Süddeutsche Zeitung

Konzert:Aufstand

Eine Musik der Zuversicht: Frank Peter Zimmermann und Vladimir Jurowski bieten an der Staatsoper in München nichts anderes als - das reine Glück.

Von Reinhard J. Brembeck

Hat der Mann nicht genug mit seinem Solopart zu tun, der ja zum Fürchten schwer ist mit diesen endlosen Läufen und Akkordzerlegungen? Muss er auch noch partout den Orchesterpart der ersten Geigen mitspielen? Würde er sich sonst langweilen oder was? Frank Peter Zimmermann ist ausnehmend vergnügt. Im Münchner Nationaltheater beweist er, dass er erstens einer der besten Violinspieler der Welt ist und zweitens Ludwig van Beethovens lyrisch virtuoses Konzert fast schon besser kennt als der Komponist. Weshalb sich Zimmermann nicht auf den Solopart beschränkt, sondern auch im Tutti unauffällig lustbetont mitspielt.

Es war ja auch jahrhundertelang üblich, dass die Solisten in der Gruppe mitmachten, sich dann solo produzierten und wieder in die Gruppe zurückkehrten. Das gilt für Bachs Passionen genauso wie für die Konzerte Mozarts. Dieses Verhalten betont den Gemeinschaftsgedanken. Erst mit der aufkeimenden Romantik entsteht die Idee des egoman veranlagten Solisten, der sich zunehmend gegen das Kollektiv stellt. Beethoven steht wie so oft zwischen den beiden Haltungen, er ist der Großmeister dieses Übergangs. Also passt es sehr gut, wenn Zimmermann in diesem schnell in fünf Wochen hingeschriebenen Stück des Mitdreißigers zwischen beiden Musizierhaltungen hin- und herwechselt.

Zudem hat Zimmermann mit dem Dirigenten Vladimir Jurowski einen genauso neugierigen Musiker an der Seite. Jurowski, der in einem Jahr Nachfolger von Kirill Petrenko als Münchner Opernmusikchef wird, lässt seine zukünftigen Staatsopernmusiker nicht sitzen, sie müssen stehen. Zumindest in Beethovens Zweiter und im "Testament" des 1961 geborenen Erfolgskomponisten Brett Dean. Der bezieht sich auf das "Heiligenstädter Testament", Beethovens berühmten Verzweiflungsbrief. Traditionsorchester aber stehen traditionell nicht. Diese alte Gepflogenheit haben die Heroen der historischen Aufführungspraxis wiederbelebt, weil stehende Musiker freier und gelöster spielen.

Er meidet die Exzesse der Romantik

Mittlerweile übernehmen diese Praxis auch neugierige Dirigenten traditionellen Zuschnitts, zumindest für Stücke der Wiener Klassik, manchmal auch der frühen Romantik. Jurowski, sieben Jahre jünger als der 55-jährige Zimmermann, ist einer von ihnen. Er ist der unkonventionelle Erbe von Nikolaus Harnoncourt und Pierre Boulez, den beiden einflussreichsten Dirigenten der letzten Jahrzehnte. Für Jurowski ist es selbstverständlich, einen modernen Meister wie Brett Dean mit Beethoven zu kombinieren. Dabei bietet er eine faszinierende Melange. Weil die modernen Hörner und vor allem die modernen Trompeten (nicht nur) in der Wiener Klassik immer zu laut sind, lässt er auf Naturhörnern und Naturtrompeten spielen. Und plötzlich stimmt die delikate Balance zwischen Streichern, Holz- und Blechbläsern.

Zudem meidet Jurowski die dampfenden Exzesse der Romantik. Sein Beethoven kling jung, leicht, frisch. Die Tempi sind zügig, die Rhythmen konsistent. Das gilt sogar für den Auftaktsatz des Konzerts, das von vielen Solisten romantisch breitgegeigt und verkitscht wird. Zimmermann und Jurowski aber inszenieren einen poetischen Marsch, bei dem das überkommene romantische Modell nur noch als eine Reminiszenz durchscheint. Auch deshalb, weil Zimmermann in den Solopassagen selbst dann noch sein Primat anmeldet, wenn er nur in Girlanden das Orchester umgarnt, wenn echte Gleichberechtigung gefordert wäre. Zimmermann ist hörbar der traditionellere Musiker als Jurowski. Doch sein mit staunenswerten Understatement und handwerklicher Bescheidenheit gezeigtes Können lässt diese Diskrepanz vergessen. Und wann ist es schon zu erleben, dass ein Orchester geschlossen einen Solisten beklatscht?

Weder Jurowski noch Zimmermann bieten eine verblüffende Neudeutung dieses so oft geschändeten Konzerts. Sie versuchen aber eine genaue Ortsbestimmung. Für sie ist diese Musik noch fern von den Grübeleien und Grobheiten des späteren Beethoven. Die sind hier bloß in Spurenelementen vorhanden, genauso das große Drama und das existenzialistische Hadern mit dem Schicksal. Es dominieren Eleganz, Zuversicht, Erotik und Virilität.

So wird der langsame Satz des Konzerts zum Mirakel vollkommenen Glücks. Das gelingt, weil keiner der beiden Beethoven-Deuter der Versuchung erliegt, hier ein großes Menschheitsmysterium aufzuspannen, das in Abgrundtiefen vorstößt und letzte Wahrheiten verkündet. Zimmermann und Jurowski wollen etwas ganz anderes. Sie beweisen, dass es das irdische Paradies tatsächlich geben kann, und sei es auch nur für zehn Minuten und in München. Diese Musik gelingt unfassbar schön diesseitig, sie gibt sich nahbar, sie atmet und tröstet und lockt. Der Revolutionär macht da Mittagspause nach der Ankunft auf dem Lande bei einem Bier. Ein Meisterstreich.

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SZ vom 07.10.2020
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