Süddeutsche Zeitung

Kongress zur Zukunft der Stadt:Der Retter im Privatjet 

Was muss sich ändern, damit die Stadt eine Zukunft hat? Auf einer Konferenz gab's Lösungen - und Widersprüche.

Von Till Briegleb

Norman Foster ist eine widersprüchliche Person. Er steht einer der größten Architekturfirmen der Welt vor, die aber trotz ihres grünen Anspruchs das Ziel verfolgt, möglichst viel klimaschädlichen Zement zu verbrauchen, denn Bauen ist das Wachstumsziel von Fosters Büros in London, Abu Dhabi, Buenos Aires, Bangkok, Peking, New York, Sydney und sieben anderen globalen Standorten. Oder er hilft mit seiner privaten Stiftung indischen Dörfern und Slums dabei, ihre fundamentalen Probleme beim Zugang zu Wasser, Strom und Sanitäranlagen zu lösen, produziert aber mit seinem Privatjet, den er ständig über den Globus steuert, an einem Tag so viele Klimagase wie ein ganzes indisches Dorf in einem Jahrzehnt. Schließlich predigt er die vernünftige ökologische Mobilität und Stadtplanung der kurzen Wege, hat sein Wochenendhäuschen aber auf Martha's Vineyard in den USA, nur ein paar Flugstunden von London entfernt. Norman Foster ist also genau der richtige Keynote-Speaker für einen Weltkongress zur "Stadtwissenschaft" mit dem großen Thema "Without".

Die meisten Lösungen basieren auf dem exzessiven Sammeln von persönlichen Daten

Denn der zweitägige "City Science Summit" in der Hamburger Elbphilharmonie und der benachbarten HafenCity-Universität (HCU), der sich der starken Forderung verschrieben hat, Städte auf allen Ebenen einmal ohne das Erbe der Gewohnheiten und Ideologien zu denken, die sie bisher bestimmt haben, produzierte natürlich selbst unaufhörlich Widersprüche. Der Katalog der Forderungen, die Norman Foster am Ende seines Vortrags über eigene Projekte zur nachhaltigen Verbesserung der Welt an die Wand warf, mag das schon andeuten. "Buildings without construction", stand da unter "Meat without animals", "Power without grid" oder "Sanitary without sewers". "Movement without private jet" stand da allerdings nicht.

Dieses "Ohne" deklinierte sich anschließend durch alle Präsentationen und Workshops des Kongresses fort. Das vom Mitorganisator Kent Larson gewählte Leitmotiv "Cities without" spannte sich von positiven Zielen wie "Mobilität ohne Autos" zu bedrohlichen wie "Städte ohne Privatheit", von speziellen wie "Tourismus ohne Masse" zu totalen wie "Urbanität ohne ökologischen Fußabdruck". Und über allem standen die "Sustainability Development Goals" der Vereinten Nationen, die Ziele für eine nachhaltige Weltentwicklung, die von Punkt eins "Keine Armut" zu Punkt 17 "Partnerschaft zum Erreichen der Ziele" Konflikte über Konflikte adressieren.

Larson ist Direktor der Abteilung "City Science" am MIT in Boston und hatte den Kongress zusammen mit Gesa Ziemer organisiert, die an der HCU in Hamburg ein beispielhaftes Labor für digitale Partizipations- und Analyseprozesse in der Stadtentwicklung gegründet hat und leitet, das im Rahmen dieses Kongresses in das Netzwerk der UN für technische Entwicklung aufgenommen wurde. Und Ziemer und Larson betonten in ihrer Erklärung des Mottos "Without" sehr energisch, dass die Städte der Welt durch den Klimawandel und die digitale Revolution an einer Schwelle stehen, wo sie sich dringend von alten Modellen verabschieden müssen, um noch eine positive Zukunft zu haben. Und zwar auf allen Gebieten vom Verkehr über die Versorgung bis hin zu Top-Down-Planung und Bürokratie.

Aber "Without" in Verbindung mit dem Wort "Wissenschaft" bedeutet eben nicht zurück in die Steinzeit einer totalen Verzichtsgesellschaft. Im Kern bedeutet es, neue technische, politische und planerische Lösungen für obsolet gewordene Systeme zu erfinden. Und bei den Dutzenden Präsentationen und Workshops dieses intensiven Doppeltags wurde dann ein großer Enthusiasmus der vor allem jungen Wissenschaftler erlebbar, die für die unterschiedlichsten Problemfelder nach besseren Lösungen suchen: vom nigerianischen Slum zum Stau in São Paulo, von endlosem Lärm bis zu nachhaltigen Materialien, von wasserlosen Toiletten bis zu Licht aus Bakterien präsentierten sie Projekte, die zu einer nachhaltigeren und glücklicheren Weltgemeinschaft führen sollen.

Dabei trat dann vor allem ein eklatanter Widerspruch immer wieder zu Tage. Die meisten kreativ ersonnenen Lösungen basieren auf dem exzessiven Sammeln und Verbinden von persönlichen Daten. Gesichtserkennung beim Ausleihen von autonomen E-Rikschas, Wegeverfolgung von Fahrradfahrern oder Städtetouristen über ihr Mobilfunkgerät zur Vermeidung von Stau und Stress oder Scannen von persönlichen Lebensgewohnheiten zur Korrektur klimaschädlichen Verhaltens münden alle in einem perfekten Profiling, das dank der heutigen Vernetzung und kommerziellen Weitergabe von Daten zur totalen Überwachung taugt - wie China es mit seinem Sozialkredit-System ja bereits massiv forciert, damit die Partei jedes abweichende Verhalten seiner Bevölkerung sofort mit Strafe wieder gesinnungsgerecht zwingen kann.

Effizienz als Fetisch, das machte dieser Weltkongress an vielen Stellen schmerzhaft bewusst, ist der Freiheit genauso abträglich wie Wachstumskapitalismus dem globalen Habitat. Und das ließ den zweiten großen Widerspruch dieser wissenschaftsbasierten Weltoptimierung erkennen. Technische Lösungen ersetzen sehr häufig nur ein altes durch ein neues Problem. Und sie rütteln selten an dem Grundwiderspruch unserer Lebensart, dass exzessiver Verbrauch auch umweltfreundlich organisiert immer noch Verbrauch bleibt. Ein echtes "Without" wäre eben doch die Verzichtserklärung auf sehr Vieles, das Konsumbürger als ihr Menschenrecht empfinden, wie Reisen, Shoppen, Fleischessen - oder eben auch das eigene Privatflugzeug steuern.

Deswegen ist die gewisse Scheinheiligkeit in den Ausführungen von Norman Foster, der nicht wirklich praktiziert, was er predigt, ein produktiver Widerspruch. Kritisch hinterfragt können die Konzepte für ein gesünderes Zusammenleben gerade in ihren oft gegensätzlichen Konsequenzen den Eifer nur weiter anfachen, Grundwidersprüche der gesellschaftlichen Organisation aufzudecken, um zu verträglicheren Lösungen zu kommen. Und dafür braucht es vor allem Vorschlag und Kritik, wie es solche konzentrierten Veranstaltungen organisieren. "Without critical Science" jedenfalls ist menschorientierter Fortschritt nicht möglich. Und dann ist alles weitere eine Frage von persönlicher und politischer Konsequenz. Nicht nur bei den Vielfliegern mit dem grünen Programm.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2019
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