Kommentar:Außenpolitik und Religion

Die Hagia Sophia bleibt ein staatliches Museum. Das türkische Verfassungsgericht wies damit den Antrag eines islamischen Vereins aus Istanbul zurück, dessen Mitglieder verlangten, unter der hohen Kuppel beten zu dürfen. Gut so.

Von Christiane Schlötzer

Vier Minarette überragen die Hagia Sophia, Mehmet II. ließ sie errichten, nachdem er die Krönungskirche der byzantinischen Kaiser und ihre Stadt 1453 erobert hatte. Zerstören wollte der Sultan das sakrale Symbol des besiegten Reiches nicht. Er tat also, was auch jene Christen taten, die Generationen vor ihm neben jeden Zeus- oder Aphrodite-Tempel eine Kirche bauten, als gelte es, die alten Götter durch eine neue spirituelle Macht zu bändigen. Kemal Atatürk, der Gründer der türkischen Republik, glaubte an den Laizismus, er machte in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aus dem großartigsten Istanbuler Bauwerk ein Museum.

Daran soll sich nach dem Wunsch des türkischen Verfassungsgerichts nun auch nichts ändern. Die Richter entschieden, dass die Ayasofya - so der türkische Name - ein staatliches Museum bleibt. Sie wiesen damit den Antrag eines islamischen Vereins aus Istanbul zurück, dessen Mitglieder verlangten, unter der 55 Meter hohen Kuppel beten zu dürfen, sie argumentierten mit einer "Verletzung der Religionsfreiheit". Die Richter erklärten diese Klage für "unzulässig". Das geschieht gewöhnlich, wenn ein Antragsteller nicht persönlich betroffen ist. In diesem Fall könnte man sagen: Der Verein kann ja woanders beten.

Die Verfassungsrichter haben sich damit politisch klug aus der Affäre gezogen. Hätten sie den Status quo verändert, ein neuer Sturm wäre über die Türkei hereingebrochen, gefolgt von einer diplomatischen Eiszeit zwischen Athen und Ankara. Einen Vorgeschmack darauf, was passieren hätte können, gab es schon im Ramadan 2016. Damals war dem Leiter der staatlichen Religionsbehörde eingefallen, er müsse erstmals seit 85 Jahren in der Hagia Sophia den Ezan, den muslimischen Gebetsruf, rezitieren Das griechische Außenministerium zeigte sich damals "ernsthaft besorgt", das türkische Außenamt nannte wiederum diese Kritik "nicht hinnehmbar". Die Parole "Konstantinopel ist unser" ist in Griechenland bislang glücklicherweise nur Teil der Folklore weniger Nationalisten. Aber jede Veränderung des Rechtsstatus der Hagia Sophia gäbe den Emotionen Auftrieb. Was natürlich auch der Istanbuler Verein weiß, der seinen Antrag schon 2004 stellte. Als nichts geschah, wandte er sich 2015 an den Verwaltungsgerichtshof, der wies die Bittsteller wie jetzt das Verfassungsgericht ab. Ums Beten ging es dem Verein dabei wohl nicht in erster Linie, eher um das mächtige Symbol. Deshalb wird es auch neue Anträge geben, von türkischen Nationalisten wie von Islamisten. Hagia Sophia heißt "Heilige Weisheit", es wäre weise, sich daran zu erinnern und dieses Weltkulturerbe in Ruhe zu lassen, oder es zu bewundern.

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