Kommt ein Deutscher...:Drei Witze mit Kraut

Deutsche haben keinen Humor, meinen die Engländer. Über den Stand-up-Komiker Henning Wehn aus Hagen lachen sie trotzdem - schließlich ist der politisch völlig unkorrekt.

Von Alexander Menden

Der Saal des Brunel-University-Studentenclubs in Uxbridge ist kein heiterer Ort. Vor einer nackten Bühne sitzen an die 40 Studenten und trinken Bier und Cocktails.

Gartenzwergen sonnen sich im Zwergen-Park in Trusetal

Typisch deutsch, oder? Hauptsache, die Engländer amüsieren sich...

(Foto: Foto: ddp)

Sie verbringen das Semester auf Brunels Beton-Campus westlich von London; am Wochenende erwarten sie hier zum Ausgleich etwas Belustigung. Samstagabend ist Comedy-Abend in Uxbridge.

Krauses Haar, irrer Blick

Der Mann, der die Bühne betritt, ist durchaus auch größeres Publikum gewöhnt. Er hat krauses Haar und einen etwas irren Blick, trägt eine beigefarbene Strickjacke und um den Hals eine Stoppuhr.

"Hello, hello, hello", sagt der Mann ins Mikro. Seine Aussprache ist nasal und sehr deutsch. "Mein Name ist Henning. Ich bin der deutsche Comedy-Botschafter im Vereinigten Königreich." Vereinzeltes Kichern.

"Das ist nicht der leichteste Job, weil die Leute immer sagen, wir Deutschen hätten keinen Sinn für Humor. Ich finde das nicht witzig." Leises Lachen hier und da. "Na egal, auf geht's", sagt Henning Wehn und drückt die Start-Taste seiner Stoppuhr. Das ist der erste planmäßige Lacher.

Es gibt ein paar Wahrheiten, an denen ist nach englischem Weltverständnis nicht zu rütteln. Eine davon lautet: Deutsche haben keinen Humor.

"Effizient" sind Deutsche, durchaus hart im Charakter und gut im Elfmeterschießen. Aber witzig? Keinesfalls.

Humor ist nach Auffassung vieler in England vor allem eine Charaktereigenschaft von Briten. Jeder, der es auf der Insel als Komiker zu etwas bringen will, so meinen dieselben Menschen, muss verdammt gut sein.

Tatsächlich ist die Komik-Infrastruktur sehr dicht. Was in Deutschland noch immer vergleichsweise wenigen Kabarett-Veranstaltungsorten oder Formaten wie dem "Quatsch Comedy Club" vorbehalten ist, gibt es in England flächendeckend: Stand-up-Comedy - ein Mensch, ein Mikrofon und ein Publikum, das lachen will.

Kaum ein Dorf ohne Comedy-Club, kaum ein Provinz-Pub, das nicht eine "Open Mic Night" veranstaltet, bei der jeder sich an einer Stand-up-Routine versuchen kann.

Gefürchtete Zwischenrufe

Viele gehen mit ihren Scherzen unter in demonstrativem Desinteresse oder im Hagel der Hecklings, der gefürchteten Zwischenrufe, die in England fester Bestandteil von Einzeldarbietungen sind. Die Guten aber können von ihrer Comedy leben, und richtig Gute bekommen Fernsehverträge und füllen Mehrzweckhallen.

Das sind die Umstände, unter denen Henning Wehn antritt, der deutsche Humor-Botschafter im Land der Humorweltmeister.

Drei Witze mit Kraut

Wertet man die kurze, anhaltend steile Stand-up-Karriere des gebürtigen Hageners als Indiz für komisches Talent, darf Wehn wohl als die Ausnahme gelten, welche die Regel deutscher Humorlosigkeit bestätigt. In nicht einmal zwei Jahren hat er sich vom blutigen Anfänger zur festen Größe im englischen Comedy-Circuit hochgearbeitet.

Tiefenanalyse des Gags

In Uxbridge erzählt er Arztwitze. Wie den vom Patienten, dem beide Beine amputiert werden und den der Arzt damit zu trösten versucht, im Nebenzimmer sei ein Patient, der jetzt die überflüssig gewordenen Schuhe des Verstümmelten kaufen wolle.

Dann tut Wehn etwas, das eigentlich als tödlich für jede Komik gilt - er erklärt die Witze: "Der Arzt versucht dem Patienten also weit über seine eigenen medizinischen Pflichten hinaus zu helfen." Ausführlich spekuliert Wehn, wie viel Prozent des Einzelhandelspreises der Patient für seine gebrauchten Schuhe erwarten kann, leider fehle die Zeit, das in Ruhe mit dem Publikum durchzurechnen.

Wehn nimmt das Klischee und richtet es gegen sich selbst. Als wäre ihm gar nicht klar, dass er etwas halbwegs Witziges erzählt, klamüsert er es auseinander, bis nichts mehr übrig ist als seine zahlen- und faktenklauberische Figur, die Gags zu Tode analysiert.

Zudem kann er in der Rolle des deutschen Spießers ausgiebig den Reißverschluss seiner Strickjacke preisen, mit dem er "so effizient seine Körpertemperatur" regelt, und Prinzessin Diana ungestraft eine "dreckige, verhurte Schlampe" nennen. Irgendwann schlägt das ungläubige Lachen des Publikums in echtes um.

"Das kannst du besser"

Henning Wehn ist fleißig. Neben seinem regulären Job bei einer Firma, die "Corporate-Hospitality-Pakete" anbietet, tritt der 31-Jährige viermal die Woche mit seinem Programm auf. Wenn es so weitergeht, hofft Wehn, wird er bald auf seinen Tagesjob nicht mehr angewiesen sein.

Angefangen hat alles vor anderthalb Jahren bei einer "Open-Mic"-Veranstaltung in einer Londoner Kneipe: "Da ist einer aufgetreten, der war so schlecht, dass ich dachte: Das kannst du besser."

Ausgestattet mit seinem Schulenglisch und fünf Minuten Programm stellte er sich wenig später in ein Pub und legte los. "Von den Hecklings habe ich kein Wort verstanden", sagt er. "Das war wahrscheinlich auch besser so."

Angesichts dieser bescheidenen Anfänge und seiner deutschen Herkunft ist Wehns schneller Erfolg in England wirklich erstaunlich. Im Februar hat er sich gegen 250 Mitbewerber durchgesetzt und den prestigeträchtigen Nachwuchspreis des Londoner Vaudeville-Theaters "Hackney Empire" gewonnen - auf derselben Bühne immerhin, auf der Charlie Chaplin und Stan Laurel ihre Debuts gaben.

Drei Witze mit Kraut

Jetzt ist er Stammgast der TV-Comedy-Diskussionsrunde "FAQ U" bei Channel4 und hat ein 20-minütiges Live-Programm, handgestoppt. Normalerweise, so die Faustregel im Business, braucht es zum Aufbau eines solchen Sets fünf Jahre. Wehns Agentin Joss Jones sagt: "Ich bin schon lange in dem Geschäft, aber so etwas wie Henning habe ich vorher noch nie gesehen."

Anders als viele deutsche Comedians sieht Henning Wehn sich nicht in einer Kabarett-Tradition. Er mag Helge Schneider und Gerd Dudenhöfer, selbst hatte er mit der deutschen Comedy-Szene nie etwas zu tun.

Nachdem er in Münster Betriebswirtschaft studiert und für Firmen in Deutschland "im Bereich Kundenzufriedenheit" gearbeitet hatte, zog er vor zwei Jahren nach London. Seinen betriebswirtschaftlichen Hintergrund kann er auch hier nicht verleugnen. Über seinen deutschen Akzent sagt er: "Accent sells", über seine Fernsehauftritte: "TV ist immer ein Kompromissprodukt."

Auf der Bühne muss man keine Kompromisse machen. Bei einem Teil des Live-Programms beschleicht den deutschen Zuschauer daher ein etwas ungutes Gefühl: Da berichtet Wehn vom Großvater, der im KZ gestorben sei ... Pause..., "als er besoffen vom Wachturm fiel". Wie reagieren englischen Zuhörerschaften auf solche Witze?

Nazi-Witze aus der Anfangszeit

Die Studenten in Uxbridge bleiben indifferent. Einige Abende später, im Hinterzimmer des Pubs "Islington Tap" in Nord-London, wird herzlich gelacht, wenn Henning Wehn erzählt, eigentlich habe sich sein Großvater bei dem Sturz ja nur ein Bein gebrochen.

Seine Schuhe habe er nicht verkauft, die habe er ja später noch brauchen können. "Außerdem hat es damals ja genug herrenlose Schuhe gegeben." Beim Pub-Publikum kommt das an. Da bricht dieses auf "O" endende Lachen aus: "Hohoho, der traut sich aber was."

Hinterher klopfen ihm einige Zuschauer auf die Schulter: "Das war brillant, Kumpel." Andere fragen, wo er als nächstes auftritt. Man schätzt es, dass da einer offensiv mit Deutschland-Klischees umgeht, die in England vorherrschen; über politische Implikationen macht man sich wenig Gedanken.

Aber hat er nicht selbst den Eindruck, dass er mit solchen Nazi-Scherzen Grenzen überschreitet, die man besser in Ruhe lässt? "Ob ich damit zur Verharmlosung der Nazis beitrage?", fragt Henning Wehn zurück. "Möglicherweise, aber ich kann damit leben, solange es gut gemacht ist. Würden mir jetzt alle sagen: 'Das ist aber plump', wäre ich sehr betrübt."

Die Nazi-Witze seien die ersten gewesen, die er geschrieben habe, und "aus professioneller Sicht wäre es dumm, die ganz rauszuschmeißen". Man merke ja, dass eine Kunstfigur rede, und nicht er selbst.

"Wenn ich da sehr reaktionäre Sachen sage", meint Wehn, "und der Rest des Programms ist eher surreal, dann ist klar, dass ich persönlich eine Distanz zu dem Nazi-Material habe." Nazis seien nun mal das, womit Engländer Deutsche vor allem verbinden, "so frustrierend das ist".

"Du bist ein Faschist!"

Noch frustrierender ist ein Abend, der völlig danebengeht. Auch das passiert Wehn bisweilen. Der Comedy-Club "Up the Creek" in Maidstone, eine Zugstunde östlich Londons, gehört für Komiker zur obersten Liga. Entsprechend verwöhnt ist das zahlende Publikum, das auf schmalen, samtbezogenen Stühlchen vor der Bühne Platz nimmt.

Ein Conférencier heizt an, dann kommt Wehn als erster act auf die Bühne. Die Arztwitze werden noch einigermaßen goutiert, aber je länger Wehn spricht, desto mehr steigt der Lärmpegel im Saal. Als er anfängt, vom Großvater zu erzählen, wechseln die ersten zur Bar.

Die Heckler bleiben, um sich ein bisschen einzuschießen: "Hau ab!" und "Du bist ein Faschist!" sind die noch freundlicheren Zwischenrufe. Gegen Ende des Sets ist der Saal um ein Drittel leerer; die geblieben sind, unterhalten sich lautstark oder rufen "Fuck off!". Der Conférencier sagt: "Gleich sind wir wieder da mit noch mehr, naja, ausgezeichneter Comedy."

Henning Wehn gibt sich ungerührt. "Das ist nicht schön, aber es ist auch nur ein Auftritt. Da fehlt's halt an intellektueller Vorstellungskraft des Publikums." "Up the Creek" wird ihn trotzdem wieder buchen. Die Nazi-Scherze, hat Wehn beschlossen, haben nun "erst mal Pause". Er hat neues Material.

Darin fordert er die Engländer auf, statt die Welt zu umsegeln doch bitteschön erst mal ihre Straßen ordentlich zu fegen.

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