Süddeutsche Zeitung

Komische Oper:Im Clinch mit Zarathustra

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Die Komische Oper in Berlin renoviert "Zoroastre". Regisseur Tobias Kratzer bringt die Lichtgestalt der 1756 erstmals aufgeführten "Tragédie" in einen Nachbarschaftsstreit mit einem Trumpisten. Eine glänzende Fortsetzung des Rameau-Zyklus'.

Von Julia Spinola

Zwei Bungalows, zwei Vorgärten, zwei wild aufeinander losgehende Nachbarn: Die Hölle kann so banal sein. Hier lebt der geschleckte Bildungsbürger im gestylten Eigenheim mit Wintergarten, Bücherwand und privatem Yogalehrer, dort der Baseballcap und Cowboystiefel tragende Underdog, der sein Grundstück mit Öltanks und einer rostigen Badewanne verschandelt und seine Zeit mit Computerspielen totschlägt. In Jean-Philippe Rameaus 1756 uraufgeführter Tragédie ist die Titelfigur Zoroastre (Zarathustra) eine genuine Lichtgestalt: ein Vertreter des Wahren, Guten und Schönen. Knappe drei Stunden lag tobt der Kampf zwischen Gut und Böse. Es geht um die Macht über das herrscherlose Reich Baktrien, um Liebe, Eifersucht, Verrat und Intrige. Am Ende siegt das Gute: Der böse Zauberer Abramane wird praktischerweise von einem Blitz erschlagen.

Nicht so bei Tobias Kratzer. Der junge Münchner Regisseur, der 2019 in Bayreuth einen neuen "Tannhäuser" inszenieren soll, hat tief in die Musik hineingehorcht und entdeckt, dass Rameau sich höchst lustvoll auch in die anarchischen Ausbrüche des Bösen hineingeworfen hat. Immer wieder schießen hier die unzivilisierten Triebkräfte dunkler Affekte mit brutaler Wucht durch die barocke Oberfläche. Auf wessen Seite der Komponist musikalisch steht, scheint also durchaus nicht ausgemacht zu sein. Denn insgesamt entfaltet sich seine Musik in der temporeichen, rhetorisch zuspitzenden Leitung des britischen Rameau-Spezialisten Christian Curnyn höchst exzentrisch, farbenreich, irregulär und drastisch. Verglichen mit der höfisch-konventionellen Musik seines Zeitgenossen Lully klingt Rameaus Partitur unerhört kontrastreich und direkt. Das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt stilgerecht vibratolos in einer um Naturhörner ergänzten Besetzung.

In Kratzers ungemein komischen und pointenreichen Inszenierung des irrwitzigen Nachbarschaftstreits gibt es am Ende keinen wirklichen Sieger - wohl aber einen Verlierer. Im fortschreitenden Wahnsinn des Kleinkriegs fallen die Masken des scheinbar so kultivierten Zoroastre. Vom Elektrozaun bis zur Cruise Missile ist es hier darum nur ein kleiner Schritt. Nach einer dekadenten Hochzeitsparty, bei dem die zoroastrischen Yuppies ihre Abfälle in den gegnerischen Garten werfen, platzt dem prolligen Trump-Wähler von nebenan dann aber endgültig der Kragen. Er greift zur Waffe und liefert auf diese Weise den Anlass zu seiner eigenen Liquidation. Zoroastre streckt ihn nieder. Verlierer im Machtkampf der Giganten ist das Volk, genauer: ein Ameisenvölkchen. Das nämlich lebt auf jenem umstrittenen Quadratmeter Rasen, an dem sich der territoriale Streit anfänglich festmachte.

Was die possierlichen Tierchen so treiben, wie sie unter dem Streit der beiden Bungalowbesitzer leiden, wenn unversehens Zigarettenkippen Rauchvergiftungen verursachen oder Klappstuhlkanten Tote fordern, das sehen wir über eine Live-Kamera auf einer Videowand. Denn hinter der Bühne agiert der Chor in Ameisenkostümen. Am Ende ist das Insektenvölkchen ausgerottet. Die Zivilisation hat die Natur zerstört. Das letzte Videobild wiederum stellt dann aber auch dieses Klischeebild einer vermeintlich unschuldigen Natur in Frage. Zwei Babys demontieren Spielzeugmodelle der beiden Bungalows: Die Zerstörungslust scheint Teil der menschlichen Natur zu sein.

Der Komischen Oper ist mit dieser Premiere eine glänzende Fortsetzung ihres Rameau-Zyklus gelungen, den Barrie Kosky mit seiner preisgekrönten "Castor et Pollux"-Inszenierung begonnen hatte. Sängerisch brillieren Nadja Mchantaf mit vollem, dramatischen Soprantimbre als Érinice und der wohltönende Bariton Thomas Dolié als Abramane. Allzu undifferenziert und mit eklatanten Höhenproblemen gestaltete hingegen der Tenor Thomas Walker die heikle Titelpartie.

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Quelle:
SZ vom 20.06.2017
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