Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Neue Kunstgeschichten

Seit das Leonardo zugeschriebene Jesus-Bild für 450 Millionen Dollar versteigert wurde, ist es nicht mehr zu sehen gewesen. Statt seiner Qualität wird nun über Verschwörungstheorien debattiert.

Von Jörg Häntzschel

Welche Wirkung ein Kunstwerk entfalten kann, davon kann man sich in der italienischen Galerie des Louvre überzeugen, dort, wo die "Mona Lisa" hängt, das berühmteste Gemälde der Welt. Wie Metallspäne richten sich die Besucher im Magnetfeld von Leonardo da Vincis Bild aus. Vor der Absperrung, mit der es geschützt wird, drängen sich die Touristen wie Teenies vor der Bühne eines Popstars.

Doch Kunstwerke ziehen uns nicht nur durch ihre Präsenz in Bann, sondern auch durch ihre Abwesenheit. So ist es zumindest bei einem anderen, unvergleichlich schlechteren Werk, das angeblich ebenfalls von Leonardo stammt: "Salvator Mundi", das Jesusbild, das 2017 für 450 Millionen Dollar versteigert und damit zum teuersten Kunstwerk aller Zeiten wurde. 2018 sollte der andere Leonardo in dem anderen Louvre gezeigt werden, dem in Abu Dhabi, doch dann wurde der Auftritt abgesagt. Seitdem wächst die mediale Aura des Gemäldes.

Das 1958 als Werk noch für 45 Pfund versteigerte Bild machte seit 2005 eine erstaunliche Karriere. Erst firmierte es als kunsthistorische Sensation, als "letzter Leonardo". Mit der Rekordauktion wurde es dann zum Symbol für einen Kunstmarkt, der jede Verbindung zur Realität verloren hat. Doch seine größte Vitalität entfaltet es erst, seit es verschollen ist: Es soll eine Schlüsselrolle in der Verschwörung von Trump und Putin spielen.

Das jedenfalls behauptet der Autor Zev Shalev auf seinem Blog narrativ.org. Ausgangspunkt der Story ist das übersichtliche Netz von Beziehungen rund um dieses Bild. Der Kunsthändler Yves Bouvier verkaufte es für 127 Millionen an den russischen Oligarchen Dmitri Rybolowlew, der 2009 über eine Firma auch eine Strandvilla von Donald Trump erwarb. Ersteigert wurde Rybolowlews Leonardo 2017 dann von einem Saudi namens Badr bin Abdullah, der ein Mittelsmann des Kronprinzen Mohammed bin Salman gewesen sein soll. Die Frage ist nun, warum bei diesen Transaktionen immer sehr viel mehr bezahlt wurde als vernünftig gewesen wäre.

Während sich die Menschen seit Jahrhunderten für die Schönheit der "Mona Lisa" begeistern, wird beim "Salvator Mundi" nur über dessen mangelhafte Qualität und die misslungene Restaurierung gesprochen. Während seit jeher über "Mona Lisas" Identität und das Geheimnis ihres Lächelns spekuliert wird, interessieren am "Salvator Mundi" vor allem die Identität und die Motive des Käufers, von dem manche glaubten, er habe einfach die ultimative Kulturtrophäe ersteigern wollen. Anderen zufolge ging es darum, den Louvre Abu Dhabi als Reiseziel für Kulturtouristen zu etablieren. Glaubt man den Verschwörungstheorien, sieht die Wahrheit viel zynischer aus: Leonardo, Kunst, all das spielte keine Rolle. Es ging nur darum, viele Millionen von hier nach dort zu verschieben.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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