Komponierende Computer:Verträumte Handschuhe

Jetzt können Computer auch noch komponieren. Der Physiker und Hobbymusiker Matthias Wüllenweber hat ein Programm entworfen, das neue Fragen aufwirft. Von Alex Rühle. Mit Hörbeispielen.

Als der amtierende Schachweltmeister Wladimir Kramnik im vergangenen November gegen den Computer Deep Fritz antrat, wurde die Begegnung zum ultimativen Duell von Mensch gegen Maschine hochgejubelt. Für ein ultimatives Duell verlief es recht ruhig:

Komponierende Computer: Ludwigs Hauptschirm mit Mischpult. Screenshot von www.komponieren.de.

Ludwigs Hauptschirm mit Mischpult. Screenshot von www.komponieren.de.

Während sich Kramnik immerhin mal die Strickjacke auszog oder nach dem 33. Zug der vierten Partie aufs Klo ging, suchte Fritz in den Tiefen seiner Xeon-Prozessoren stoisch, streng und stumm nach dem jeweils besten Zug. Kramnik verlor, Fritz summte, die Menschheit stöhnte: Der Computer hatte sie mal wieder in ihrer ureigensten Domäne, der Intelligenz, geschlagen.

Dann geschah, am Rande, bei einer Abendveranstaltung, das eigentlich Interessante: Ein Mann betrat mit einer Querflöte das Podium, stellte einen Laptop an, und ließ diesen ein kleines Stück komponieren, das er dann nachspielte. Die Leute hätten wahrscheinlich gelächelt, hätten sie nicht gewusst, wer da vorne steht: Matthias Wüllenweber ist der Erfinder von Fritz. Das Kompositionsprogramm, das der Physiker und Hobbymusiker vorstellte, ist seit dieser Woche auf dem Markt. Es heißt Ludwig und mit ihm stellt sich akut die Frage, ob Computer nun auch noch lernen werden, was Schönheit ist.

Das Prinzip, nach dem Ludwig komponiert, erinnert an das Vorgehen eines Schachprogramms, das in einer gegebenen Stellung alle denkbaren legalen Züge ausprobiert. Dabei entsteht ein Variantenbaum, der schnell hochkomplex wird. Nach einer bestimmten Rechentiefe bewertet der Computer alle "angedachten" Stellungen und entschiedet sich für einen Zug. Ganz ähnlich berechnet Ludwig vier Takte im voraus und überlegt, an welcher Stelle welche Töne legal sind. Was aber heißt in dem Fall legal?

Wüllenweber hat Ludwig mit harmonischen Materialien und Akkordverbindungsschnipseln gefüttert, von denen das Programm weiß, für welchen Stil sie typisch sind. Er hat ihm monatelang Riemanns Kompositionslehre vorgelesen, aus der man lernen kann, eine Melodie müsse eine "klare, zielgerichtet Kontur haben." Und er hat die Gesetze des Bachschen Kontrapunkts in Formeln gegossen, damit Ludwig musikalisch eigenständige Mittelstimmen komponiert. All das ergab am Ende 400 000 Zeilen in der Programmiersprache C++, die man in Form einer CD-Rom kaufen kann.

ZDF-Traumschiff mit Be Bop

Als Benutzer wählt man am Bildschirm aus den Parametern Stil, Melodie und Akkorde jeweils einen Begriff aus. Dabei gibt der Stil - Pop, Jazz, Rock - am deutlichsten die kompositorische Richtung vor. Ludwig wählt sich Ton für Ton, Takt für Takt aus dem Variantenbaum die Möglichkeiten, die am besten zum Tonumfang und zur Harmonie des jeweiligen Stils passen. Sagt man ihm, er solle eine Ballade komponieren, so richtet er sich streng nach der klassischen Harmonielehre.

Fresh Mountain Country Waltz

Soft Dolores Beguine

Rising Peacock Synth Ballad

Verträumte Handschuhe

Klickt man dagegen Jazz an, erweitern sich die harmonischen Möglichkeiten. Gleichzeitig bekommt man in dem Moment aber auch noch die Grenzen von Ludwigs kompositorischem Sachverstand vorgeführt: Jazzstücke klingen in dieser ersten Version so, als erinnere sich ein gealterter Barpianist auf dem ZDF-Traumschiff anfallsartig an seine wilden Hard-Bop-Zeiten, sämige Melodien, über die nach Zufallsprinzip erweiterte Akkorde gestreut werden.

Komponierende Computer: Ludwig zeichnet Audiodateien auf. Screenshot von www.komponieren.de.

Ludwig zeichnet Audiodateien auf. Screenshot von www.komponieren.de.

Die melodischen Unterprogramme tragen adjektivische, die stilistischen substantivische Namen, die nichts mit Musik aber viel mit Assoziationsräumen zu tun haben. Unter Melodie kann man auswählen unter Begriffen wie Happy, Sad oder Dreamy, unter Akkorden gibt es seltsame Namen wie Coat, Beginning, Flamingo. Selbstkritisch heißt es in der Gebrauchsanweisung, viele der Begriffe seien "willkürlich gewählt. Besonders sinnlose Songtitel müssen aber nicht unbedingt zu schlechten Kompositionen führen."

Tun sie freilich trotzdem. Die Komposition, die Ludwig zu der Kombination "Dreamy Gloves" ausspuckt, scheint eher seine eigene Ratlosigkeit zum Ausdruck zu bringen, was denn verträumte Handschuhe sein sollen, als dass man kompositorische Stringenz erkennen könnte. Die vier Stimmen schieben sich wie ermattete Eintänzer durch die kurze Komposition. Genauso oft aber ist man erstaunt über das, was das Programm nach drei Sekunden ausspuckt.

Stimmen sterben den Sekundentod

Nachdem Wüllenweber das Programm beim Schachwettkampf zwischen Kramnik und Fritz erstmals vorgeführt hatte, rümpften Vertreter aus dem Musikbusiness die Nase. Was das denn solle, Musik sei doch kreativ, ingeniös, Gefühlssache. Richtig. Wie formalisiert die meisten Popsongs sind, kann man aber schon an der Hiterkennungssoftware "Hit Songs Science" (HSS) erkennen.

Der Spanier Mike McCready fütterte seinen Rechner mit den Chartserfolgen der vergangenen Jahre und schlüsselte diese nach Komponenten wie Melodie und Rhythmus auf. HSS kann nicht komponieren, es vergleicht aber neue Songs mit Hits und prognostiziert dann, ob der Song Erfolg haben wird. Moby schwärmt von dem Programm, einige Majors befragen HSS inzwischen bei jedem Song.

Klanglich ist Ludwig ungefähr da, wo Atari mit seinen Computerspielen optisch in den Achtziger Jahren war: Die Klangmuster erinnern an DDR-Keyboards, besonders grotesk klingen vierstimmige Chöre, statt sanft die Stimmbänder zu schließen, sterben die Stimmen bei jeder Pause den Sekundentod. Aber kompositorisch können sich die meisten Songs mit einem Großteil des musikalischen Hintergrundrauschens messen, das uns in Fahrstühlen und Malls die Ohren verklebt.

Ein vierstimmiges Stück nach dem anderen

So ist es kein Wunder, dass im Handbuch die Lizenzbedingungen fast genauso lang sind wie die Bedienungsanleitung. Wem gehören die Songs, die Ludwig komponiert? Wüllenwebers Firma Chessbase. Die kann aber unmöglich kontrollieren, was mit all dem Material geschieht, das Fritz im Drei-Sekunden-Takt auf irgendwelchen privaten Rechnern ausspuckt. Man muss, um die Songs als eigene Kompositionen auszugeben, weder das absolute Gehör haben noch Noten lesen können, das Programm liefert einem eine fertige Partitur zu jeder Komposition mit.

Wüllenweber sagt, er interessiere sich gar nicht so sehr für solche urheberrechtlichen Fragen, sein Programm sei zunächst einmal für Laien bestimmt, die einen geduldigen Partner zum Üben brauchen. Ludwig kann, ähnlich wie "Music Minus One"-Aufnahmen, die es aber ja immer nur zu schon existierenden Kompositionen gibt, immer neue Stücke entwerfen, bei denen dann eine Stimme weggelassen wird, die der Übende hinzufügt und von der er sich dann improvisierend entfernen kann. Für Trompeten- oder Geigenschüler, deren Musikbegeisterung bislang oftmals in der Einsamkeit resopalbeschichteter Kellerräume einging, kann Ludwig ein vierstimmiges Stück nach dem anderen entwerfen.

Was Fritz angeht, so sprachen Beobachter der Begegnung mit Kramnik von einem "Paradigmenwechsel" des Rechners: Man merke, dass Fritz nicht mehr nur acht Millionen Stellungen pro Sekunde analysiere, sondern dass er diese Stellungen inzwischen auch abgleiche mit den 2,5 Millionen Partien, die er gespeichert hat und anderem "Erfahrungswissen". Wüllenweber sagt, er denke bei Fritz "oft, was macht er denn jetzt für einen Zug?" Kann Fritz deshalb denken? Nein. Aber er spielt eben besser als der Weltmeister. Wüllenweber sagt, wenn er Ludwig beim Komponieren zuhöre, denke er "jetzt schon oft, hoppla, was hat er jetzt wieder gemacht?".

Tearing Necklace Big Band

Flying Village Chorale

Dreaming Daffodils Montuno

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