Kommentar:München leuchtet, rot vor Wut

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Der Theater- und Fernsehstar Brigitte Hobmeier hat an den Münchner Kammerspielen gekündigt - und die Empörung darüber ist riesig. Ist womöglich der Beruf des Schauspielers selbst bedroht?

Von Christopher Schmidt

Wenn eine Schauspielerin das Theater, an dem sie viele Jahre lang engagiert war und an dem sie zu dem Star wurde, der sie heute ist, aus freien Stücken verlässt, dann ist das zunächst einmal ein Einzelfall. Und sei sie auch eine so großartige, vom Publikum geliebte und von der Kritik gefeierte Schauspielerin wie Brigitte Hobmeier. Und sei dieses Theater auch eines, das jahrzehntelang berühmt war für das beste Schauspielensemble in der deutschsprachigen Theaterlandschaft wie die Münchner Kammerspiele.

In der Kunst gibt es keine lineare Entwicklung. Es gibt nur Entfaltung

Doch dass die Kündigung von Brigitte Hobmeier ebenso hohe Wellen schlägt wie die ihres Kollegen Shenja Lacher, dafür gibt es gute Gründe. Lacher hatte im Sommer seinen Abschied vom Residenztheater angekündigt, der zweiten großen Münchner Schauspielbühne. So unterschiedlich beide Vorgänge sind, so sehr macht der Vergleich etwas Grundsätzliches deutlich. Shenja Lacher verlässt das Theater, weil dessen Produktionsbedingungen sich nicht mehr mit seinem Lebensentwurf als Künstler, aber auch als Familienvater vereinbaren lassen. Lacher verkörpert ein zeitgemäßes Selbstbild, zu dem das Staatstheater alter Prägung mit seinen unflexiblen Strukturen und vielfältigen Anforderungen nicht passt; er selbst ist moderner als das Haus, an dem er arbeitet. Bei Hobmeier aber verhält es sich umgekehrt. Sie trennt sich nicht von den Kammerspielen, weil sie zu viel arbeiten musste, sondern weil sie zu wenig arbeiten durfte. Rollenangebote blieben dort aus. Shenja Lachers persönliche Entwicklung ist über das Theater hinweggegangen. Bei Brigitte Hobmeier ist die Entwicklung des Theaters über sie hinweggegangen.

Heißt das nun im Umkehrschluss, dass die Münchner Kammerspiele das zeitgemäßere Theater sind und die Schauspieler, die es nicht halten kann oder will, das notwendige Opfer, das man der Modernisierung bringen muss? An dieser Frage entscheidet sich, ob der Weggang von Brigitte Hobmeier ein bedauerlicher Einzelfall ist oder ein Fanal, das den Beruf des Theaterschauspielers als solchen zur Disposition stellt. Es wäre jedoch falsch, die Ausdrucksformen des Theaters gegeneinander auszuspielen und ihnen eine Fortschrittsdynamik zu unterstellen - hier die glorreiche Innovation, dort die Beharrungskräfte des Althergebrachten, das es zu überwinden gilt. Wer dies tut, hat die strittige Frage bereits entschieden, und zwar zu Ungunsten des Schauspielers. Dabei gibt es in der Kunst keine lineare Entwicklung, sondern nur Entfaltung, und bei dem Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Spielweisen handelt es sich weniger um eine historische Stabübergabe als um eine Polarität gleichberechtigter Standpunkte. Es wäre seltsam, wenn jene Kraft der Figurengestaltung, die wir beispielsweise im Kino auch nicht missen möchten, auf der Bühne zum Auslaufmodell würde.

Die Empörung, die der Verlust von Brigitte Hobmeier auslöst, hängt auch damit zusammen, dass München zum Modellfall zu werden scheint für einen Paradigmenwechsel im Theater. Dass aber dieser Richtungskonflikt gerade hier aufbricht, liegt an der großen Theatervergangenheit der Stadt. Jetzt, da sie bedroht ist, leuchtet sie noch mal, die Theaterstadt München, wenn auch rot vor Wut. Der Schauspieler Rolf Boysen beschrieb das Theater einmal als "Doppelraum", in dessen eigener Gegenwärtigkeit sich die äußere Gegenwart spiegele. Warum sollte in diesem Doppelraum kein Platz sein für das Nebeneinander der Arbeitsweisen? Rolf Boysen gehörte übrigens fast ein halbes Jahrhundert lang zum Ensemble der Münchner Kammerspiele.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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