Komponist:Bad in Blut und Bässen

Gabriel Prokofiev, Enkel von Sergej, schreibt fürs Theater Regensburg eine Oper über eine Serienkillerin. Mit Anleihen aus dem Elektro-Pop

Von Egbert Tholl

Also, der Name. Als junger Mensch war er eher scheu wegen seines Namens, spürte mit ihm einen Druck auf sich lasten. Später wandelte der sich zum Ansporn. Denn der Großvater war sehr fleißig gewesen. Das wurde er dann auch. Der Großvater war Sergej Prokofiev, er selbst ist Gabriel Prokofiev. Und macht dasselbe wie der Opa: Er komponiert Musik. Gerade hat er seine erste Oper vollendet. Am Samstag hat sie ihre Uraufführung am Theater Regensburg.

Wenn man um die Verwandtschaft weiß, glaubt man gleich in der Ouvertüre der Oper "Elizabetta" eine Stelle zu hören, die an Musik des Großvaters erinnert, als der in seiner wilderen Phase war. Tatsächlich würde er nicht sagen, die Musik seines Großvaters habe ihn nicht beeinflusst, schließlich hatten sie ja die Partituren zu Hause. Aber da war noch viel mehr, was ihn interessierte. Schostakowitsch, den er anfangs schwächer fand als den Opa, bis er seine dunkle Seite entdeckte. Schnittke, Brahms, Bach. Und als ihm schließlich die Musik von Stockhausen begegnete, entdeckte er eine Freiheit. Endlich nicht mehr nachdenken über Kompositionsgeschichte und deren Fortschritt, sondern über Klang. Diese Freiheit hat er sich bewahrt. "Wenn mir heute diese oder jene Idee kommt, dann ist es halt so. Ist ja meine Idee."

Gabriel, 43 Jahre alt, ist in London geboren und lebt dort. Deswegen folgt in diesem Text die Schreibweise seines Namens auch der englischen. Sein Vater verließ 1971 die Sowjetunion, hatte sich in eine englische Kunsthistorikerin verliebt, sieben Jahre um die Ausreisebewilligung gerungen. Kalter Krieg. Als er es endlich nach England geschafft hatte, war klar, dass er nicht mehr in die Sowjetunion zurückkönnte. Dann starb die geliebte Frau.

Gabriel hat nie Russisch gelernt. Sein Vater war Maler und Bildhauer, hat nicht viel über den Opa gesprochen, wohl aber dessen Musik gehört. Er stellte nach Konzerten den Sohn verschiedenen Dirigenten vor, wenn die gerade Prokofiev dirigiert hatten. Valery Gergiev zum Beispiel. Für die Russen ist Prokofiev ein Heiligtum. Gabriel hat Verwandte in Russland, so alt wie er, die auch noch den Vornamen Sergej tragen. "Was meinen Sie, wie es denen geht?"

Elizabetta

Hingegossen im Jugendwahn: Vera Semieniuk in der Titelpartie, in der sie bei der Probe ungeheuer viel Freude an ihrer Rolle ausstrahlte.

(Foto: Jochen Quast)

Musik war immer wichtig, von Kindheit an - mit elf Jahren schrieb er seine ersten Popsongs, sang später selbst in einem Chor. Zwei Jahre Philosophiestudium neben der Musik waren nur eine Episode. Dann übernahm die Musik alles, wurde zur umfassenden Beschäftigung. Man weiß gar nicht genau, ob es da eine klare Reihenfolge gibt. Gabriels unterschiedliche Umgangsformen mit Musik bedingen sich ohnehin gegenseitig. Also: Er spielte Keyboard in einer Elektronik-Band, hatte zuvor aber schon zwei Streichquartette komponiert. Um das erste auf Platte herauszubringen, gründete er ein Label, "nonclassical music". Seine Idee war, nicht jahrelang über Aufnahmen zu grübeln, wie es in seiner Wahrnehmung klassische Musiker taten, sondern die Aufnahmen rauszuhauen wie auf einem Pop-Label. Dazu erfand er eine Serie von "nonclassical remixes".

Nicht dass man jetzt denkt, er nimmt eine Aufnahme eines Stücks klassischer Musik und legt einen Beat drunter. Nein. Was er da treibt, ist für ihn die "zeitgenössische Antwort auf Remix". Techno an sich ist ihm zu simpel, zu fixiert. Für die Remixes verwendet er keine elektronischen Klänge. Er nimmt die Aufnahme etwa einer Symphonie, zerlegt sie und setzt sie neu zusammen, fügt vielleicht Loops, also Wiederholungsschleifen ein. Das erzeugt einen Drive. Oder er nimmt eine Partitur, etwa die der neunten Symphonie Beethovens, schneidet sie Takt für Takt auseinander, fügt sie neu zusammen und gibt sie einem Orchester zum Spielen. Live, nur der Chor kommt vom Band. Mit den Remixes arbeitete er auch als DJ, dann mischt er Beats dazu. Einmal im Monat gibt es in London die "nonclassical" Clubnacht. Die ist Kult. Einmal ließ er dort Lachenmanns Solocellostück spielen, und die jungen Leute hätten sich verblüfft gefragt: Hey, was ist denn das?

"Junge Leute mögen Klassik und wollen sie hören. Aber deren Präsentation kollidiert mit ihrem Lebensstil. Die Konzerte sind zu formell, zu früh." Beeindruckt hat ihn vor zwei Wochen ein Auftritt mit dem Ensemble Resonanz in der Elbphilharmonie. Die sei so angesagt - er sagt "fashionable" und verweist auf den ähnlich gearteten "Tate Modern Effekt" -, dass die Leute hingehen, egal was gespielt wird. Prokofiev will, dass klassische Musik stärker Teil der Gesellschaft wird. Und eben auch zeitgenössische Klassik. Damit meint er nicht die Musik, die von Spezialisten für Spezialisten bei Spezialisten-Veranstaltungen gespielt wird. Auch in England gebe es - milder als auf dem Kontinent - das Dogma des musikalischen Fortschritts. Zumindest hatte er dies im Studium erfahren. Jetzt jedoch fühlt er sich so frei, in seine "Elizabetta"-Oper auch Elektronik und so etwas wie Techno-Nummern einzubauen.

Komponist Gabriel Prokofiev

Der 1975 in London geborene Komponist, Musikproduzent und Labelchef Gabriel Prokofiev verließ sein Philosophiestudium nach zwei Jahren schnell in Richtung Musik.

(Foto: Strelka Institute for Media, Architecture and Design)

Die Auffassung, dass zeitgenössische Musik etwas mit dem zu tun haben sollte, was uns klanglich umgibt, teilt er mit dem Regensburger Intendanten Jens Neundorf von Enzberg. Der hörte ein Ballett von Prokofiev in Stuttgart und wünschte sich danach von ihm eine Oper, in der dezidiert Elektronik eingesetzt wird, was der nicht bei jeder seiner Kompositionen tut. Prokofiev hatte auch schon die Idee zu einem Sujet, bat David Pountney, Regisseur, ehemaliger Leiter der Bregenzer Festspiele und nun Leiter der Welsh National Opera um ein Libretto. Der schickte nach einem Monat den Text - Pountney inszenierte gerade in Chicago "Walküre" - und nach insgesamt acht Monaten war die Oper mit immerhin zwei Stunden Musik fertig.

In der taucht die Geschichte der Fürstin Elizabetta aus dem 17. Jahrhundert auf, die glaubte, mit dem Baden in Jungfrauenblut ewige Jugend zu erhalten und es damit zu einer der erfolgreichsten Massenmörderinnen brachte. Das Ganze wird in die Gegenwart gewuchtet, ein Filmstar will nicht altern, und der Doktor, der sich um dieses Ansinnen kümmert, singt unterlegt von einem elektronischen Bass. Drei echte Dancefloor-Nummern tauchen auf, interessanter sind aber die Stellen, in denen Prokofiev eine Synthese anstrebt.

Er hat noch viel vor. Will Techno mit der Komplexität klassischer Musik anreichern, hat eine Sehnsucht nach avanciertem Pop, muss viele Kompositionsaufträge erfüllen. Immer in der Mission, die klassische Musik zu einer ganz selbstverständlichen Kunst der Gegenwart zu machen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: