so mickrig. Und deshalb ist die Sehnsucht groß: Anders ist bei einer vor 30 Jahren aufgelösten Band eine seit Wochen ausverkaufte und eher mit Jüngeren gefüllte Olympiahalle kaum zu erklären.

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