Komponist Richard Wagner:Wie Wagner wirkte

Wolfgang und Wieland Wagner mit Hans Knappertsbusch und Herbert von Karajan, 1950

Hans Knappertsbusch, Wieland Wagner, Herbert von Karajan und Wolfgang Wagner (von links nach rechts) 1950 in Bayreuth.

(Foto: SZ Photo)

Was löste der Komponist im Wagner-besessenen Adolf Hitler aus? Und wie sind Thomas Mann und Hans Knappertbusch darin verwoben? Ein neues Buch liefert erhellende Erkenntnisse.

Rezension von Jens Malte Fischer

Gibt es nicht schon genug Literatur über Richard Wagner? Und gibt es nicht schon ausreichend Betrachtungen von Wagners Wirkung in Deutschland?

Unter anderen haben sich in den letzten Jahren Udo Bermbach und Sven Oliver Müller diesem Thema gewidmet. Hans Rudolf Vaget, ein Kenner Thomas Manns wie auch des Werkes Richard Wagners und seiner Rezeptionsgeschichte, legt ein Buch vor, in dem er sich ein engeres, dafür aber auch präziseres Ziel setzt.

Unter dem von Wagner entlehnten Titel "Wehvolles Erbe" konzentriert er sich auf drei Gestalten unterschiedlicher Bedeutung in diesem Kontext, aus denen er ein Triptychon formt. Es sind dies Adolf Hitler, der Dirigent Hans Knappertsbusch und Thomas Mann.

Vaget hat schon eine ganze Reihe von Beiträgen zu dem Thema seines neuen Buches vorgelegt. Dies hier ist jedoch keine Aufsatzsammlung, sondern es ist ein Buch, das auf bisherigen Untersuchungen basiert, teilweise reichlich ergänzt und neu formuliert wurde. So entsteht dann doch etwas Neues und, wie es bei Thomas Mann heißt, "Buchenswertes".

Der erklärungsbedürftigste aller überzeugten Wagnerianer war Adolf Hitler. Vaget weist zu Recht darauf hin, dass die bisherigen Hitler-Biografen, auch die bedeutendsten unter ihnen, dem Aspekt des Wagnerianertums bei Hitle keineswegs die angemessene Bedeutung zugebilligt haben. Sie kannten sich alle bei Richard Wagner nicht wirklich aus.

Vaget, der sich auskennt, gelingt es hier, aus dem scheinbar abgearbeiteten Thema neue Funken zu schlagen. Er zeichnet die Fixierung, ja Besessenheit Hitlers von Person und Werk Wagners (in dem er sich bestens zurechtfand) nach und betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Wagner-Kults für die Selbstinszenierung des "Führers", die ja nicht erst 1933 begann, sondern schon viel früher.

Wagner war wichtig für die Selbststilisierung Hitlers

Vaget stellt einleuchtend dar, dass nicht der ebenfalls heiß geliebte "Lohengrin" die Initialzündung war, wie in Thomas Manns Lübecker Stadttheater, sondern der "Rienzi" im Linzer Opernhaus des Jahres 1905. Hitler sagte später dazu: "In jener Stunde begann es".

Man hat sich immer wieder gewundert, dass Hitler von jener großen Oper Wagners, die dieser später selbst seinem zentralen Werk nicht mehr zurechnete, so begeistert war, denn sie zeigt einen Volkstribunen, der hoch steigt, aber noch tiefer fällt.

Hitler selbst aber wies darauf hin, dass er aus dem Schicksal Rienzis etwas gelernt habe: ein Volkstribun ohne Machtapparat, ohne die Stütze einer Partei, sei zum Misserfolg verurteilt.

Vaget rückt Hitler und Wagner durch den Dilettantismus-Begriff noch näher aneinander, einen Begriff, der in der europäischen Diskussion um 1900 vor allem durch den französischen Autor Paul Bourget eingeführt worden war.

Es ist kein Zufall, dass sich der fatale "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" gegen den Wagner-Vortrag Thomas Manns besonders an der Applizierung des Dilettantismus-Begriffs an den "wertbeständigen deutschen Geistesriesen" (so die unnachahmliche Formulierung des "Protestes") stieß.

Zahlreiche Hitler-Biografen haben lange den Fehler gemacht, seine künstlerischen Ambitionen als nebensächlich, weil eben dilettantisch in einem engeren Sinne, abzutun. Sich auf Wolfram Pyta berufend, der kürzlich von Hitlers "ins Militärische ausgelagertem Künstlertum" sprach, forciert Vaget genau diesen Punkt mit überzeugenden Argumenten. Für die Selbststilisierung Hitlers als von Erfolg zu Erfolg eilende Genie- und Künstlernatur war die innere Berufung auf Wagner zentral.

Dirigent Knappertsbusch initiierte Aktion gegen Schrifsteller Mann

Der zweite Teil des Triptychons ist Hans Knappertsbusch gewidmet. Man wird vielleicht erstaunt sein, diesen Namen eines Dirigenten hier zwischen Adolf Hitler und Thomas Mann eingefügt zu finden.

Heute ist er längst nicht mehr so bekannt wie zu den Zeiten seines Wirkens am Dirigentenpult großer Opernhäuser und großer Orchester. Während des "Dritten Reiches" brachte er es immerhin zum Musikchef der Bayerischen Staatsoper. Dass er dort und damals hinauskomplimentiert wurde, hat er später durchaus geschickt und erfolgreich als Folge seiner angeblichen Gegnerschaft gegen das NS-Regime illuminiert.

Vaget weist schlüssig nach (eine zulängliche Biografie Knappertsbuschs gibt es bis heute nicht), dass davon keine Rede sein kann, die Gründe dafür liegen auf einer anderen Ebene.

Erst spät wurde bekannt, dass Knappertsbusch der Initiator des schändlichen Vorgehens der Münchner Wagnerianer gegen Thomas Manns Vortrag im April 1933 war. Dieser sogenannte Protest war der nur notdürftig camouflierte Aufruf, Thomas Mann aus der deutschen Kulturlandschaft zu entfernen - dass Hans Pfitzner und Richard Strauss diesen infamen Text unterschrieben, kann ihnen niemals verziehen werden.

Knappertsbusch spielte im neuen Bayreuth ab 1951 eine gewichtige Rolle, dies wird von Vaget umfassend dargestellt. Ob sie wirklich so dominierend war, wie er meint? Wieland und Wolfgang Wagner wussten natürlich, was sie an dem alten "Kna" hatten.

Nachdem die angestrebte enge Verbindung mit Herbert von Karajan sich als nicht zukunftsträchtig herausstellte, fungierte Knappertsbusch als Großsiegelbewahrer. Dass er schon im "Dritten Reich" sich vergeblich bemüht hatte, in Bayreuth Fuß zu fassen, wurde ihm nicht weiter negativ angerechnet.

Manns irritiertender Text "Bruder Hitler"

Im dritten Teil, überschrieben "Thomas Manns Wagner", lässt der eminente Mann-Kenner Vaget sein Darstellungsorchester zu vollem Klang aufrauschen. Er ordnet den Text des Wagner-Vortrags von 1933 ein und weist ausdrücklich darauf hin, was oft vergessen wird, dass dieser Vortrag primär für eine Gelegenheit in Amsterdam gedacht war, also für nicht-deutsche Zuhörer, was die Beleuchtung durchaus etwas abändert.

Er weist aber auch auf den viel weniger bekannten Zürcher Vortrag Manns über den "Ring des Nibelungen" von 1937 hin und vor allem auf einen Text, der bis heute bei vielen Lesern Irritationen hervorruft: "Bruder Hitler", zuerst gekürzt und auf Englisch im Jahr 1939 erschienen.

Vaget ist der erste, der auf der erheblichen Bedeutung Richard Wagners nicht nur für Hitler, sondern auch für diesen Text Thomas Manns mit guten Gründen insistiert. Nachdem er vor längerer Zeit schon einmal eine Anthologie mit allen wichtigen Äußerungen Thomas Manns zu Wagner herausgegeben hat, fasst er hier seine Erkenntnisse souverän und leserfreundlich zusammen.

Thomas Mann hat seine tief verankerte Wagnerbegeisterung nie verleugnet, aber schon vor Hitler kristallisierten sich in ihm Bedenken gegenüber dem verderblichen Potenzial des Jahrhundertgenies, die er 1948 in dem Satz zusammenfasste: "Es ist immer wieder ein schwieriger, anziehender und abstoßend der Fall".

Hans Rudolf Vagets Buch ist die krönende Zusammenfassung langer Studien und ebenso intimer wie präziser Kennerschaft. Er ist gegenüber Wagner und seiner Wirkung kritischer als manche der in diesem Bereich publizierenden Kollegen, ohne jedoch in flächendeckende Verwerfung zu verfallen. Bei diesem Thema ist es nicht so einfach, nüchterne Balance zu halten. Hier ist es gelungen.

Hans Rudolf Vaget: "Wehvolles Erbe". Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017. 560 Seiten, 28 Euro. E-Book 24,99 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: