Kontroverse:Hymnen auf das Hinterland

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„Eure Kinder werden so wie wir“: Sänger Jan Gorkow mit seiner Band am Dienstagabend in der Alten Brauerei in Dessau. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Aus Angst vor rechten Protesten hatte die Stiftung Bauhaus ein Konzert der linken Punkband "Feine Sahne Fischfilet" abgesagt. In der Alten Brauerei von Dessau fand es jetzt doch noch statt.

Von Ulrike Nimz

Kurz nach neun setzt der Bierregen ein. Eine goldene Kaskade benetzt Haare, durchnässt T-Shirts. Einen Moment lang sieht die Menge vor der Bühne aus, als würde sie schweben. Hände und Füße in der Luft, Punks auf Parabelflug. Mit dem Refrain setzt die Schwerkraft ein: "Wir sind zurück in unserer Stadt - mit zwei Promille durch die Nachbarschaft."

Die Band Feine Sahne Fischfilet mag an der Ostsee groß geworden sein, aber an diesem Abend heißt ihre Stadt Dessau. Und dass sie überhaupt hier spielt, vor Fernsehkameras und 600 sehr glücklichen Menschen, in sehr baufälligem Gemäuer, ist den zurückliegenden, an Absagen und Ansagen reichen Tagen zu verdanken.

Nachdem die Stiftung Bauhaus aus Furcht vor rechtsextremen Protesten und Sorge um die fragile Substanz des Weltkulturerbes die vom ZDF eingeladene Band wieder ausgeladen hatte, debattierte das ganze Land über Linksextremismus und Kunstfreiheit. Doch statt Dessau der Kulturdebatte und sich selbst zu überlassen, begannen Band und örtliche Unterstützer mit der Suche nach einem alternativen Auftrittsort. Sie fanden das Grundstück der alten Schultheiss-Brauerei westlich der Bahngleise, 30 000 Quadratmeter groß, nachlässig saniert und durchaus standesgemäß für eine Band, die den Alkohol als Muse schätzt. Nazis sind an diesem Abend keine zu sehen, eine Kundgebung ist wegen fehlender Gefolgschaft abgesagt worden. Stattdessen werfen nun Iros Schatten im Licht der Straßenlaternen, Bierflaschen klirren, sonst nichts.

Die Bühne steht im Kesselhaus der Alten Brauerei, eine Halle mit der Akustik eines Schwimmbades, deren meterhohe Wände Salpeter schwitzen. Im Frühjahr hat Sturmtief Friederike die Dachpappe hinfortgefegt. Zwei Wochen lang haben Freiwillige das Gelände begeh-, die Toiletten benutzbar gemacht. Gestrüpp und Gerümpel weggeschafft, damit das Industriedenkmal bespielbar wird. Das sind die Umstände, die aus einem guten Konzert ein legendäres machen können. Brauhaus statt Bauhaus - die Show war schneller ausverkauft, als ein Ramones-Song dauert.

20 Freikarten vergab die Band an Sprösslinge von AfD- und CDU-Wählern

250 Karten gingen direkt an Dessauer, die Gästeliste fasst sehr viele, sehr eng bedruckte Seiten. Allein 20 Plätze vergab die Band an Sprösslinge von AfD- und CDU-Wählern. Motto: "Eure Kinder werden so wie wir." Jetzt steht Multifunktionsjacke neben Lederkutte neben Crop-Top, und sie alle wissen, dass das hier heute etwas Besonderes wird, werden muss.

Die Ersten tanzen schon Pogo, als die Musik noch in Fahrstuhllautstärke vom Band kommt. Es hat sich einiges angestaut während der Dessauer Heringswochen, und beileibe nicht nur Vorfreude. Studierende organisierten einen Flashmob vor den gläsernen Fassaden des Bauhauses, schubsten sich zum Feine-Sahne-Song "In unseren Augen" durch die Gegend. "Ständig nur Gelaber/ständig Phrasendräscherei /Ach was seid ihr nur schockiert?/Ich nenne es nichts als Heuchelei!" Eines Morgens entdeckte ein Mitarbeiter ein 30 mal 30 Zentimeter großes Hakenkreuz aus Abfallresten auf einer Gehwegplatte vor dem Bauhaus, in dessen heiligen Hallen zu Beginn dieser Woche schließlich ein Konzert der Band Pur aufgezeichnet wurde. Was ein bisschen so ist, als würde man ein Airbrush-Gemälde über einen Eames-Chair hängen. Proteste gab es keine.

Im Brauhaus eröffnen Neonschwarz aus Hamburg den Abend. "Wir suchen Platz für Ideen, Platz zum Leben/Wir suchen mehr Platz, als ihr Lücken lasst", rappen sie in "Unser Haus". Und natürlich ist das eine Verneigung vor Ton Steine Scherben und ihrem "Rauch-Haus-Song". Und natürlich funktioniert das hier, wo Bäume aus der Regenrinne wachsen und man den Ex-Hausbesetzer Jürgen Trittin ungestraft anrempeln kann, besser als im Bauhaus.

Als Jan "Monchi" Gorkow Bier über die Köpfe der Seligen in den ersten Reihen spritzt, tut er das mit geradezu pastoraler Hingabe und dem Hinweis: "Wir haben euch nur Plastikflaschen mitgebracht. Keine Kratzer auf den Böden oder an den Wänden. Da hört's auf!"

Mit einem Fingerzeig teilt er das Publikum wie Moses das Rote Meer. Der Rest sind Endorphine und blaue Flecken. Heute kann sich jeder auf Händen tragen lassen. Ein Mädchen kehrt krebsrot aus dem Menschenknäuel zurück, in jeder Hand einen Turnschuh. Zwei Männer, weit jenseits der 50, liegen sich in den Armen, als seien sie soeben noch einmal späte Väter geworden und nicht Zeuge einer Konzertformation namens "Wall of Death".

Mit Hass und Hetze, wie es AfD und CDU der Band vorwarfen, hat das hier und heute dennoch nichts zu tun. So ein Moshpit ist ja auch nur auf den ersten Blick ein gewalttätiger Ort. Tatsächlich herrscht gesteigerte Achtsamkeit, wird aufgehoben, wer stürzt. Das ist vielleicht das größte Missverständnis um die Band Feine Sahne Fischfilet: Sie mag die Aufmerksamkeit von Verfassungsschützern und die Wut von Verfassungsfeinden auf sich ziehen, aber nicht wenige ihrer Songs sind Liebeslieder, die es in Sachen Schlichtheit mit dem Bauhaus aufnehmen könnten. Es geht um Freundschaft und Zusammenhalt, darum, die Heimat nicht jenen zu überlassen, die nichts anderes haben, worauf sie stolz sein können. "Meine ganze Generation/Jeder hier kennt die Frage schon/In Dauerschleife diese Zeilen/Gehen oder Bleiben!", singt Monchi in "Für diese eine Nacht", einer rotzigen Hymne auf das ostdeutsche Hinterland, wo trotz Härten viel Gutes passieren kann, wenn man die richtigen Leute kennenlernt. Auf Konzerten zum Beispiel.

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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