Konzert:Die Wahrheit auf dem Platz

Moritz Eggerts Fußballoratorium im Gasteig

Von Egbert Tholl

Der Titel erhält gleich eine weitergehende Bedeutung: "Die Tiefe des Raumes" heißt das Fußballoratorium von Moritz Eggert, und tatsächlich ist in der Philharmonie noch Raum mit viel Tiefe vorhanden, wo ein Publikum Platz nehmen könnte - es ist halt doch noch Sommer in der Stadt, da geht keiner in den Gasteig. Der Stimmung tut das jedenfalls keinen Abbruch, es geht zu wie im Fußballstadion. Der Chor und das Orchester der Musikakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes, die das Stück in Südtirol geprobt und in Toblach am Tag vor dem Münchner Konzert aufgeführt haben, tragen Trikots aller Farben, Formen und Vereine. Und wer keines hat, der trägt wenigstens Fanschal zum Abendanzug - da ist das Publikum deutlich reservierter gewandet. Aber frohgemut, wenn auch ein bisschen verdattert und mit den Örtlichkeiten nicht ganz vertraut - die Frage zur Pause, wo hier denn bitteschön die Toiletten seien, hört man in der Philharmonie eher selten.

Eggerts Fußballoratorium, komponiert für die Ruhrtriennale 2005 im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland, ist ein sehr disparates Werk. Zu disparat. Am Anfang hat man noch auskomponierte Südkurve, ein Stadionsprecher verkündet die Aufstellung, der Chor ruft die Nachnamen, was ein bisschen wie von Carl Orff komponiert klingt - Entschuldigung lieber Moritz Eggert. Überhaupt reden hier erst einmal viele, der Trainer hat schlechte Laune, es gibt einen Reporter und einen Journalisten, der eine redet, der andere singt, und man denkt sich, na gut, aus der tönenden Ursuppe des Beginns wird sich schon noch eine greifbare Substanz herausbilden, so wie bei vielen Fußballspielen ja die ersten Minuten einem Besuch auf dem Hühnerhof gleichen und erst im Laufe des Spiels Taktik und Spielkunst erkennbar werden.

Das Problem von Eggerts Oratorium ist nun, dass die Taktik sehr verschleiert bleibt. Oder anders gesagt: dass viele unterschiedliche Taktiken verfolgt werden. Das Stück ist sentimental, der Text von Michael Klaus hantiert mit vielen Namen großer Spieler, von denen keiner mehr aktiv ist - "Hrubesch" lässt sich aber toll skandieren -, es gibt einen Block DDR-Fußballgeschichte, der interessant sein könnte, könnte man ihm gut folgen. Eggert häuft Mittel auf Mittel, das macht das Ganze nicht gerade luzide, hat aber für die Teilnehmer der Akademie den Vorteil, in 90 Minuten Spieldauer plus Nachspielzeit sich so ziemlich mit jedem Musikstil beschäftigen zu müssen, der einem überhaupt einfällt. Durch diesen im Kern eher altmodischen Gemischtwarenladen wurmen dann schließlich Mythos und Passion, wird auch mal lateinisch oder mittelhochdeutsch gesungen, streiten sich die Tugend und das Laster um einen 17-jährigen Hoffnungsträger, der offenbar auch irgendwie das Siegtor des Abends schießt, wobei man nie genau sagen könnte, ob hier überhaupt ein Fußballspiel in Gange ist.

Es gibt also viel, auch tolle Solisten, die während der Akademie unterrichteten, was im Fall von Ania Vegry, Sopran und Tugend, vermutlich eine große Freude war. Jedenfalls sticht sie nun heraus, die anderen machen ihre Sache aber auch gut, aber letztlich bleibt es eine verschlungene Kette von Einzelereignissen.

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