Süddeutsche Zeitung

Kontroverse um Musikvideo von Joachim Witt:Schimpf und Schande

Lesezeit: 3 min

Mit einem apokalyptischen Musikvideo, das eine Vergewaltigung durch Soldaten zeigt, hat der Sänger Joachim Witt heftige Reaktionen ausgelöst. Nun soll die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das Filmchen auf den Index setzen lassen.

Marc Felix Serrao

Das Musikvideo kommt episch daher, wie ein Spielfilm. Eine dreiviertel Minute lang werden zu einer von sphärischem Windrauschen untermalten Kamerafahrt über ein Bergpanorama nur Namen eingeblendet: Die Produktionsfirma, der Regisseur, der Künstler, schließlich, über den halben Bildschirm, der Name des Liedes: "Gloria". Ein Titel, so feierlich, wie die Stimme, die nun zu singen beginnt. "Die Welt verändert sich, ich seh' mein Herz, wie's auseinanderbricht." Joachim Witt heißt der Sänger. Würde sein Video an dieser Stelle aufhören, dann wäre der Song dazu wohl nur ein weiteres Liedchen eines mittlerweile 63-Jährigen geblieben, der hier ("Der Goldene Reiter", 1980) und da ("Die Flut", 1998) Erfolge hatte, zuletzt aber kaum noch präsent war. Doch das Video geht weiter. Und wie.

Die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien will auf einen an diesem Dienstag eingegangenen Antrag des Bundesfamilienministeriums prüfen, ob Witts "Gloria"-Video auf dem Index landet. In dem Fall dürfte es nur noch Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Die Szene, um die es geht, folgt direkt auf das pompöse Intro. Während Witt von Sehnsucht singt, sieht man Soldaten, die in einem offenbar auf dem Balkan angesiedelten Dorf eine Frau vergewaltigen. Das Ganze wird nicht angedeutet, sondern in aller denkbaren Rohheit gezeigt, mit Visagen, die sich gierig verziehen. Einer filmt mit dem Handy, einer raucht, ein dritter streckt lasziv die Zunge raus. Die Kleidung erinnert stark an die Flecktarnuniform der Bundeswehr, einmal ist kurz auch die deutsche Flagge als Hoheitsabzeichen zu sehen.

Fast dreitausend Kommentare

Die Reaktionen sind entsprechend, vor allem im Netz. Auf Seiten von Facebook-Gruppen wie "Wir denken an Euch - Mit unseren Soldaten und ihren Familien" wird Witt für sein Mitte September erschienenes Video seit Wochen kritisiert. Anfang Oktober schloss sich der Bundeswehrverband dem Protest an. "Gloria" sei "ehrverletzend", schimpfte der Verbandchef, Oberst Ulrich Kirsch. "Ausgerechnet diejenigen, die seit Jahren ihren Kopf für dieses Land hinhalten und etwa auf dem Balkan solche Szenarien verhindert haben, werden hier mit brutalen Gewaltverbrechern gleichgestellt". Zum Schluss seiner Stellungnahme rief der Oberst dazu auf, "den Unmut gegenüber Witt in dessen Facebook-Auftritt deutlich zu machen". Der Sänger wünsche sich ja einen Dialog. "Den sollte er dann auch bekommen."

Dem Vorschlag sind viele gefolgt. Bei Redaktionsschluss an diesem Mittwoch standen auf Witts Facebook-Pinnwand fast dreitausend Kommentare, viele davon ausgesprochen unfreundlich.

Der Sänger hat sich inzwischen auch geäußert. Am 5. Oktober erklärte er im Netz, bei dem Video handle es sich "unmissverständlich um eine Kunstform". Es zeige "in großen und anspruchsvollen Bildern ein apokalyptisches Horrorszenario!" So kann man das wohl beschreiben. Neben der Vergewaltigung sieht man bei "Gloria", wie einem Soldaten computeranimierte Flügel wachsen, mit denen er dann, Gewehrsalven abfeuernd und schreiend gen Himmel fliegt. Die Soldaten? Seien austauschbar, erklärt Witt. Falls sich jemand wegen des Hoheitszeichens angegriffen fühle, "entschuldige ich mich dafür". Als früheres Mitglied des Bundesgrenzschutzes respektiere er, Witt, die Arbeit der Bundeswehr.

Geholfen hat sein Appell dem Sänger bislang kaum. Der Bild-Zeitung sagte Witt am Montag, er erhalte Morddrohungen. Wie schrill der Ton inzwischen ist, zeigt auch eine zweite Stellungnahme von Bundeswehrverbandschef Kirsch. Es sei wichtig gewesen, den Soldaten, ihren Angehörigen und Hinterbliebenen eine öffentliche Stimme zu geben, teilte er der SZ auf Anfrage mit. Dass sich einige Kommentatoren im Netz "offenbar im Ton vergriffen" hätten, sei nicht Absicht seines Verbandes gewesen: "Ich bedauere das ausdrücklich."

Bei der Berliner Filmproduktionsfirma Doity, die das apokalyptische Musikvideo hergestellt hat und sonst von der Deutschen Bahn bis hin zu den Rappern Sido und Bushido für ein ausgesprochen breites Kundenspektrum arbeitet, will man sich zu "Gloria" nicht äußern. Geschäftsführer Till Strauß fordert am Telefon sogar, man möge nicht schreiben, dass er nichts sage. Sänger Joachim Witt war seiner Agentur zufolge am Mittwoch unterwegs und für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Nächste reguläre Sitzung am 8. November

Bis zur Entscheidung über die Indizierung seines Videos werden so oder so wohl noch einige Wochen verstreichen. Bei der Bundesprüfstelle in Bonn heißt es, dass das Video als "Telemedium" zur "Vorprüfung" nun erstmal der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten in München vorgelegt werde. Und nur falls diese einen Verstoß erkennt, was sich in drei bis vier Tagen entscheide, werde sich das sogenannte Zwölfergremium der Bundesprüfstelle mit "Gloria" befassen. Deren nächste reguläre Sitzung sei am 8. November.

Die ganze Aufregung kann sich also noch gehörig aufbauschen. Ganz abgesehen davon, dass Jugendliche, erstens, nichts so interessant finden wie etwas, das sie nicht sehen sollen, und, zweitens, ein Video, das einmal im Netz gelandet ist, nicht einfach wieder verschwindet, weil eine Behörde das verfügt. Ganz im Gegenteil.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2012
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