Kommentierte Ausgabe:"Mein Kampf" ist eine trübe Quelle

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Das Institut für Zeitgeschichte hat an diesem Freitag die kommentierte Fassung von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" vorgestellt. (Foto: AFP)

Wer den Nationalsozialismus verstehen will, der lese die Texte der Überlebenden.

Kommentar von Jens Bisky

Mein Kampf" ist die zusammengelogene Autobiografie einer gescheiterten Existenz, die ihre Fehlschläge in ein grandioses Scheitern umzudeuten versucht; es ist ein Weltanschauungstraktat, angefüllt mit Versatzstücken aus der völkischen Literatur der Zeit, und es ist ein Buch über Propagandatechniken, voller Hass und Sehnsucht nach Größe. Was kann man aus dieser Hetzschrift lernen, die der Germanist Jeremy Adler eine "Spottgeburt von Wahn und Mord" genannt hat?

Die vorab viel beredete "kritische Edition" des Münchner Instituts für Zeitgeschichte ist am Freitag erschienen. Es ist zu hoffen, dass sie das Wissen über Hitler im Detail ergänzt. Unwahrscheinlich aber ist es, dass sie unser Bild des "Dritten Reiches" wesentlich verändert. Der Romanist Victor Klemperer, der in seinen Tagebüchern Zeugnis abgelegt hat von der Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden, vom Alltag in der "Volksgemeinschaft", meinte einmal, es sei ihm das größte Rätsel, "wie dieses Buch in voller Öffentlichkeit verbreitet werden durfte, ja musste, und wie es dennoch zur Herrschaft Hitlers und zu zwölfjähriger Dauer dieser Herrschaft kommen konnte".

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Das Institut für Zeitgeschichte präsentiert eine kommentierte Neuauflage von Hitlers Hetzschrift. Im Vorfeld gab es Kritik - aber auch Unterstützung, unter anderem vom Zentralrat der Juden.

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Auf diese Frage wird man weder in Band eins noch in Band zwei des Machwerks eine Antwort finden, auch nicht in einem noch so ausgefeilten Psychogramm Adolf Hitlers. Man wird vielmehr über die deutsche Gesellschaft reden müssen, die ihn zum Diktator werden ließ und ihm bis zum Ende des Krieges folgte. Tat sie dies, obwohl oder weil er in "Mein Kampf" die Herrschaft von Unrecht und Mord beschworen hatte? Es war eine beliebte Strategie der Entlastung und Verdrängung in den Fünfzigern, alle Schuld den Mordgesellen um Hitler und Himmler zuzuschreiben und ansonsten "Vergangenes vergangen sein zu lassen", wie Konrad Adenauer 1949 in seiner Regierungserklärung sagte.

Nicht Bücher, sondern Reden, seien das richtige Mittel, um die Massen zu fanatisieren

Seit der Wehrmachtsausstellung wissen wir um den Anteil der Soldaten an der Vernichtungspolitik, Götz Aly hat "Hitlers Volksstaat" als Gefälligkeitsdiktatur beschrieben und gezeigt, wie Millionen Volksgenossen von den Raubzügen profitierten. Und Michael Wildt hat das Handeln der "Weltanschauungstäter" des Reichssicherheitshauptamts aus der Radikalisierung und Enthemmung einer ganzen Generation erklärt.

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Ja, "Mein Kampf" ist, wie das Institut für Zeitgeschichte sagt, " die wichtigste politische Schrift Hitlers", aber dieser war programmatisch unbekümmert, skrupellos, flexibel. Nicht Bücher, sondern Reden, kann man in "Mein Kampf" lesen, seien das entscheidende Mittel, die Massen zu lenken, zu fanatisieren. Seine Macht konnte Hitler, nachdem die Konservativen ihn 1933 als Reichskanzler installiert hatten, rasch ausweiten und sichern, weil die Eliten ihm gegenüber loyal waren, weil die SA effizient Terror entfaltete, weil etwa die Hälfte der Deutschen ihm zustimmte.

"Mein Kampf" erklärt das "Dritte Reich" nicht, es ist eine Quelle unter anderen und eine trübe. Wer sich für das "arme, wenn auch verhängnisvolle Geschöpf", so Thomas Mann 1939 über Hitler, interessiert, der kann zu einer der vielen Biografien greifen. Wer den Nationalsozialismus verstehen will, der lese Texte der Überlebenden, Bücher von Victor Klemperer, Primo Levi, Wassili Grossman oder Imre Kertesz.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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