Komödie:Hühner mit Hufen

Mads Mikkelsen kaschiert seine Hasenscharte mit einem Riesenschnauzer in der Tragikomödie "Men & Chicken" über Sodomie und bizarre Kreaturen.

Von Anke Sterneborg

"Es steckt noch sehr viel Tier im Menschen" - das ist das Fazit dieses Films. Als der Regisseur Anders Thomas Jensen seinen vier Kindern einmal beim Spielen zusah, bemerkte er: "Sie schlagen sich schnell die Köpfe ein, wenn man ihnen nicht beibringt, wie man sich in der Gemeinschaft verhält." Was würde passieren, fragte er sich, wenn man sie stattdessen auf einer einsamen Insel aussetzte und einfach machen ließe?

Aus dieser Überlegung ist sein Film "Men & Chicken" entstanden: Willkommen auf der kleinen, dänischen Insel Ork! Nur knapp über 40 Bewohner leben hier, die Fähre zum Festland legt nur donnerstags und sonntags ab. In einem malerisch verfallenen Haus leben drei Kindmänner und ihr beinahe hundertjähriger Vater. Durch Flure, Zimmerfluchten und Kellergruften spuken die Geister medizinischer Experimente. In Wirklichkeit ist das Gebäude, in dem gedreht wurde, ein ehemaliges Lungensanatorium in Beelitz-Heilstätten. Jensen, unter anderem Stammautor der Regisseurin Susanne Bier, musste also gar nicht so viel für das Drehbuch erfinden, das er nach zehn Jahren Regiepause wieder selbst verfilmt hat. Zusammen mit seiner Setdesignerin Mia Stensgaard ließ er einfach die morbide Atmosphäre des Verfalls auf sich wirken.

Es blättern verblichene Farben in großen Flocken von den Wänden, Kabel sind zu gefährlich provisorischen Anschlüssen verknüpft, die Fensterscheiben zerbrochen und blind, die Türen mit Holzplanken vernagelt, die Rohre rostig. Und die große Tafel, an der sich die drei Jungs abends versammeln, gleicht einem opulenten Vanitas-Gemälde. Unter den Bauernhoftieren, die die Zimmerfluchten in Ställe verwandeln, tummeln sich bizarre Kreaturen: Hühner mit Hufen, Stummelflügeln, schafsähnlichen Köpfen oder Schweineohren.

Komödie: Schnurrbärtig: Mads Mikkelsen.

Schnurrbärtig: Mads Mikkelsen.

(Foto: DCM)

Wie schon in seinen früheren Filmen entwirft Jensen auch hier wieder eine hermetische Welt, die sich den moralischen Grundsätzen der Zivilisation entzieht. Nachdem er in "Dänische Delikatessen" den Kannibalismus erforscht hat, öffnet er jetzt den Blick auf Sodomie und Erbgutmanipulation. Nach dem Tod ihres Vaters schickt er zwei seltsame Brüder zu ihren drei noch sehr viel merkwürdigeren Halbbrüdern, um die finsteren Geheimnisse ihrer Herkunft zu ergründen. Doch die Familienzusammenführung kommt nur schleppend in Gang, weil die Inselbewohner zunächst mal mit allem um sich schlagen, was ihnen in die Hände kommt- von Holzlatten über Blecheimer bis hin zu ausgestopften Tieren.

Es dauert eine Weile, bis man sich an die schräge Ausgangssituation dieses Films gewöhnt hat. Ein bisschen so, als müssten sich die Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen, die hier physischer und psychischer Natur ist. Dazu gehört auch der Anblick von Mads Mikkelsen, denn der dänische Star präsentiert sich hier mit perfider Lust als Tölpel. Ein fünfjähriger Junge im Körper eines hochgewachsenen Mannes, der eine imposante Hasenscharte notdürftig mit einem altmodischen Schnauzer kaschiert. Auch die anderen Darsteller, die allesamt regelmäßig in dänischen Fernsehserien und Genrefilmen mitspielen, scheren sich nicht um Sitte und Anstand, um Ansehen und Eitelkeiten. Die Kunst von Anders Thomas Jensen liegt darin, dass man trotzdem gar nicht anders kann, als diese ziemlich abstoßenden Kindskerle ins Herz zu schließen.

Mænd & høns. DK/D 2015. Buch und Regie: Anders Thomas Jensen. Kamera: Sebastian Blenkov. Mit: Mads Mikkelsen, David Dencik, Nikolaj Lie Kaas, Søren Malling, Stine Engberg Andersen. Verleih: DCM, 104 Minuten.

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