Süddeutsche Zeitung

Essay von Konrad Paul Liessmann:Herren der Erde

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann antwortet in seinem neuen Buch auf Nietzsche, doch die Form liegt ihm nicht.

Von Thomas Steinfeld

Im dritten, vorletzten Teil des Buches "Also sprach Zarathustra", unter der Überschrift "Das andere Tanzlied", findet sich eine Art Gedicht, zu dem einige der bekanntesten Zeilen Friedrich Nietzsches gehören. Das kleine Werk ist dem Schlagen der Mitternachtsglocke nachempfunden und beginnt mit "Eins / Oh Mensch! Gib Acht!" Später heißt es: "Zehn! "Doch alle Lust will Ewigkeit -, / "Elf! - will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Nach dem zwölften Schlag herrscht Stille. Sie mag so viel bedeuten, dass es für das, was jetzt gesagt werden müsste, keine Sprache mehr gibt, oder sie mag gar nichts bedeuten, oder es kann um irgendetwas dazwischen gehen. Man weiß es nicht, und man wird es nicht erfahren: Die Zeilen scheinen auf ein Gesamtes zu zielen, dessen Nennung dann, wie so oft bei Nietzsche, verweigert wird.

Gustav Mahler hat die Zeilen dem vierten Satz seiner Dritten Symphonie zugrunde gelegt, und auch sonst spuken die Verse ebenso vielfach wie weiträumig durch die Kunst- und Geistesgeschichte. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann hat sie nun zum Anlass genommen, über sie nachzudenken, von einem Vers zum anderen und also in elf langen und einem kurzen Kapitel. Bei den Worten "Oh Mensch" wird mit Günther Anders auf den fehlenden Weltbezug des Menschen reflektiert, dann geht es um die künstliche Intelligenz, die "den Menschen in vielen Belangen überlegen sein wird", und am Ende werden die Worte als Aufforderung zum Zuhören verstanden.

Anlässlich des fünften Verses, "die Welt ist tief", wird die selbstbetriebene Verharmlosung der Kirchen zu "diesseitigen NGOs" verhandelt. Dann wird danach gefragt, ob die Welt eine Täuschung sei, und später wird erklärt, wer vom "Geo-Engineering" träume solle sich über Nietzsches Frage "Wer sind die Herren der Erde?" nicht aufregen. Und am Ende soll gewiss sein, dass es der "Lust" nur um sich selber gehe.

Konrad Paul Liessmann ist ein öffentlicher Philosoph, im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen, von denen man allenfalls innerhalb des Faches etwas hört. Er ist umfassend gebildet, unter besonderer Berücksichtigung von Søren Kierkegaard, Karl Marx und Karl May. Er hat eine lange Reihe lebendiger, scharfsinniger und gut geschriebener Bücher verfasst, darunter eine Kritik des Prinzips Zukunft ("Zukunft kommt!", 2007) und ein kleines Werk über die Schönheit des Alltäglichen ("Das Universum der Dinge", 2010).

Seine unter dem Titel "Theorie der Unbildung" im Jahr 2006 erschienene Auseinandersetzung mit den Idealen der Bildungsreform und ihrer Umsetzung an den europäischen Hochschulen gehört zum Gründlichsten und Besten, das je über die fatale Angleichung des Bildungswesens an die vermeintlichen Funktionsweisen der Privatwirtschaft geschrieben wurde.

Die "mitternächtlichen Versuchungen", mit denen Konrad Paul Liessmann auf die zwölf Glockenschläge Nietzsches zu reagieren versucht, gehören nicht zu den guten Büchern dieses Autors. Sie erscheinen beliebig, unscharf, assoziativ. Und sie führen immer wieder in Verallgemeinerungen, die keiner Überprüfung standhalten dürften: "An vielen Schulen ist Glück jetzt ein Unterrichtsgegenstand." Nein, das stimmt nicht, ebenso wenig wie es zutrifft, dass "Technikskeptiker" in "unserer Zeit als Feiglinge" gelten. Es scheint, als bräuchte dieser Philosoph einen Gegner, um zur Sache zu finden. Die Polemik ist seine Stärke, nicht das Räsonnement.

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