Konstantin Wecker:"Ich habe gehofft, ich erleide einen Herzinfarkt oder ein Krieg beginnt"

Konstantin Wecker

Liedermacher Konstantin Wecker: Ich bin für die Revolution der Zärtlichkeit!

(Foto: Ingo Wagner/dpa)

Konstantin Wecker spricht über seinen ersten Einbruch, was ihn im Drogenrausch gerettet hat - und woher mit 70 Jahren die Erleuchtung kommen soll.

Interview von Lars Langenau

Zum Gespräch bei Konstantin Wecker in Schwabing wird Kaffee gereicht. Und ein Aschenbecher. "Münchens letztes Haus, in dem man rauchen darf", sagt der Liedermacher und lacht. Kaum zu glauben, dass er 70 wird. Er ist unverschämt braun. Gerade hat er auf Bali seine Autobiografie abgeschlossen.

SZ: Sie nennen sich bis heute stolz einen Alt-68er. Was reizt Sie so am Protest?

Konstantin Wecker: Da hat mich sicher mein Vater mit seinem Widerstand geprägt. Er wollte eine herrschaftsfreie Gesellschaft und war kein Nazi. Deshalb war das auch anders als bei vielen meiner Genossen, bei denen jede Demo auch ein Kampf gegen den eigenen Vater war. Ich dagegen konnte aus einer grundanarchistischen Spaßhaltung mitmachen. Schon mit zwölf Jahren lief ich in der Schule rum und gab damit an, dass ich Anarchist sei. Ich hatte zwar noch keine Ahnung, was das genau ist, hatte dafür aber schon Bakunin gelesen.

Die Revolte als Freizeitvergnügen?

Das wäre übertrieben. Die 68er haben ja das wichtige Verdienst, alles infrage gestellt zu haben. Wieso Leistung? Wieso Kleidung? Wieso Schule? Auch wenn man sich die Antworten darauf hart erarbeiten muss, war das für mich eine echte Revolution. Als Pazifist muss ich ergänzen, dass es bei Umstürzen nie um Gewalt gehen kann. Ich bin für die Revolution der Zärtlichkeit!

Und woher kommt Ihr Drang, alles ins Poetische zu ziehen?

Meine Mutter hat sich und damit auch mir als Kind Goethe vorgetragen. Musik in meinen Ohren! Bis zu meinem 18. Geburtstag lebte ich in einer wunderschönen Wolke der Poesie und Spätromantik, ohne die ich die Pubertät wohl nie überstanden hätte.

Und dieser romantische, wohlbehütete Sohn knackt dann die Kasse der Rennbahn Riem und geht in den Knast?

Ich war vorher schon ein paar Mal von zu Hause abgehauen und kann mir das bei meinem tollen Elternhaus bis heute nicht erklären. Ich war von einem unglaublichen Freiheitsdrang getrieben und wollte freier Poet werden! Nur es fehlte bei den Fluchten am Geld, und ich bin immer wieder heim zu Mama. Dann, beim Bruch, dachte ich: Jetzt mache ich es richtig!

Wie lief das ab?

Der Vater eines Schulfreundes war Chef der Rennbahn in München-Riem. Ich wusste, dass der Schlüssel zum Tresor mit dem Wechselgeld vom Pfingstrennen auf seinem Nachttisch liegt. Am Ende schleppten wir zwei Taschen voller Geld weg. Für mich war das ein Abenteuer. Es war mir gar nicht so bewusst, dass das strafbar war. Dann sind wir, zwei 18-Jährige, mit dem Taxi nach Augsburg in eine Pension, haben das Geld auf dem Bett ausgebreitet - und uns gefreut. Drei Wochen später war es ausgegeben, weil ich unter anderem ein Schiff in Lübeck gekauft hatte. Der Knast hat mich in eine andere Realität befördert.

Das Abi haben Sie trotzdem geschafft?

Weil ich als Jugendlicher noch nicht vorbestraft war und durch den Druck meiner strengen Mutter. Mein Vater konnte durch viele Gespräche erreichen, dass ich am Theresien-Gymnasium den Abschluss machen konnte. Ein kleines Wunder!

Sie schwärmen von Ihrem Elternhaus, war das immer so?

Mit 70 sieht man seine Eltern anders als mit 17. Doch meine Mutter war die Einzige, die mir später, während meiner Drogenzeit, Widerspruch geboten hat. Alle anderen haben mich entweder angeschleimt, weil sie Stoff abhaben wollten, oder sie haben sich nicht getraut, mir die Wahrheit zu sagen. Mama aber sagte mir knallhart ins Gesicht, wie scheiße ich aussehe. Nie vergessen werde ich ihren strahlenden Gesichtsausdruck bei meinem zweiten Gefängnisaufenthalt in Stadelheim - und ihren Satz: "Mein Gott, bin ich glücklich, dass sie dich verhaftet haben."

Und was haben Sie dazu gesagt?

Ich konnte ihre Reaktion nachvollziehen. Schließlich habe ich ja selbst die Ermittler freudig begrüßt, als sie im November 1995 zur Hausdurchsuchung kamen.

Da ging es dann um exzessiven Drogenmissbrauch.

Die Staatsanwaltschaft war vernarrt in die Idee, an mir ein Exempel zu statuieren. Und es gab eine konservative Richterschar in Bayern, die in mir so eine Art Che Guevara sahen. Das ging auch in Ordnung, aber das erste Urteil von zweieinhalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung war nicht fair: Ich war Ersttäter, hatte eine gute soziale Anbindung und eine gute Prognose. Deshalb war die Revision ja erfolgreich: Nach der Untersuchungshaft kam ich frei. Dafür donnerten die mir 100 000 Mark Geldstrafe auf, obwohl ich drei Millionen Schulden hatte. Das hätte auch nicht sein müssen.

Wie haben Sie die bezahlen können?

Mein Schwiegervater konnte den Berg mit 77 Vergleichen auf eine Million Mark drücken. Das reichte von Zechprellerei bis Mietschulden, aber auch Tourneekosten, weil ich nicht mehr auftreten konnte. Zudem hatte ich mir im Drogenrausch ein Haus gekauft. Nach der Verhaftung war ich für die Banken nicht mehr kreditwürdig. Es kam ein irres Ding nach dem nächsten.

Sie wohnten zu der Zeit im feinen Grünwald, in einem riesigen "Eispalast", wie Sie es nannten. Wie muss man sich dieses Leben vorstellen?

Von der Umgebung habe ich nichts mitbekommen, weil ich mich nur in die Kellerbar dieses Hauses verzogen hatte, wo ich meinen Süchten ungestört nachgehen konnte.

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