Konzert:Blicke und Brücken

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Der großartige Pianist Daniil Trifonov und Dirigent Vladimir Jurowski, designierter Nachfolger von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper, traten in München auf. Weniger überzeugend dabei das London Philharmonic Orchestra.

Von Michael Stallknecht

Nein, heißt es aus Veranstalterkreisen, der Kartenverkauf sei in den letzten Tagen nicht sprunghaft gestiegen, aber das Konzert sei sowieso ausverkauft. Dabei dirigiert Vladimir Jurowski zum ersten Mal in München, seit sicher ist, dass er ab 2021 als Generalmusikdirektor an die Bayerischen Staatsoper kommen wird. Doch mit ihm ist der Pianist Daniil Trifonov angereist, und München ist eine Klavierstadt. Jurowski dagegen ist hier noch nahezu unbekannt. Mit Sergej Prokofjews "Feurigem Engel" hat er 2015 an der Staatsoper bisher eine Neuproduktion geleitet, auch mit Konzerten war er in der Stadt wenig vertreten. Der Auftritt in der Philharmonie ist Teil einer lang geplanten Tournee mit Trifonov und dem London Philharmonic Orchestra, das Jurowski seit zwölf Jahren leitet und nun für die Staatsoper aufgeben wird.

Im Kopfsatz von Tschaikowskys Klavierkonzert sind Pianist und Dirigent Schicksalsgenossen

Zu hören ist im ersten Teil Tschaikowskys 1. Klavierkonzert, dessen Einspielung mithalf, Trifonov vor sechs Jahren in den Klassikstarhimmel zu schießen. Bewältigt er doch den anspruchsvollen Klavierpart mit einer Klarheit, die manche als Hypervirtuosen angesehene Pianisten blass aussehen lässt. Trifonov geht inzwischen quasi entschlackter heran, wohl, um das Wunschkonzerthafte gerade des Kopfsatzes durch eine gesteigerte Direktheit zu überwinden. Mit metallisch ausgehärtetem Anschlag meißelt er Akzente hinein, um sich erst später Raum für genau durchdachte Rubato-Momente zu nehmen.

Nur hat Tschaikowsky gerade im Kopfsatz Klavierpart und Orchestersatz eng miteinander verknüpft, was Dirigent und Pianist zu Schicksalsgenossen macht. Jurowski möchte die singenden Geigen offensichtlich im traditionellen Breitwandsound auskosten, für den die ziemlich flach klingenden Streicher des London Philharmonic freilich über etwas zu wenig pulsierende Wärme verfügen. Also wird der stürmische Pianist zu Beginn im Tempo gedrosselt. Leider gibt es kaum Blickkontakt zwischen beiden. Entsprechend wackelt der erste Satz vor sich hin, bekommt Trifonov erst im lockerer gefügten zweiten und dritten Satz Raum, seinen Part pointillistisch, scherzando-haft aufzufächern, was man inzwischen typisch "trifonovsch" nennen darf.

Im zweiten Teil schlägt Jurowski mit seinem Orchester eine Brücke zu Tschaikowsky mit der Ballettmusik zu "Le baiser de la fée" von Igor Strawinsky. Im Jahr 1928 nahm Strawinsky Themen aus Liedern und seltener gespielten Klavierstücken von Tschaikowsky als Inspiration mit in die Partitur auf. Zugrunde liegt Hans Christian Andersens Märchen "Die Eisjungfrau", das Ballett erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der durch den titelgebenden "Kuss der Fee" aus der Ehe mit einer braven Braut in die verführerischen Gefilde der Fee gelockt wird. Es ist eine sehr luzide Musik mit vielen Orchestersoli, die Jurowski, intensiv an plastischen Phrasierungen arbeitend, nun auch sehr schlank hält.

Etwas zu schlank sogar bei der abschließenden Vereinigung zum Pas de deux, die einen kleinen Schuss von der romantischen Verbreiterung brauchen könnte, mit der Jurowski Tschaikowskys Klavierkonzert angegangen war. Dafür kann man hier sein souveränes Handwerk beobachten. Die vielen kleinteiligen Übergänge organisiert er mit leichter Hand, sodass die Temporelationen immer stimmen. Auch über die gesamte Dreiviertelstunde hinweg, die im Aufbau sehr organisch entwickelt wird. In feiner, immer effizienter Zeichengebung bleibt Jurowski seinem Orchester zugewandt, wie er es auch im Orchestergraben einer szenischen Aufführung wäre.

Es hat allerdings schon seinen Sinn, dass im Konzert in der Regel nur die von Strawinsky selbst konzipierte Orchestersuite erklingt, nicht gleich das ganze Ballett. Konzertant könnten Jurowski und sein Orchester manches vielleicht noch mit etwas mehr Humor zum Funkeln bringen, wenn sie die einander kontrastierenden und kontrapunktierenden Solostimmen gezielter gegeneinander ausspielen würden. Diese Ballettmusik ist allerdings kein Renommierstück, mit dem ein Dirigent alles zeigen könnte.

Der Applaus in München fällt freundlich aus, bevor Vladimir Jurowski mit dem Pas de deux von Odette und Siegfried aus der Ballettmusik zu "Schwanensee" bei der Zugabe noch einmal Tschaikowsky huldigt. Es kommen ja noch genug Gelegenheiten, diesen Dirigenten in München näher kennenzulernen.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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