Komiker Ricky Gervais :#MeowToo

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Wo beginnt das blanke Ressentiment in der Satire? Der britische Comedy-Star Ricky Gervais auf Tour in Berlin.

Von Jan Jekal

Ricky Gervais ist wie der Onkel auf einer Familienfeier, der alles attackiert, was man politisch korrekt nennen könnte, der dafür Bewunderung einfordert und sich beschwert, wenn der Applaus ausbleibt. Der 58-jährige britische Comedian Gervais gefällt sich als Verteidiger des Rechts auf Meinungsfreiheit, aber erträgt es nicht, wenn jemand sein Recht auf Meinungsfreiheit dahingehend verwendet, ihm mitzuteilen, dass er nicht lustig ist.

In seinem Special, "Humanity", verbrachte er ein Drittel der Zeit damit, Twitter-Streitgespräche nachzuzeichnen und eher witzlos zu erklären, wieso alle außer ihm zu dünnhäutig sind. Man konnte den Eindruck gewinnen, er mache den ganzen Tag nichts anderes als auf Twitter Köder auszuwerfen, um dann diejenigen zu verhöhnen, die anbeißen.

Ähnlich beginnt er am Sonntagabend eine Show in der Berliner "Verti Music Hall", wo er sein neues Programm "Super Natural" vorstellt. Es gebe zur Zeit diesen Trend der "woke comedy", sagt er, das sei Comedy, die niemandem auf den Schlips treten möchte, und die sei schrecklich, da schaue er lieber Louis C. K. beim Masturbieren zu. "Den Namen Louis C. K. darf man gar nicht mehr sagen", sagt er und meint den in Ungnade gefallenen Komiker, der Kolleginnen drängte, ihm beim Masturbieren zuzusehen und der Druck ausüben ließ, als sie davon erzählen wollten.

Darauf folgt ein Lamento über die Cancel Culture, und wenn man Gervais so reden hört, könnte man meinen, es gäbe auf einer einsamen Insel ein Gefängnis voll mit leidenden Comedians. Seine Beispiele für angeblich Aussätzige sind allesamt Männer, die nach wie vor gut im Geschäft sind (auch Louis C. K. tourt derzeit wieder durch ausverkaufte Häuser).

Mit anderen Worten: Für jemanden wie Gervais ist es nicht subversiv, Louis C. K. in Schutz zu nehmen, es ist erwartbar. Die Dinge, die Gervais sagt, werden von Leuten wie Gervais bei jeder Gelegenheit gesagt, und stets mit der gleichen Märtyrer-Haltung. Nicht mal die größte Bühne der Welt - gerade hat er einen Exklusiv-Deal mit der Streaming-Plattform Netflix abgeschlossen - könnte ihn davon überzeugen, dass niemand ihm den Mund verbietet.

Es gibt keine Tabuthemen für einen Comedian, so Gervais' Überzeugung. Der Gegenstand eines Witzes muss nicht die Zielscheibe dieses Witzes sein, darauf weist er in Interviews häufig hin. "Manchmal muss man auch nach unten treten", sagt er in der Show. Pause. "Zum Beispiel, wenn man ein Kleinkind verprügelt." Gelächter.

Gervais vergleicht eine Katze beim Arzt mit einer vergewaltigten Frau

Er erzählt von seiner Katze. Davon etwa, dass sich das arme Tier nach einer besonders invasiven Prozedur beim Tierarzt gefühlt haben müsse, als wäre es gerade vergewaltigt worden. Er beschreibt das Verhalten seiner Katze dann so, wie er, Gervais, sich vorstellt, wie sich eine vergewaltigte Frau verhalten würde.

Die Katze kauert in der Dusche, traumatisiert, setzt schließlich einen Tweet ab mit dem Hashtag #MeowToo.

Natürlich sind Themen wie "Me Too" für Komiker reizvoll, weil sich bei ihnen, durch die Anspannung und die Aura des Tabuisierten, die Lacher am heftigsten entladen. Sie können aber auch eine Krücke sein, ein Hilfsmittel, das über die mangelnde Qualität des eigenen Materials hinwegtäuscht. Manche Gags bekommen dann die vielen Lacher nicht deshalb, weil sie so gut sind, sondern nur, weil sie geschmacklos sind. Gervais setzt in der ersten, verkrampft subversiven Hälfte auf Kalauer, die Amerikaner als low-hanging fruit bezeichnen würden, also als Obst, dessen Ernte keine große Mühe macht. Seine "gewagten" Witze funktionieren weniger durch die Cleverness ihrer Konstruktion oder durch ihr Timing, sondern mehr, weil sie als Ventil für unterdrückte Ressentiments dienen. Macht er sich dann selbst zu Gegenstand und Zielscheibe, ist Gervais besser. Ein Bit über seinen Fetisch, ausschließlich zu Babyfotos von Adolf Hitler zu masturbieren, mit genauer Beschreibung seines dieser Leidenschaft gewidmeten Hobbyraums, gehört zu den besten Momenten des Abends. Er holt sein Handy raus, zeigt den Baby-Hitler und nennt ihn "fucking adorable". Überhaupt sind seine absurden Szenarien, die er häufig dialogisch durchspielt, viel, viel interessanter als seine direkte Kulturkritik.

An einem Punkt stellt er sich vor, wie er sich mit seiner Katze unterhält, die plötzlich ein Bewusstsein bekommen und nun ein schlechtes Gewissen hat, weil sie gerade einen Vogel getötet hat ("Ich hätte ihn nicht auch noch vorher foltern müssen"). Oder er nimmt die Überzeugung einiger fundamentaler Christen, bei Aids handele es sich um die Strafe Gottes für Homosexualität, wörtlich und entwirft ein Gespräch zwischen Gott und einem Virus, mit genauen Instruktionen Gottes, wie das Virus nun zu verfahren habe.

Dabei schießt Gervais typischerweise übers Ziel hinaus: "Wo soll ich anfangen?", fragt das Virus. "In Afrika." - "Wieso?" - "Da sterben sie sowieso alle." Dennoch ist die Passage einfallsreicher als der Rest, und die Rollenverteilung gibt ihm die Gelegenheit, etwas vielseitiger zu performen. Das Virus interpretiert er als einen verschüchterten Jungen.

Ricky Gervais' Geniestreich ist nach wie vor die Serie "The Office", in der ein BBC-Kamerateam den Büroalltag einer Papierfirma im Londoner Umland begleitet. Zwölf Folgen reichten Gervais und seinem Schreibpartner Stephen Merchant vor fast zwanzig Jahren aus, um die Mockumentary als wesentliche Erzählart moderner Sitcoms zu etablieren. Sein Protagonist David Brent, von Gervais selbst glänzend gespielt, ist ein Kotzbrocken, ein sich maßlos überschätzender Narzisst. Gervais' gegenwärtige Bühnenfigur hat mit Brent einiges gemeinsam, nicht zuletzt die trotzige Ignoranz. Vielleicht macht er sich irgendwann wieder mehr über mächtige Menschen lustig. Über sich selbst etwa.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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