Komische Oper Berlin:Tango in der Mandschurei

Frühlingsstürme

Eleganz in Kriegszeiten: Tansel Akzeybek als Ito und Vera-Lotte Boecker als Lydia Pawlowska.

(Foto: Iko Freese / drama-berlin.de)

Triumphale Wiederentdeckung: Barrie Kosky inszeniert an der Komischen Oper Berlin die verschollene Operette "Frühlingsstürme" des tschechisch-jüdischen Komponisten Jaromír Weinberger.

Von Wolfgang Schreiber

Operetten, in Ländern des Lächelns bestens aufgehoben, genießen oft ein beschwingtes Fortleben. Leider ganz anders verhält es sich mit den "Frühlingsstürmen" des tschechisch-jüdischen Komponisten Jaromír Weinberger, denen kein Spielplanglück beschieden war. Zehn Tage nach der Uraufführung, im Berliner Admiralspalast am 20. Januar 1933, ergriffen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Womit das Schicksal der mit dem großen Richard Tauber besetzten letzten Operette der Weimarer Republik besiegelt war. Mitte März musste sie von der Bühne verschwinden, der Admiralspalast wurde verriegelt, Weinberger emigrierte in die USA, fasste aber nicht Fuß. Seine "Frühlingsstürme" erlebten ihre letzte szenische Aufführung 1947, im heute tschechischen Ostrava.

Zwei Jahre lang dauerte die Laborarbeit, um das Werk neu zu arrangieren

Unglück war dies erst recht für das Stück selbst, dessen notierte Gestalt über die Jahrzehnte hin verwehte. Die Orchesterstimmen samt Partitur sind verschollen, erhalten geblieben der gedruckte Klavierauszug mit Instrumentationsnotizen, ein Regiebuch mit dem Libretto sowie wenige damalige Schellackaufnahmen mit musikalischen Highlights.

Aus alldem schuf Norbert Biermann für Barrie Koskys Komische Oper in zweijähriger Laborarbeit ein neues Arrangement der Weinberger-Operette, mit einigen Erweiterungen angereichert und auch ein paar neuen Nummern und Tanzeinlagen, jedoch verbürgt: "Alle musikalischen Themen sind von ihm."

Jaromír Weinberger, geboren 1896 in Prag und noch von Max Reger unterrichtet, war neben Franz Schreker oder Erich Wolfgang Korngold der Erfolgskomponist der Zwanzigerjahre. Mit seiner Oper "Schwanda, der Dudelsackpfeifer" konnte er 1927 die Sensation einfahren, das Stück übertrumpfte auf deutschen Bühnen sogar "Carmen" und die "Zauberflöte", wurde in Wien und New York, in London und Buenos Aires gespielt.

Und die "Frühlingsstürme", Weinbergers erste Operette, lassen den Opernkomponisten jederzeit durchschimmern, ihr in den orchestralen Nebenstimmen verdichteter harmonischer Reichtum, die ausgefuchste, vom Orchester unter Jordan de Souza souverän realisierte Instrumentation des für eine Operette riesig besetzten Orchesters - mit vier Hörnern, drei Trompeten und drei Posaunen, Harfe, Celesta, Banjo und vier Schlagzeugern -, sie garantieren einen stilistischen Mix, in dem sich Walzer, Foxtrott und Tango mit böhmischen und wienerischen Elementen vertragen, wo Puccini und Richard Strauss momentweise reinblitzen. Und die vier tragenden Solopartien gewinnen lyrische Intensität. Operettenungewohnt: Für den Handlungsanker hat der Komponist eine Sprechrolle vorgesehen, hier gemimt von dem grandiosen Schauspielvirtuosen Stefan Kurt.

Die Komische Oper macht mit ihrem "Projekt" Weinberger keine halbe Sache: Im März wird sie nachlegen und dann "Schwanda, der Dudelsackpfeifer", inszeniert von Andreas Homoki, auf die Bühne bringen. Tatsächlich basiert Barrie Koskys musikpolitisches Credo, dem die Großtat "Frühlingsstürme" zu verdanken ist, auf dem Appell des Intendanten Kosky: Die Komische Oper, schrieb er, habe "die Pflicht, diesen vergessenen und verlorenen Teil der Berliner Musikgeschichte wieder zurück in diese Stadt zu bringen". Seit seinem Amtsantritt 2012 hat Kosky die Operettenkunst der Zwanzigerjahre, man darf sagen: triumphal wiederbelebt. "Die Perlen der Kleopatra" und "Eine Frau, die weiß, was sie will" von Oscar Straus oder Paul Abrahams "Ball im Savoy", nur wenige Wochen vor Weinbergs "Frühlingsstürmen" in Berlin aus der Taufe gehoben, haben Anteil daran, dass die Komische Oper, an der Monteverdi, Händel und Verdi, Bernstein und Schönberg selbstverständlich zu Hause sind, derzeit als Berlins beliebtestes Opernhaus gilt.

"Paradoxerweise", das kennt Regisseur Kosky aus Erfahrung und kann es umsetzen, biete "Krieg auf der Bühne vielerlei Möglichkeiten für Witz und Humor". Das Kernmotiv Krieg enthalten auch die "Frühlingsstürme", die als Folie den japanisch-russischen Krieg 1904/05 aufmöbeln, Schauplatz Mandschurei, am Ende mit Friedensschluss in einem Hotel zu San Remo.

Am Ende ein betretenes Decrescendo und ein lyrischer Tenor auf leerer Bühne

Kosky hütet sich aber, auch in puncto Epochenbruch 1933, vor jeder konkreten Bezugnahme. Dafür hat ihm Klaus Grünberg die eher abstrakte Bühne gebaut, auf der um einen haushohen Kasten herum die bunte Hölle los ist. Denn hinter den herunterklappbaren Wänden öffnen sich Treppen und fatale Räume, eine Drehtür spielt verrückt, dem Buffo-Personal sind Slapstick-Nummern vertraut. Gegen Ende wird echte Pyrotechnik abgebrannt.

Dass die Handlung der im Fantasie-China spielenden "Frühlingsstürme", mit Gustav Beers Libretto der handfesten Spaßkonflikte zwischen Liebe und Politik, hoffnungslos zerzaust anmutet, kann Jaromír Weinbergers jeder Banalität enthobene, bei allem Elan ohrwurmfreie Musik mühelos abfedern, kann Barrie Koskys Inszenierung mit handwerklicher Virtuosität und rasantem Timing fast vergessen machen.

Der Plot geht so: Im Hauptquartier der russischen Heeresleitung agieren als Chinesen verkleidete (Dinah Ehm) japanische Spione. Die attraktive Lydia Pawlowska aus St. Petersburg, von Vera-Lotte Boecker ins Operndivahafte gesteigert, ist die Zentralsonne aller erotischen Begehrlichkeiten. An ihr müssen sich der japanische Offizier Ito, mit jünglingshaftem Tenor Tansel Akzeybek, und General Katschalow, in der expressiven Sprech- und Tanzfigur des Stefan Kurt, abarbeiten. Das Buffo-Paar ist mit der Generalstochter Tatjana, flexibel schrill Alma Sadé, und dem Journalisten Roderich Zirbitz des Dominik Köninger forsch-fidel bei der Sache.

Im Emotions- und Verwirrchaos bieten die Tanzeinlagen mit erotischem Schwung (Otto Pichler) Divertissement. Denkwürdig das Finale - keine Explosion der Lebensfreude. Dafür ein betretenes Decrescendo, vom lyrischen Tenor auf leerer Bühne mit der Tauber-Phrase intoniert: "Du wärst für mich die Frau gewesen". Ja, diese Operette musste tragisch enden.

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