Süddeutsche Zeitung

Kommunistische Partei Italiens:Kader der Kultur

Italien hatte einst die größte kommunistische Partei außerhalb des sowjetischen Blocks. Vor 100 Jahren wurde sie gegründet - und hat das zwanzigste Jahrhundert in besonderer Weise geprägt.

Von Thomas Steinfeld

In den Tiefen Russlands, an einer Schleife der Wolga, liegt die große Stadt Toljatti. Einst ein Nest in der Provinz, verdankt sie ihre Bedeutung einer Automobilfabrik, die dort in den Sechzigern errichtet wurde, um ein "Automobil für jedermann" herzustellen. Das Modell kam aus Italien: Gebaut wurde der Fiat 124, ein mehr oder minder rechteckiges Gefährt der unteren Mittelklasse, ein Muster an Sachlichkeit. Bald hieß das Auto "Schiguli", nach einem Gebirge auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses.

Während also ein westliches Fahrzeug einen russischen Namen erhielt, widerfuhr der Stadt das Umgekehrte: Aus Stawropol-Wolschskij wurde Toljatti - benannt nach Palmiro Togliatti, dem im Jahr 1964 gestorbenen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens. Dieser hatte während des Zweiten Weltkriegs Asyl in Moskau gefunden und eine führende Rolle im Komintern gespielt, der Kommunistischen Internationale. In sein Bruder- und Heimatland Italien zurückgekehrt, wurde Togliatti zu einem der mächtigsten Politiker des Landes. An der Entstehung der italienisch-sowjetischen Automobilfabrik hatte er großen Anteil: Nie kamen die italienischen und die sowjetischen Kommunisten einander so nahe, vorher nicht und nachher erst recht nicht.

Als Palmiro Togliatti starb, stand ein Viertel der italienischen Wähler hinter dem "Partito Comunista Italiano" (PCI). Die Partei hatte damals fast zwei Millionen Mitglieder und war die größte kommunistische Partei außerhalb des sowjetischen Blocks. Togliatti hatte sogar die verirrten linken Faschisten zu integrieren versucht. Deutschland war nach dem Krieg geteilt worden, in einen westlichen Teil, in dem die Kommunisten bedeutungslos waren, und einen östlichen Teil, in denen es keine bürgerliche Parteien gab. Italien aber, geopolitisch ähnlich gelegen und ehemaliger und mithin geschlagener Achsenstaat, blieb vereint. Die eigentliche Front mochte durch die Adria oder durch den Karst hinter Triest verlaufen. Doch sie zog sich auch durch das Land selbst, in vielfältiger, oft diffuser, aber immer wieder auch in scharfer, von Gewalt geprägter Form.

Auf der einen Seite regierte die "Democrazia Cristiana" (DC), zur Not auch mit Unterstützung der CIA oder der Mafia. Auf der anderen Seite wurde der PCI zu einer Massenpartei, die auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn nicht nur in Städten wie Rom, Neapel, Bologna oder Venedig die Bürgermeister stellte, sondern auch etwa die Bank "Monte dei Paschi" kontrollierte, eines der größten Geldhäuser des Landes. Die Folgen dieses Ineinanders von nationalen und internationalen Fronten waren gravierend: angefangen bei einer grundsätzlichen politischen Instabilität, die sich etwa in unzähligen Regierungswechseln äußerte, bis hin zu einem bis heute kaum aufgeklärten Staatsterrorismus.

In die Regierung aufgenommen wurden die italienischen Kommunisten nie, abgesehen von einer kurzen Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch wandte sich die Partei, die sich schon unter Palmiro Togliatti von Moskau zu entfernen begonnen und mit der "Diktatur des Proletariats" nie viel im Sinn gehabt hatte, im Lauf der Zeit immer stärker der Sozialdemokratie zu. Und sie tat dies weiter, als sich die Studentenbewegung in den späten Sechzigern zu einem latenten Aufruhr in weiten Teilen der Gesellschaft wandelte, der viel gewalttätiger wurde als alle entsprechenden Revolten in Deutschland.

Das "Feuer der Oktoberrevolution" wurde mit der Zeit für "erloschen" erklärt

Enrico Berlinguer, Generalsekretär des PCI zwischen den Jahren 1972 und 1984, erklärte schließlich "das Feuer der Oktoberrevolution" für "erloschen", während seine Partei sich offensiv von der radikalen Linken trennte. Für ein paar Jahre, in den späten Siebzigern, erschien sogar ein "historischer Kompromiss" zwischen den rechten und linken Lagern möglich. Sie wurden im Frühjahr 1978 durch den Mord an einem ehemaligen Ministerpräsidenten, dem Christdemokraten Aldo Moro, zunichtegemacht. Zu Berlinguers Tod kondolierten dann nicht nur der Papst und der Staatspräsident, sondern auch Fiat-Chef Giovanni Agnelli, der mächtigste Industrielle des Landes. Aber zu dieser Zeit, Mitte der Achtzigerjahre, hatten die Kommunisten in Italien den Höhepunkt ihrer politischen Bedeutung schon überschritten.

Die Partei hatte, wie anders, als revolutionäres Unternehmen begonnen. Gegründet vor hundert Jahren, am 21. Januar 1921, im Zuge einer Spaltung der Sozialisten, hatte sie nicht nur den Umsturz in Italien im Sinn gehabt, sondern sich auch als Teil der Kommunistischen Internationale verstanden. Ihre stärksten Basen besaß sie unter den Fabrikarbeitern in Turin und Mailand, von denen viele aus dem Süden gekommen waren, ferner im ländlichen Proletariat der unteren Po-Ebene sowie in der Toskana, wo das System der Halbpacht ("mezzadria") zu einer völligen Verarmung der Landbevölkerung geführt hatte.

Palmiro Togliatti konnte in den frühen Zwanzigern noch einen Streik gegen (ausgerechnet) Fiat anführen, der das Unternehmen an den Rand des Ruins brachte. Dann regierten die Faschisten, und Antonio Gramsci, neben Palmiro Togliatti und Amadeo Bordiga einer der Gründer des PCI, schrieb seine berühmten "Gefängnishefte". Der Internationalismus der Partei wurde darin italienisch: Wolle man ein nach nordeuropäischen Maßstäben zurückgebliebenes Land wie Italien in den Kommunismus führen, so lehrte Antonio Gramsci, bedürfe es einer "Hegemonie", oder genauer: einer gesellschaftlichen Kraft, die den öffentlichen Diskurs zu definieren vermag, auch wenn sie sich mit anderen Gruppen arrangieren muss.

Das Konzept erwies sich als fruchtbar, vor allem für Italien: Bis in die Siebziger und Achtziger hinein war der größte Teil der italienischen Intellektuellen entweder Mitglied des PCI oder stand ihm nahe. In ihnen erhielt sich das Kaderwesen der Kommunisten, im Gegensatz zu den klientelistischen Bünden, von denen die "DC" regiert wurde. Von Cesare Pavese bis Pier Paolo Pasolini, von Natalia Ginzburg bis Luigi Nono und Andrea Camilleri, sie alle waren Kommunisten.

Von der Mailänder Scala bis zum Volksfest - überall Kommunisten

Eine Gegenwelt tat sich auf, in der Literatur, im Film, in der Musik wie in der bildenden Kunst: Von der politischen Herrschaft ausgeschlossen, wandte man sich der Kultur zu, auf allen Ebenen, von den Volksfesten ("Festa de L'Unità") bis hinauf in die Mailänder Scala und wieder herunter bis zum "Premio Suzzara", einer noch heute vergebenen Auszeichnung für politisch engagierte Kunst, bei der man früher ein Ferkel oder einen Sack Mehl gewinnen konnte. In keinem anderen Land der Welt erwarb eine sich zum Kommunismus bekennende Kultur eine solche Bedeutung, und keine kommunistische Kultur wurde im Ausland so geschätzt, ja so verehrt und bewundert wie die italienische.

Die Bedeutung, die der PCI nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Italien errang, wird oft damit erklärt, dass die Partei den Widerstand gegen die deutschen Besatzer und ihre italienischen Vasallen angeführt habe. Darüber seien feste Strukturen aufgebaut worden, die sie dann im Frieden für politische Aufgaben nutzen konnte. In der Organisation aber liegt allenfalls die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besteht darin, dass der italienische Kommunismus eine weltliche Antwort auf die katholische Kirche bildete. Kirche und Partei stellten die Ordnungsmächte der italienischen Gesellschaft, und sie taten es beide in Distanz zu Staat und Nation: In ihren Ansprüchen zielten sie weit darüber hinaus, und während die eine Institution das Himmelreich verhieß, versprach die andere ein Paradies auf Erden.

In den Romanen, die Giovannino Guareschi dem Landpfarrer Don Camillo und dessen Widersacher, dem kommunistischen Bürgermeister Peppone, widmete, wird diese Konstellation idealtypisch dargestellt, und wenn sich im einen wie im anderen Fall alle Energien auf das heimatliche Städtchen richten und Rom ein unheimlicher, ungastlicher Ort bleibt, so spiegelte sich darin ein Regionalismus, der sich bis heute als die beständigste Kraft in der italienischen Politik erweist.

Das Ende der alten Lagerbildung brachte Italien Silvio Berlusconi und "Cinque Stelle"

Der PCI gab sich im Februar 1991 ein neues Programm, durchlief mehrere Wandlungen und figuriert heute unter dem Namen "Partito Democratico" (PD) als diffus linksdemokratische Sammlungsbewegung. Ende der Neunzigerjahre verschwanden auch Hammer und Sichel aus den Symbolen der Partei. Sie wurden durch eine rote Rose ersetzt. In Italien lässt sich seit dem Ende der polaren Ordnung zwischen "DC" und "PCI" nur noch gegen die herrschende Politik Front machen, und was dabei herauskommt, nämlich eine Politik, die alles Mögliche sein will, nur keine Politik, heißt dann Silvio Berlusconi oder "Cinque Stelle", Matteo Renzi oder wie auch immer. Der russische Fiat 124 überlebte dieses Ende, mehrmals überarbeitet und zuletzt gar mit Ledersitzen erhältlich, noch um lange Zeit: Die Produktion wurde erst im Jahr 2012 eingestellt.

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