Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Warten auf Tarantino

Das Festival in Cannes will im Mai endlich mal ein paar Filme von Regisseurinnen zeigen. Aber wie soll an der Croisette Festlaune aufkommen ohne den Stammgast Quentin? Und dann ist da auch noch der Konflikt mit Netflix.

Von David Steinitz

Falls sich jemand gefragt hat, wie Quentin Tarantino wohl das Osterwochenende verbringt - er sitzt gestresst im Schneideraum. Der 56-jährige Starregisseur legt derzeit letzte Hand an seinen neuen Film "Once Upon a Time in Hollywood", ein wilder Trip ins Jahr 1969 und die Goldene Ära der amerikanischen Filmindustrie.

Das Werk gehört zu den am heißesten erwarteten Filmen des Kinojahres, und in der Branche galt es als so gut wie sicher, dass die Weltpremiere beim Festival in Cannes stattfinden wird, also irgendwann zwischen dem 14. und dem 25. Mai. Seit seinem Spielfilmdebüt "Reservoir Dogs" ist Tarantino Stammgast in Cannes. Aber leider sei der Film noch nicht fertig, wie Festivalchef Thierry Frémaux am Donnerstag auf der traditionellen Programmpressekonferenz in Paris verkündete. Dort präsentierte er zwar einen ganzen Haufen an Regiestars, die im Wettbewerb vertreten sein sollen. Aber auch hinter den Namen Jim Jarmusch, Pedro Almodóvar, Terrence Malick, Ken Loach und Xavier Dolan konnte er seine Enttäuschung über den fehlenden Tarantino nicht verbergen. Falls er es doch rechtzeitig schaffe, würde der Film selbstverständlich nachnominiert, so Frémaux, aber das stehe leider in den Sternen.

Dabei ging im Tarantino-Trübsal ein bisschen unter, dass sich die konservativen Festivalmacher von der Côte d'Azur dieses Jahr zu einer feministischen Großoffensive haben hinreißen lassen - zumindest für ihre Verhältnisse. Im Wettbewerb um die Goldene Palme der 72. Filmfestspiele sind unter den bekannt gegebenen 19 Teilnehmern vier Regisseurinnen vertreten, darunter die Österreicherin Jessica Hausner mit ihrem Science-Fiction-Thriller "Little Joe". Vier Frauen, das würde man den Festivalmachern bei den wichtigsten Konkurrenzveranstaltungen in Berlin und Venedig als Armutszeugnis um die Ohren hauen; im Männerklub von Cannes könnte man es als Fortschritt bezeichnen.

Von Cannes eingeladen zu werden, ist extrem schwer, aber ist man einmal drin, hat man, siehe Tarantino, quasi einen Stammplatz. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass viele Autorenfilmdinosaurier mit mittelprächtigen Werken vertreten waren und es nur wenig Junges und Neues oder Hollywoodstarverdächtiges zu entdecken gab. Hinzu kam, dass sich die Verantwortlichen mit dem Streamingdienst Netflix überworfen haben und dessen Filmexperimente nicht in den Wettbewerb einladen. Aber gerade Netflix zieht mit seinen Blankoschecks auch für obskure Projekte Filmemacherinnen und Filmemacher an wie ein Magnet.

Schuld an dem Zerwürfnis ist die Frage, ob ein Kinofestival wie Cannes Filmen eine Plattform geben sollte, die vor allem online, aber nur klein oder gar nicht im Kino ausgewertet werden. Die französischen Kinobetreiber, eine mächtige Lobby, sagte dazu klar "Non!". Und das Festival folgte. Mittelfristig werden sich beide Seiten zwar wieder etwas annähern müssen, weil Cannes die Filme und Netflix den Glamour der Croisette braucht. Aber momentan stellen sich die Cannes-Verantwortlichen mit einem fast schon bewundernswerten französischen Stoizismus stur.

Die einzige gnädige Ausnahme für die Streamingwelt im diesjährigen Programm: eine Sondervorführung der ersten beiden Folgen der Thrillerserie "Too Old Too Die Young" von "Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn. Aber die stammt auch nicht von Netflix, sondern von Amazon. Für mehr Hollywood-Glamour im "Palais des Festivals" am Strand von Cannes müsste sich also Quentin Tarantino in seinem Schneideraum dringend ein bisschen beeilen.

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SZ vom 20.04.2019
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