Konzert:Es leuchtet der Johanneswurm

Konzert: Die Sopranistin Marlis Petersen und ihr Begleiter Camillo Radicke, ein Gespann voll Witz und zarter Poesie.

Die Sopranistin Marlis Petersen und ihr Begleiter Camillo Radicke, ein Gespann voll Witz und zarter Poesie.

(Foto: Wilfried Hösl)

Wer die Bühnenpräsenz der Sopranistin Marlis Petersen kennt, fragt sich, wie sie sich auf einen Liederabend beschränken kann. Aber ihr Programm bei den Opernfestspielen München wirkt zauberhaft.

Von Egbert Tholl

Um die Kunst von Marlis Petersen zu erklären, könnte man als Beispiel das Lied "Liederseelen" nehmen. Dies stammt von Hermann Zumpe, der mal Generalmusikdirektor in München war, in seiner Jugend für Richard Wagner dessen Partituren ins Reine schrieb und 1903 während der Wagner-Festspiele im Münchner Prinzregententheater starb. Zumpe komponierte also dieses Liedchen nach einem Text von Conrad Ferdinand Meyer, der die Begegnung des lyrischen Ichs mit einem Elfenchor beschreibt. Das Lied selbst ist ganz und gar unscheinbar, in der zweiten Strophe aber stellen sich die einzelnen Elfen munter vor. Der eine sei eine Reihe von "Stapfen im Schnee", der nächste ein Wölkchen, ein Seufzer, ein Geheimnis. Marlis Petersen spielt jede Zeile. Spielt die Worte mit ihrer Stimme, mit ihrem Ausdruck, schafft viele kleine, fast szenisch anmutende Miniaturen, voller Witz und Ironie. Kann so fromm tun, als schritte das "gestorbene Kind" mit einer Kerze durch einen Kreuzgang, kann sich in einem Seufzer verlieren, als läge in diesem die ganze Welt. Das Liedchen dauert kaum zwei Minuten, und doch ist es für sich ein Theaterabend.

Bei der Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspielen, Richard Strauss' "Salome", sang Marlis Petersen die Titelpartie. Sie tat dies mit der gleißenden Höhe ihres expressiven Opernsoprans, sie tat dies mit der Wucht ihrer extrem agilen, körperlichen Bühnenpräsenz. Dieser Aufführung eingedenk ist es zunächst schwer vorstellbar, wie sich diese Sängerin selbst beschränken kann, indem sie vor einem Notenständer im Prinzregententheater steht, ihre Lesebrille hervorholt und sich vom Pianisten Camilo Radicke begleiten lässt. Und doch weiß man, dass dies wunderbar funktionieren wird, denn das Programm des Abends hat sie bereits auf CD herausgebracht. Die ist der zweite Teil einer Trilogie, für die Petersen sehr eigensinnig die Lieder ausgesucht hat, jeweils begleitet von einem anderen Pianisten. Die erste CD heißt "Welt" und handelt vom Menschsein, die zweite heißt wie das Konzertprogramm "Anderswelt", die dritte, die noch in Arbeit ist, soll die "Transzendenz" sein.

Sie singt von Nymphen und Elfen, Nachtwesen und Natur

"Anderswelt" handelt von Nymphen und Elfen, von Nachtwesen und Natur. In den Liedern braust der Wasserfall, wohnt ein "Nachtweib" am unheimlichen See, singt immer wieder mal die Nachtigall und leuchten die Johanneswürmchen. Es ist sehr liebreizend, was Goethe, Eichendorff, Heine, Mörike oder Hesse da erdichtet haben. Und es ist teils sehr ungewöhnlich, welche Vertonungen Petersen gefunden hat. Sie stammen aus einer Spanne von 150 Jahren, das älteste Stück stammt von Carl Loewe, das jüngste von Hermann Reutter aus dem Jahr 1971: eine weitgehende unbegleitete Deklamation über eine einsame Nixe, in der ein paar süße Melodie-Einfälle auftauchen und Camilo Radicke mit dezidierter Ruhe am Klavier einige wenige Akzente setzt. Überhaupt ist er ein sehr feiner, äußerst unaufgeregter Begleiter.

In sich sind diese Anderswelten gar nicht anders. Alle natürlich anders als unsere Welt, ansonsten aber wiederholt sich durchaus das Repertoire der sprachlichen Bilder. Eichendorffs "Elfe" gibt es drei Mal, vertont von Friedrich Gulda, Bruno Walter (ja, dem Dirigenten) und Julius Weismann, alle drei Lieder hinterlassen wenige Spuren im Gemüt, sind aber im Moment des Hörens zauberhaft. Überhaupt ist der ganze Abend von einer entzückenden Leichtigkeit. Das erste Viertel der mehr als 20 Lieder kennt noch eine dunkle, jugendstilartige Verschlungenheit. Dann wird alles heiter, und Petersen leuchtet und erzählt, liest zwischendurch Gedichte vor. Jedes gesungene Wort hat Farbe und Geschmack, an zarter Hand wird man in eine poetische Märchenwelt entführt, deren Höhepunkt an Anderssein Lieder aus allen skandinavischen Ländern inklusive Island sind. Am schönsten aber ist dieser wie eine Sommernacht glitzernde Abend, wenn die Sängerin spielen darf. Wer fade Kinder hat, sollte sich Marlis Petersen nach Hause holen.

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