Konstanzer Konzil:Einfach war Europa noch nie

Konstanzer Konzil: Unsere Abbildung aus dem Konstanzer Prachtband zeigt die schwierige Lebensmittelversorgung im hermetisch gesicherten Konklave. Abb.: Aus dem besprochenen Band

Unsere Abbildung aus dem Konstanzer Prachtband zeigt die schwierige Lebensmittelversorgung im hermetisch gesicherten Konklave. Abb.: Aus dem besprochenen Band

Jahrzehnte war man uneins, nun musste endlich ein Papst her. Vor 600 Jahren wurde das Konstanzer Konzil eröffnet, sein Ziel war nichts weniger als die religiöse Einheit. Ein kompliziertes Unterfangen.

Von Gustav Seibt

Am 5. November 1414 wurde das Konstanzer Konzil mit einem feierlichen Gottesdienst eröffnet. Jan Hus, der böhmische Ketzer, dessen Lehren auf dieser größten Kirchenversammlung des Mittelalters untersucht werden sollten, war zwei Tage vorher eingetroffen. Die Verurteilung und öffentliche Verbrennung von Hus am 6. Juli 1415 war eine der folgenreichsten Entscheidungen dieses "Weltkongresses", im Drang der kirchenpolitischen Geschäfte jedoch nur eine Nebenangelegenheit - immerhin aber hat sie den Anlass zu einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gegeben und die Trennung von Deutschen und Tschechen in Böhmen frühzeitig befördert, mit Auswirkungen bis ins 20. Jahrhundert.

Doch auch sonst ist das Konstanzer Konzil ein europäischer Vorgang von erstrangiger Bedeutung. Geleitet und beschützt vom deutschen König Sigismund, bedeutete es nichts Geringeres als den Aufstand der europäischen Laien- und Gelehrtengesellschaft gegen eine zerstrittene Kardinalskurie, die sich seit 1378 nicht auf einen gemeinsamen Papst einigen konnte - ein erster Anlauf, die Teilung zwischen Rom und Avignon auf einem Konzil in Pisa zu heilen, hatte nur zu einem dritten Pontifex geführt. Die drei Päpste herrschten über drei Teilgebiete der Christenheit mit jeweils eigenen Heils-, Finanz- und Ämterverwaltungen, samt allen geistlichen und weltlichen Unsicherheiten, die aus diesem verstörenden Zustand folgen mussten.

Erstmals schien damals eine Parlamentarisierung der Kirche möglich

Die Antwort darauf war eine europäische Versammlung von Kardinälen, Patriarchen, Bischöfen, Äbten, Gelehrten und zahllosen weltlichen Herren, die sich eine Sitzordnung und eine Geschäftsordnung gaben, am Ende sogar eine eigens für die Überwindung der Kirchenspaltung geeignete Papstwahlordnung: Zum ersten und einzigen Mal wählten 1417 nicht nur die anwesenden Kardinäle, sondern auch je sechs weitere Delegierte der europäischen Hauptnationen den neuen Papst. Dabei galt die Regel, dass der neue Papst nicht nur eine Zweidrittelmehrheit aller Stimmen, sondern dieselbe Mehrheit auch innerhalb der nationalen Gruppen (Italiener, Deutsche, Franzosen, Engländer, Spanier) auf sich vereinigen musste - keine Provinz der Weltkirche sollte hinterher sagen können, sie sei überstimmt worden.

Wie wenig national diese nach Universitätsgebrauch definierten "Nationen" waren, mag der Umstand zeigen, dass die "Germanici" von einem Polen geleitet wurden und auch die Schotten vertraten. Wer sich heute über die Prozeduren der EU beschwert, sollte sechshundert Jahre zurückblicken - einfacher waren europäische Einigungen noch nie zu haben.

Doch die Kircheneinheit (drei Päpste mussten zum Rücktritt bewegt werden!) und der Kampf gegen den spirituellen Anarchismus von Hus erschöpften noch nicht die Aufgaben des Konzils. Es ging auch um eine langfristige Perspektive für die Kirchenreform. Hier wurde dem neuen Papst, dem am 11. November 1417 gewählten Oddone aus dem Haus Colonna, der den Namen des Tagesheiligen seiner Wahl annahm und Martin V. wurde, eine revolutionäre Regel auferlegt: Die Päpste sollten künftig regelmäßige Generalkonzilien einberufen.

Damit tat sich die Möglichkeit einer Parlamentarisierung der Kirche auf, wie sie zur selben Zeit im damaligen ständischen Sinn auch viele weltliche Monarchien erlebten. Aus der Notmaßnahme gegen kuriale Parteizerstrittenheit wäre so ein Umbau gegen den päpstlichen Zentralismus geworden, der Luthers Reformation hundert Jahre später vermutlich überflüssig gemacht hätte. Nicht mehr das Christuswort "Du bist Petrus", sondern das andere "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen" hätte der Leitsatz der Kirche werden können.

Enorme logistische Herausforderung

Daraus wurde bekanntlich nichts. Interessant ist es aber auch als Ereignis der Sozialgeschichte: Wie versorgte eine mittelgroße Stadt von 8000 Einwohnern einen Zulauf von Zehntausenden? Der logistische ordnungspolitische Aufwand war enorm und wurde vom Konstanzer Stadtregime insgesamt glänzend bewältigt, unter anderem durch Preiskontrollen und Wohnraumbewirtschaftung.

Schade also, dass das Gedenkjahr 2014, das neben Dutzenden Büchern zum Ersten Weltkrieg immerhin eine Handvoll gewichtiger Darstellungen zum Wiener Kongress hervorbrachte, keinen Raum für ein profiliertes wissenschaftliches Buch zum Konzil von 1414 für den allgemeinen Leser bot. Gewiss, es gibt die zweibändige Darstellung von Kardinal Walter Brandmüller, dem päpstlichen Chefhistoriker, aus den Neunzigerjahren. Doch die neuen Bemühungen von Franziskus, sich als zuhörender Papst zu bewähren, lässt den von Intellektuellen und Laien getragenen Konziliarismus des späten Mittelalters in einem neuen Licht sehen.

Außenklos zum Wasser hin

Vorerst haben wir lobenswerte Bemühungen der Stadt Konstanz (siehe hier) und eine Übersetzung der örtlichen Hauptquelle, der volkssprachigen Chronik des Ulrich von Richental in ein flüssiges heutiges Deutsch. Der Leser wird hier Zeuge vor allem der Schauseite des Großereignisses, seiner Prozessionen, Feste, Gottesdienste und zeremoniellen Prozeduren, eines bunten und aufregenden Alltags. Der wohlhabende Stadtschreibersohn Richental ist gut unterrichtet, hatte wohl auch oft privilegierten Zugang zu Hauptereignissen wie der Verbrennung von Hus. Über die Prozedur der Papstwahl informiert er ebenso genau wie über die heikle Lebensmittelversorgung im hermetisch gesicherten Konklave, das in der örtlichen Lagerhalle am Hafen untergebracht war und über Außenklos zum Wasser hin verfügte, wie Richental zu erwähnen nicht vergisst.

Die Übersetzer haben sich an die offiziöse Konstanzer Handschrift gehalten und nicht den etwas persönlicher gehaltenen Text aus Aulendorf übertragen, der in Ich-Form gehalten ist. Das Konstanzer Exemplar, in der Mitte des 15. Jahrhunderts zum Ruhme der Stadt erstellt und in die Form eines unpersönlichen Berichts gefasst, wurde mit zahlreichen brillanten Farbzeichnungen versehen, von denen viele ikonischen Rang in den Geschichtsbüchern gewonnen haben. Es liegt seit 2013 neu faksimiliert vor, daher hat die Übersetzung den Charakter einer Verständnishilfe, die der interessierte Leser dank eines kundigen Nachworts auch separat lesen kann.

Wer keine Zeit für Kardinal Brandmüllers Bände hat, lese noch das "Gottesvolk"-Kapitel in Arno Borsts "Lebensformen im Mittelalter", und er wird für ein paar Stunden wenn nicht ein besserer Christ, dann doch ein bewussterer Europäer sein.

Augenzeuge des Konstanzer Konzils. Die Chronik des Ulrich von Richental. Die Konstanzer Handschrift ins Neuhochdeutsche übersetzt von Monika Küble und Henry Gerlach. Mit einem Nachwort von Jürgen Klöckler. Theiss Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 248 Seiten, 24,95 Euro.

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