Süddeutsche Zeitung

Kolumne Überlebenskunst:Der Kopf wird es danken

Eine dringende Empfehlung, alte Hefte der akribisch recherchierten Architekturzeitschrift "ARCH+" zu bestellen, deren Themen kaum altern.

Von Laura Weissmüller

Eigentlich sagt der Titel schon alles: ARCH+ nennt sich die Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Die Versalien machen sofort klar, wie ernst man hier seine Themen nimmt. Der Beginn des Wortes Architektur gibt an, wo diese ihren Anfang nehmen, und das Plus, wie konsequent sie hier weitergedacht werden. Vom Städtebau und dem Design bis hin zur Frage, welche Räume unsere veränderte Arbeitswelt heute braucht.

Es dürfte kaum eine Architekturzeitschrift geben, die damit dem Wesen der öffentlichsten aller Künste derart gerecht wird. Denn tatsächlich ist das Bauen ja immer sehr viel mehr als das Gebäude. In der Architektur manifestiert sich der Zustand einer Gesellschaft. Wer finanziert das Haus und mit welchem Zweck? Wie begründet sich der Entwurf und welche Auswirkung hat er auf die Menschen, die darin arbeiten oder wohnen? Was bedeute er für das Viertel ringsum? Und welche Vorstellung von Zukunft spiegelt sich darin?

Wie ARCH+ zu ihrem Anspruch kam, das beschreibt der wunderbare Nikolaus Kuhnert, Gründer und bis heute Mit-Herausgeber der Zeitschrift, in seiner unvergleichlichen Art in "Wir waren Dilettanten unserer eigenen Geschichte". Es ist ein Heft als "architektonische Selbstbiografie" und gleichzeitig ist es ein Gang durch all die zentralen Kreuzungspunkte der modernen Architektur in Deutschland, weswegen es sich unbedingt zu lesen lohnt. Egal, ob es sich um den Designer Otl Aicher, den Architekten Oswald Mathias Ungers oder einen gewissen Rem Koolhaas handelte, der - zusammen mit Hans Kollhoff - für Ungers eine Zeitlang arbeitete: Nikolaus Kuhnert kannte sie alle und analysierte ihre Arbeit. Und zwar mit dem Wissen, dass "die moderne Architektur keine Geschichte der großen alten Männer war, sondern eine Geschichte der Reform".

Akribisch, fast wissenschaftlich fächert jedes Heft ein besonderes Thema auf

Die Zeitschrift, die ihren Sitz in Berlin hat, erscheint vierteljährlich und widmet sich in jeder Ausgabe einem Thema. Anh-Linh Ngo ist als Chefredakteur und Herausgeber Nikolaus Kuhnert gefolgt, der Anspruch ist der gleiche geblieben. Egal ob es sich um Orte der Gemeinschaft handelt, um die Bautypologien, die eine Stadt wie Tokio hervorbringt, den Umgang mit der Bodenfrage oder um die rechten Räume, die in jüngster Vergangenheit in Europa entstanden sind: Akribisch, fast wissenschaftlich fächert jedes Heft ein Thema in seiner Bandbreite auf. Meist begleitet von einem Fotoessay, oft mit Infografiken so gut aufbereitet, dass man selbst hochkomplexe Aspekte auf einem Blick nachvollziehen kann, und immer mit einem zusätzlichen "feature", das in der Regel ein junges spannendes Architekturbüro vorstellt.

Es ist erstaunlich, wie wenig Ausgaben von ARCH+ altern. Man blättert darin und ist sofort wieder gefangen, liest sich fest - und zwar für Stunden, weswegen man bislang meist nicht ansatzweise einem jeden Heft die Aufmerksamkeit schenken konnte, die es verdient hat.

Das dürfte sich im Augenblick geändert haben. Und deswegen hier nun unverblümt der Ratschlag, zügig die Website von ARCH+ anzusteuern (www.archplus.net) und ausgiebig zu bestellen. Der Kopf wird es einem danken. Bis zum 19. April wird Ihnen das Verständnis für die gebauten Welt sogar versandkostenfrei nach Hause geliefert.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2020
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